„Göttliche Komödie“: Wenn die Hölle gefriert

Erlösung jenseits von Feuer und Glut: Der Italianist Florian Mehltretter zu Bildern der Hitze in Dantes berühmtem Hauptwerk

Lasst alle Hoffnung fahren: So geht es bei Dante hinab in die Hölle. Spätmittelalterliche Darstellung

© ullstein bild – Photo12

Bedrückende Szenerie: Nur im Widerschein düster lodernder Flammen sind die Gemarterten zu erkennen, auf allerlei teuflische Arten gefoltert von bizarr anmutenden Wesen. Die Bilderwelten von Italiens Nationaldichter des Hochmittelalters Dante Aligheri evozieren das Inferno – Feuer, Hitze und Tod. Die Hölle aus der Commedia, der sogenannten Göttlichen Komödie – ein ebenso phantastischer wie sadistischer Albtraum des Mittelalters – hat viele Maler inspiriert.

Und doch zeigen die Bilder, wie sie etwa der Renaissance-Maler Hieronymus Bosch in Öl auf Holz gebannt hat, nur einen Aspekt von Dantes Hölle. Denn „die Hölle, wie Dante sie sich als einen bis zum Erdkern reichenden Schlund vorgestellt hat, ist nicht etwa überall heiß, sondern in weiten Teilen eiskalt“. Das sagt Professor Florian Mehltretter, Vorstand des Instituts für Italienische Philologie an der LMU. Vor allem gilt dies für den untersten, den neunten Höllenkreis, wo die Verräter an Gott und Vaterland leiden. Hier verharren die Sünder in absurden Verrenkungen im Eis gefangen: „Già era, e con paura il metto in metro, là dove l'ombre tutte eran coperte e trasparien come festuca in vetro.“ In der deutschen Prosaübersetzung von Hartmut Köhler lautet der Vers so: „Ich war nun – und voller Angst setze ich es in Verse – dort, wo die Schattenseelen vollkommen vom Eis bedeckt waren; sie schienen hindurch wie Strohhalme im Glas.“

Satan am gefrorenen Grund der Hölle

Bevölkert ist die Hölle von allerlei Figuren, antiken Berühmtheiten wie auch Zeitgenossen Dantes. Gerade letztere, der Großteil davon heute den meisten vollkommen unbekannt, verdanken ihren Höllensturz oft Dantes politischem Engagement. Im Zentrum der Hölle selbst leidet Satan unbeweglich in einem durch den eigenen Eis-Atem zugefrorenem See. Nur seine drei Kiefer mahlen und kauen unentwegt auf Judas und den Caeser-Mördern Brutus und Cassius. Maximaler Abstand von Gott bedeutet nicht etwa Höllenglut, sondern Eiseskälte. „Die größte Strafe ist das Fehlen der Liebe Gottes“, so Mehltretter.

»Die Hölle, wie Dante sie sich als einen bis zum Erdkern reichenden Schlund vorgestellt hat, ist nicht etwa überall heiß, sondern in weiten Teilen eiskalt.«

Florian Mehltretter

Die Strafen in Dantes Hölle „bilden die Sünden selbst ab“, sagt Florian Mehltretter. | © LMU / ole

Dennoch kommen natürlich Feuer, Hitze und Glut in der Göttlichen Komödie vor, in der Hölle, aber auch im Purgatorio, dem Fegefeuer, dort aber nur an einer Stelle. Entscheidend ist dabei die unterschiedliche Funktion von Purgatorio und Inferno. Das Fegefeuer, so Florian Mehltretter, hat „eine Reinigung des Sünders durch Übungen und Rezitationen zum Ziel, sodass er am Ende der ihm zugemessenen Zeit doch noch der Erlösung im Paradies teilhaftig wird.“

Für das Inferno dagegen gilt der Satz, der über seinem Eingang steht: „Lasciate ogni speranza voi ch'entrate“ („Lasst alle Hoffnung fahren, wenn Ihr hier hereinkommt.“). Im Inferno hat das Feuer zumeist einen verstärkenden Charakter der auferlegten Qualen. So liegen etwa die Häretiker im IX. Gesang des Inferno in glühenden, flammenumschlossenen, aber offenen Sarkophagen. „Sie bekommen, was sie vorhergesagt haben“, analysiert Florian Mehltretter:

„Auch wenn es so aussehen mag, das ist nicht einfach eine alttestamentarische Form der Bestrafung im Sinne von Auge um Auge, Zahn um Zahn. Die Strafen bilden die Sünden selbst ab und setzen sie fort. Die Seele der Häretiker, welche die Seele für sterblich hielten, liegt in einem Sarkophag.“

Besonders eindrücklich zeigt sich das verstärkende Moment der Glut bei den Mördern und Blutsäufern, den Tyrannen. Sie sind im Inferno in kochendes Blut getaucht, „entscheidend ist hier natürlich das Blut“, sagt Mehltretter und zitiert Dante: „dem Fluss aus Blut, in dem noch jeder siedet, der mit Gewalt seinem nächsten zusetzt“. Die Betrüger dagegen sieden in kochendem Pech. Die Simonisten, die kirchliche Ämter und Pfründe gegen Geld verkauften, werden mit dem Kopf in die Erde gerammt und haben brennende Füße, während die „Gewalttätigen gegen Gott“, etwa Fluchende, Wucherer oder Sodomiten von einem Feuerregen getroffen werden – „wohl einem Fluch“, so Mehltretter.

Ein Schnitt durch den Höllenschlund: Der Renaissancemaler Sandro Botticelli, der wie Dante aus Florenz stammte, hat das „Inferno" und die beiden anderen Teile der „Göttlichen Komödie" illustriert. Die rund 100 Zeichnungen und Stiche entstanden um 1480.

© Eric Vandeville / akg-images

Dantes Alter Ego und sein Begleiter Vergil - Botticelli zeichnete sie in bunten Gewändern - sind hier schon ziemlich tief unten, im achten Höllenkreis, wo Geißelung und Folter die Sünder hart treffen.

© akg-images / UIG / Ivy Close Images

Odysseus in Flammen

Interessant ist auch das Schicksal der falschen Ratgeber, die ihren Logos, ihren Geist missbrauchen, um andere zu täuschen. Auch sie sind in Flammen gehüllt. Unter ihnen ein prominenter Held der Antike: Der „Listenreiche“, wie Odysseus in Homers Illias genannt wird, entscheidet mit seiner Erfindung des hölzernen, mit Kriegern gefüllten Pferdes den Trojanischen Krieg für die Griechen. „Doch hat“, so Mehltretter, „dieser hinterlistige Verrat einen heilsgeschichtlichen Sinn.“ Schließlich begreifen sich die Römer als Nachfahren des Trojaners Aeneas, dessen Flucht aus dem brennenden Troja erst die Grundlage für das römische Imperium und – in Folge – für den römischen Kirchenstaat bildet.

Durch Inferno und Purgatorio wandert Dantes Alter Ego, geführt vom antiken Dichter Vergil, in Richtung Paradiso. Dort hofft er, seine Geliebte Beatrice wiederzusehen.

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Hoffnung für die „falsch“ Liebenden

Als die beiden Wanderer im Jenseits den innersten Kreis der Hölle verlassen und – wieder auf der Erdoberfläche – im Fegefeuer ankommen, finden sie deutlich andere Bedingungen vor. Was die „falsch“ Liebenden angeht, sind die Flammen des Purgatoriums so ganz anders als diejenigen des Infernos. Die „Unzüchtigen“ gehen gegenläufig im Kreis um den Läuterungsberg – je nach Laufrichtung Homo- oder Heterosexuelle, analysiert Mehltretter. Jedes Mal, wenn sie sich begegnen, „geben sie sich ein Küsschen, wirklich nur ein züchtiges Küsschen“. Bei Dante heißt es: „Da sehe ich sie tatsächlich, wie immer ein Schatten rasch einen anderen küsst und weitereilt, froh über die kurze Begegnung.“ Dass auch „Sodomiten“, also Homosexuelle unter den zukünftig Geretteten sind, hat in der Dante-Forschung für Diskussionen gesorgt. Möglicherweise behandelt hier Dante die homoerotisch Liebenden als Sünder nach falschem Maß, nicht aber nach falschem Ziel. „Er verdammt also an dieser Stelle nicht die Homosexualität generell“, folgert Mehltretter. Die „falsch“ Liebenden, seien sie nun homo- oder hetereosexuell, werden durch die Flammen nicht etwa bestraft, sondern gereinigt, die Voraussetzung für eine Erlösung.

Gedenken an Dante: Der Maler Domenico di Michelino fertigte 1465 für den Florentiner Dom ein Epitaph an. Auf dem Gemälde präsentiert Dante seine „Divina Commedia“, links geht es hinab zum Inferno, im Hintergrund ist der „Läuterungsberg“, das Fegefeuer, gekrönt vom irdischen Paradies, zu sehen, rechts die Stadt Florenz.

© IMAGO / Heritage Images

Im Paradies dagegen „spielen Hitze, Feuer und Flammen keine große Rolle“, sagt Florian Mehltretter. Nur in einem der Gesänge des Paradiso treten Flammen („fiamme“) an prominenter Stelle auf, als Emanation des Heiligen Geistes. „Dantes Erzähler versucht im allerletzten Gesang, Gott zu schauen, aber er versteht nicht, was er sieht. Plötzlich wird er aber vom Blitz der mystischen Schau getroffen. Diese besteht nicht in einer Erklärung, einem Verstehen, sondern in die Erfahrung einer Kreisbewegung der Liebe, des Einsseins mit dem Willen Gottes.“

Dantes drastische und sehr konkrete Beschreibung der Hölle hat die Ikonographie bis heute maßgeblich beeinflusst. Es ist ein regelrechter Strom von Bildern, die sich auf Dantes große Dichtung beziehen. Am Anfang etwa steht der Florentiner Zeitgenosse Andrea di Cione Orcagna, später sind es der Renaissance-Künstler Sandro Botticelli, der französische Romantiker Eugène Delacroix oder der Surrealist Salvador Dali. Auch Anselm Feuerbach, Edouard Manet und Auguste Rodin arbeiteten sich – wie viele andere – daran ab. Doch wie immer sich die Künstler die Hölle auch ausgemalt haben: Unsere Vorstellung von der Hölle als einem Ort des Feuers verdankt sich nicht Dante Alighieri, sondern dürfte wesentlich älter sein und geht vermutlich zurück auf das Neue Testament. In der Offenbarung des Johannes heißt es: „Wer nicht im Buch des Lebens verzeichnet war, wurde in den Feuersee geworfen.“

Florian Mehltretter ist Professor für Italienische Literaturwissenschaft und Vorstand des Instituts für Italienische Philologie der LMU.

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