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Schnappschüsse von der Architektur des Lebens

08.05.2024

Der Strukturbiologe Roland Beckmann macht die komplexen Strukturen von Ribosomen atomgenau sichtbar. Im Interview spricht er über seine Forschung an den zellulären Proteinfabriken.

Roland Beckmann, Biochemie-Professor am Genzentrum der LMU, untersucht grundlegende Prozesse des Lebens, die in jeder Zelle ablaufen. Der Strukturbiologe ist Spezialist für die Kryo-Elektronenmikroskopie, mit der die komplexe Architektur von Biomolekülen atomgenau sichtbar gemacht werden kann. Sein besonderes Interesse gilt der Struktur und Funktion von Ribosomen, den Proteinfabriken der Zelle. Wie Ribosomen in Zellen höherer Lebewesen zusammengebaut werden, hat Beckmann gemeinsam mit Ed Hurt von der Universität Heidelberg in zwei Übersichtsartikeln – sogenannten Snapshots - zusammengefasst, die im renommierten Fachjournal Cell erschienen sind. Im Interview spricht Roland Beckmann über seine Forschung.

„Es hat technisch extreme Fortschritte in der Kryo-Elektronenmikroskopie gegeben": Roland Beckmann im Labor mit Mitarbeiterin Charlotte Ungewickell.

Was war der Anlass für die Snapshots?

Roland Beckmann: Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem wir in Zusammenarbeit mit Ed Hurt die Vorgänge bei der Ribosomenbiogenese in eukaryotischen Zellen, also dem Zusammenbau dieser komplizierten molekularen Maschinen, insgesamt sehr gut verstehen. Wir haben viele Strukturen von Zwischenstufen aufgeklärt und können nun den größten Teil dieses Prozesses visualisieren, vom Beginn im Nukleolus – einem kugelförmigen Bereich innerhalb des Zellkerns – über den Kern bis zum Transport aus dem Kern in das Cytoplasma. Angesichts dieser Vollständigkeit hat es sich jetzt gelohnt, die Snapshots zu machen und so einen Überblick zu geben.

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Bakterielle Ribosomen: Molekularer Auffahrunfall aktiviert Schutzmechanismus

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Wofür sind Ribosomen wichtig?

Ribosomen gehören zu den wichtigsten molekularen Maschinen, die wir haben. An ihnen werden während der sogenannten Translation Aminosäuren nach Maßgabe der in der RNA codierten genetischen Information zu Proteinen zusammengesetzt. Und Proteine sind natürlich entscheidend für so gut wie alle Funktionen in der Zelle.

Aber das Ribosom kann noch viel mehr: Wir vergleichen es da gerne mit einem Smartphone, mit dem man telefoniert, aber auch 1000 weitere Dinge machen kann. Beispielsweise haben Ribosomen eine wichtige Funktion bei der Qualitätskontrolle, um die Zelle vor defekten und schädlichen Translationsprodukten zu schützen und um die Menge der RNA-Moleküle im Gleichgewicht zu halten.

Diese Qualitätskontrolle ist unser zweites großes Forschungsfeld neben der Ribosomenbiogenese. Zum Beispiel haben wir gefunden, dass Ribosomen sensibel auf Stress reagieren und dann während der Translation stecken bleiben und aufeinander auflaufen. Sie haben sozusagen Verkehrsunfälle. Und das kann die Zelle wahrnehmen und Schutzmechanismen anstoßen. Diese Kollisionen haben sich als allgemeines Prinzip herausgestellt, das von Bakterien- bis hin zu menschlichen Zellen gültig ist. Ganz allgemein kann man sagen, dass das Ribosom als eine Art Integrator benutzt wird, um Umwelteinflüsse wahrzunehmen, die dann von der Zelle ausgelesen werden können, um die notwendigen Reaktionen zu triggern.

Die Snapshots fassen die Ergebnisse von zehn Jahren Forschung zur Ribosomenbiogenese zusammen. Was waren wichtige Meilensteine dabei?

Diese zehn Jahre beziehen sich auf die Zusammenarbeit meiner Arbeitsgruppe mit der von Ed Hurt; ich selbst forsche schon länger daran. Das Ribosom besteht aus einer großen und einer kleinen Untereinheit, und ein erster großer Meilenstein war für uns die Aufklärung der Struktur einer Vorstufe der kleinen Untereinheit, die man bis dahin nur biochemisch kannte. Dieses sogenannte Prozessom ist interessant, weil es extrem groß ist: Es ist sogar größer als das ausgewachsene Ribosom und bildet eine Form, in die die kleine Untereinheit hineingefaltet werden kann.

Danach haben wir immer mehr Intermediate gefunden und entdeckt, dass sich die kleine Untereinheit aus dem Prozessom herausschält wie aus einer Zwiebel, indem eine Komponente nach der anderen abfällt. Und wir meinen auch verstanden zu haben, dass ein bestimmter Zustand der kleinen Untereinheit notwendig ist, damit das Signal zur Ablösung gesetzt wird.

Und bei der großen Untereinheit?

Bei der großen Untereinheit war es ähnlich: Zunächst war gar nicht klar, wie sie anfängt, sich zu assemblieren. Wir haben dann recht frühe Intermediate identifiziert und gezeigt, dass zuerst ein Exoskelett gebildet wird, in das das Innere wie in eine Schale aufgefüllt wird. Das war ganz unerwartet.

Außerdem haben wir entdeckt, dass eine bestimmte RNA irritierenderweise völlig verkehrt in die große Untereinheit eingebaut wird. Diese RNA bildet eine Art Bügel, der zunächst um 180 Grad verdreht ist. Später wird die Stellung durch eine recht aufwendige Maschinerie korrigiert. Dieses verkehrte Einbauen ist wohl vom Bakterium bis zum Menschen konserviert und soll eine falsche Faltung im Verlauf der Assemblierung verhindern.

Andere Ergebnisse haben gezeigt, dass es offensichtlich ein allgemeines Prinzip gibt, nach dem die RNA durch die Bindung bestimmter Faktoren sozusagen aus dem Spiel genommen wird, damit sie anderen Bereichen bei deren Faltung nicht in die Quere kommt. Die Endkonformation wird dann erst mit fortschreitender Fertigstellung des Ribosoms eingenommen.

Ribosomenforscher Roland Beckmann | © LMU

Was macht die Arbeit mit Ribosomen herausfordernd?

Zunächst einmal sind die Zwischenprodukte, die während des Zusammenbaus entstehen, sehr komplex. Diese Assemblierungs-Intermediate sind große RNAs und Hunderte von Proteinen. Es wird vermutet, dass menschliche Zellen 300 oder mehr Faktoren brauchen, um diese Komplexe zu machen. Da ist es nicht so einfach, einzelne Substadien zu isolieren, und man kann auch nicht Hunderte von Faktoren herstellen und den Zusammenbau in vitro nachvollziehen – zumal die Assemblierung schon in dem Augenblick anfängt, in dem die ribosomale RNA transkribiert wird.

Zudem kommen wir an die sehr frühen Zwischenprodukte eigentlich nicht richtig heran, weil sie zum einen so unstrukturiert sind, dass man sie kaum vernünftig analysieren kann. Zum anderen ist es sehr schwer, sie zu isolieren. Viele Intermediate sind im Nukleolus, und das ist eine der klassischen Organellen ohne Membran. Der Nukleolus stellt ein Kondensat mit ganz eigenen Eigenschaften dar und es ist schwer, an die entsprechenden Moleküle heranzukommen, um sie zu studieren.

Auf der anderen Seite sind Ribosomen sonst aber sehr gute Objekte für Analyse durch Kryo-Elektronenmikroskopie, weil hier natürlich das Motto gilt, je größer, desto besser.

Haben technische Fortschritte in den letzten zehn Jahren eine wichtige Rolle gespielt?

Absolut. Ein wichtiger Punkt war, dass wir die Modellsysteme durch die Entwicklung bestimmter Marker im Griff hatten. Weil man die Assemblierungs-Zwischenstufen nicht zusammenbauen kann, muss man sie mithilfe bestimmter Affinitätsmarker isolieren. Das Problem ist, dass die Marker während der Fertigung des Ribosoms ziemlich lange gebunden sein können und über verschiedene Intermediate mitwandern vom Nukleolus ins Cytoplasma. Das heißt, man erhält bei der Reinigung einen großen Zoo verschiedener Zwischenprodukte, die nur unzureichend sortiert werden können.

Ed Hurt hat dann schöne Systeme gefunden, die erlauben, zwei verschiedene Marker zu benutzen. Das nennen wir ein Split Tag. Dadurch kann man beispielsweise zunächst einen Faktor fassen, der vom Nukleolus bis in den Kern an die Intermediate gebunden ist, und dann einen zweiten Faktor, der vielleicht nur von der Endphase im Kern bis zum Cytoplasma gebunden ist. Auf diese Weise können kleinere Subgruppen isoliert werden. Das war absolut der Schlüssel zu all den Dingen, die wir gemacht haben.

Ein zweiter wichtiger Aspekt ist, dass wir relativ früh angefangen haben, nicht nur mit Hefe als Modellsystem zu arbeiten, sondern auch mit einem thermophilen Pilz. Diese Pilze leben in Misthaufen, in denen Temperaturen bis 50-60 Grad entstehen können. Deshalb sind ihre Proteine an Wärme angepasst und bei Raumtemperatur sehr viel stabiler und besser zu handhaben als diejenigen aus Hefe.

Gab es auch Fortschritte bei der Mikroskopie?

Ja, das war das Zweite, was absolut entscheidend war. Es hat technisch extreme Fortschritte in der Kryo-Elektronenmikroskopie gegeben. Die ersten Detektoren hatten Szintillatoren, die mit jedem Elektron einen Lichtimpuls erzeugt haben, der dann von dem Detektor gesehen wurde. Diese Detektoren wurden abgelöst durch sogenannte Direct Electron Detectors, die keinen Szintillator mehr benötigen und wirklich mit Pixelauflösung jedes einzelne Elektron wahrnehmen können.

Das hat die Qualität so verbessert, dass man routinemäßig eine molekulare Auflösung erreicht, also drei ŏngström und besser, was vorher nicht möglich war. Die besten Auflösungen kommen in die Nähe von einem Ångström. Und das macht natürlich einen riesigen Unterschied. Dazu kamen noch neue Entwicklungen bei der Software für die Rekonstruktion und Klassifizierung der Partikel.

Können defekte Ribosomen Krankheiten auslösen?

Im Prinzip ja. Es gibt tatsächlich Ribosomopathien. Diese Krankheiten basieren in den meisten Fällen auf Mutationen in ribosomalen Proteinen oder in Assembly-Faktoren, wodurch Ribosomen langsamer oder nicht richtig gebildet werden. Die meisten dieser Krankheiten betreffen erstaunlicherweise die Blutbildung, es entstehen also Anämien oder Blutkrebse.

Kann ihre Forschung dazu beitragen, neue therapeutische Ansatzpunkte zu finden?

Dass Ribosomopathien mit einer fehlerhaften Assemblierungsreaktion zusammenhängen, war einer der Gründe, warum wir uns mit ihnen beschäftigt haben. Wir dachten, wenn wir die Mechanismen verstehen, können wir vielleicht etwas daraus ableiten. Es ist aber schwer, diesen Schritt zu machen, weil sich zeigte, dass der Grund für einen pathologischen Phänotyp darin liegt, dass die Ribosomenmenge nicht mehr stimmt. Ein Defizit auszugleichen, ist in diesem komplexen Zusammenhang ziemlich schwer. Aber im Prinzip gibt es natürlich das Potenzial, einzugreifen, wenn man die Mechanismen verstanden hat.

Die fehlerhaften Ribosomen werden abgebaut und die Zellen verfügen nicht mehr über hinreichend viele Ribosomen. Vermutlich werden dann bestimmte RNAs, die in der Zelle nicht häufig vorkommen, nicht mehr in Proteine umgesetzt. Es wird also ein anderer Satz von Proteinen gemacht, als es bei einer normalen Ribosomenmenge der Fall wäre. Es gibt sehr viele verschiedene Mutationen, die man da mittlerweile kennt. Das führt zu einem Ungleichgewicht in der Translation, das noch nicht gut verstanden ist.

Das ist eine Sache, mit der wir uns auseinandersetzen. Wir wollen zum Beispiel untersuchen, wo landen denn diese kranken Ribosomen? Werden sie alle abgebaut, oder kommen sie teilweise doch bis in den Translationszyklus und sorgen dann dort für Stress?

Wo sehen Sie noch weitere offene Fragen?

Auf die Ribosomenbiogenese bezogen, gibt es noch viele offene Fragen. Ein großes Problem ist, dass unsere Strukturuntersuchungen zwar wunderschöne Galerien ergeben. Aber sie sind ein bisschen statisch und wir wissen oft nicht genau, wie man von einem Zustand zum anderen kommt. Welche Signale werden gebraucht, damit der Prozess fortschreitet? Unter anderem weil In-vitro-Untersuchungen so selten gelingen, ist das ziemlich schwer anzugehen. Man kann das eigentlich nur in der Zelle wirklich beobachten. In Bakterien können wir den Vorgang bis zu einem gewissen Grad isoliert im Reagenzglas rekonstituieren, aber in eukaryontischen Zellen bislang nicht. Die Transition bei der Ribosomenbiogenese und ihre Einbindung in alle möglichen Signalwege wirklich zu verstehen wäre interessant.

Und auch was die Translation angeht, verstehen wir vieles noch nicht. Zum Beispiel, wie bei den kollidierenden Ribosomen tatsächlich die Erkennung abläuft. Woran merken sie, dass sie zusammengelaufen sind, wie werden die folgenden Signalwege auf molekularer Basis erzeugt und wie sind diese Signale miteinander verbunden? Also, es gibt noch viele offene Fragen. Wir sind noch nicht fertig.

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