Vom Hörsaal… in die Wüste!
Feldforschung in der trockensten Wüste der Welt: Doktorandin Julia Simonis erzählt von ihrer Reise in die Atacama.

Feldforschung in der trockensten Wüste der Welt: Doktorandin Julia Simonis erzählt von ihrer Reise in die Atacama.
Ich hocke im Geröll, das sich bis zu den Vulkanen am Horizont erstreckt, und hacke auf den Wüstenboden ein. Die Sonne steht hoch, der Wind nimmt gerade Fahrt auf. Schnell straffe ich das Bändchen unter meinem Kinn, damit mein Sonnenhut nicht wegfliegt. Seit zwei Wochen bin ich nun schon unterwegs in der Atacama-Wüste in Chile, einem der trockensten Orte der Welt. Heute Morgen sind wir in diesem Areal angekommen und haben uns gleich an die Arbeit gemacht: GPS-Koordinaten festhalten, Pflanzen vermessen, Boden- und Pflanzenproben sammeln.
Meine Promotion mache ich im Rahmen eines großen Verbundprojekts, dem Sonderforschungsbereich (SFB) 1211 mit dem Titel „Earth - Evolution at the Dry Limit“, der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Die beteiligten Forschenden reisen jedes Jahr nach Chile, um in der Wüste das Wachstum und die Entwicklung der Pflanzen über längere Zeiträume zu verfolgen. Ich bin dieses Jahr zum ersten Mal dabei.
Huidobria chilensis überlebt bei extremer Hitze und Trockenheit. | © Julia Simonis
Ich erforsche Wüstenpflanzen aus der Familie der Loasaceae. Was wir Menschen als „extreme Bedingungen“ und „lebensfeindliche Umgebung“ bezeichnen, ist für diese unscheinbaren Gewächse Alltag. Sie trotzen im Gegensatz zu den meisten anderen Pflanzen der sengenden Hitze und dem Wassermangel der Atacama-Wüste. Wie sie das schaffen, will ich im Rahmen meiner Doktorarbeit herausfinden.
Es ist toll, dass ich bei meiner Dissertation Laborarbeit und Bioinformatik mit echter Feldforschung kombinieren kann. Hier erlebe ich die Pflanzen, die ich bisher nur als Probenmaterial aus dem Labor kannte, in ihrer natürlichen Umgebung. Das ergänzt mein Bild von den Organismen, an denen ich forsche.
In der Uni ist manches sehr theoretisch. Studierende lernen meist aus vorgegebenen Skripten und folgen bei den Experimenten im Labor oft einem strikten Protokoll. Im Feld ist das anders. Wenn etwas nicht klappt, muss man flexibel sein. Denn hier hat man es mit der Natur zu tun, nicht mit den kontrollierten, sterilen Bedingungen im Labor.
Nachdem ich meine aktuellen Proben verpackt habe, gehe ich zu den anderen – es ist Zeit für die Mittagspause. Es gibt, wie eigentlich jeden Tag: Weißbrot mit Avocado. Während ich auf meinem Brot herumkaue, nehme ich mir Zeit, den Augenblick bewusst zu genießen. Ja, es ist heiß und windig, die Arbeit ist manchmal anstrengend und eintönig und die Landschaft karg – aber gleichzeitig ist es abenteuerlich und wunderschön. Die Wüste ist vielfältiger, als man auf den ersten Blick meint: Wenn man genau hinsieht, lernt man sogar die vielen Brauntöne der Felsen und Berge zu unterscheiden.
Es ist beeindruckend, gerade weil es so völlig anders ist, als zu Hause in München. Klar, ein paar Pflanzen wachsen auch in der Atacama. Aber es gibt keine Wälder, keine Wiesen. Der Duft frischer Vegetation fällt einem in Deutschland gar nicht mehr auf. Erst in der Wüste merkt man, dass man ihn vermisst.
Die Atacama ist weit und rau, trotzdem ist sie kein Niemandsland: Es gibt gut ausgebaute Straßen, Stromtrassen und Industrie. Das liegt an den vielen Minen, in denen Bodenschätze wie Kupfer und Lithium abgebaut werden. Offroad ist nicht so viel los, aber auf den Straßen begegnet man vielen LKW, die zum Beispiel Schwefelsäure in die Kupferminen transportieren.
Gruppenbild des Forschungsteams: (v. l. n. r.) Robin Schweikert, Julia Simonis, Prof. Dr. Julia Bechteler, Marianela Mariño, Eric Stein. | © Dietmar Quandt
Ich war noch nie zuvor in Chile, bin vorher noch nie in einer Wüste gewesen. Inzwischen weiß ich, dass nicht jede Wüste aus endlosen Sanddünen besteht – die gibt es in der Atacama nämlich kaum. Und ich habe gelernt, dass Wasser hier zwar Mangelware, aber durchaus vorhanden ist: Im Nebel, der nachts aufkommt und morgens eine Tauschicht auf den Autos bildet. Ein anderer Doktorand aus unserem Team forscht an Tillandsien – wurzellosen Pflanzen, die ihr Wasser nur aus der feuchten Luft ziehen.
Weil ich diesen Trick noch nicht draufhabe, nehme ich einige große Schlucke aus meiner Trinkflasche und unterhalte mich mit Nela darüber, dass es rückblickend etwas übertrieben war, 1,5 Liter Sonnencreme für die Expedition einzupacken. „Wir tragen ja sowieso ständig lange Kleidung und Hüte. Eigentlich muss ich nur die Unterarme eincremen, wenn ich mal die Ärmel hochkremple.“ Nela lacht: „Nächstes Jahr weißt du es dann besser.“
Ich bin froh, dass ich mich mit den anderen im Team so gut verstehe. Immerhin verbringen wir mehr als dreieinhalb Wochen fast jede Minute miteinander und haben nur wenig Rückzugsmöglichkeiten. Als eher introvertierte Person hatte ich davor schon ein bisschen Respekt. Zum Glück habe ich die anderen Teammitglieder schon im Vorfeld kennengelernt, Nela und ich haben sogar zusammen studiert. Die Pflanzenbiologie-Truppe besteht aus sechs Leuten– fünf Deutschen und einer Ecuadorianerin – der Universitäten München, Bonn und Heidelberg.
Jemanden dabeizuhaben, der Spanisch als Muttersprache hat, ist natürlich super praktisch. Weil ich meine Sprachkenntnisse etwas upgraden und Nela ihr Deutsch verbessern will, bringen wir uns auf den langen Autofahrten durch die Wüste gegenseitig ein bisschen was bei.
Wir reisen tatsächlich ziemlich viel durch die Gegend, bleiben höchstens drei bis vier Nächte am selben Ort – Nomadentum im Namen der Wissenschaft. Morgen ziehen wir weiter ins nächste Untersuchungsgebiet. Bis dahin müssen wir aber noch einige Pflanzen schaffen. Also zurück an die Arbeit.
Der Sternenhimmel der Atacama ist legendär – jedenfalls wenn nicht zufällig gerade der Vollmond scheint. | © Eric Stein
Normalerweise übernachten wir in Hütten oder anderen Unterkünften in der nächstgelegenen Stadt. Die Geographen, mit denen wir im Projekt zusammenarbeiten, übernachten allerdings regelmäßig im Feld. Als sie mir ein freies Zelt anbieten, sage ich sofort zu. Eine Nacht unter den Sternen im chilenischen Outback? Das lasse ich mir nicht entgehen!
Weil kein Schlafsack für mich übrig ist, sammeln wir Decken, Jacken und Handtücher und hoffen, dass die Nacht nicht zu kalt wird. Als die Sonne untergeht, warte ich auf den Sternenhimmel, hier mitten im Nirgendwo muss er atemberaubend sein. Doch daraus wird nichts: Heute ist Vollmond, ausgerechnet. Das hat auch was, ist beim Sternegucken aber eher hinderlich.
Diese Nacht ist einer der intensivsten Momente der ganzen Reise. Zum Glück bleiben die Temperaturen erträglich. Als ich am nächsten Morgen den Reißverschluss öffne, sehe ich mehrere Wüstenfüchse zwischen den Zelten umherstreifen. Man sieht sie hier öfter, sie sind sehr neugierig und nicht besonders scheu.
Am Ende der Expedition bin ich erschöpft – es waren anstrengende dreieinhalb Wochen. Insgesamt habe ich mehrere hundert Pflanzen vermessen und von rund 100 Pflanzen verschiedene Proben gesammelt. Es fühlt sich komisch an, dass unsere eingeschworene Truppe sich jetzt auflöst.
Aber ich freue mich auf München, wo alles grün ist und ich auch mal Zeit für mich habe, die sozialen Batterien wiederaufladen kann. Ich kann es auch kaum erwarten, wieder im Labor zu stehen – mit den Proben zu arbeiten, die ich selbst gesammelt habe. Ich werde versuchen, mit den gesammelten Samen Pflanzen im Labor zu kultivieren, um zu untersuchen, wie sich die Genexpression bei ihnen unter verschiedenen Bedingungen verändert, je nachdem ob sie Wasser haben, oder unter Trockenstress stehen. Außerdem werde ich in Kooperation mit den Geologen und Geologinnen der Uni Köln untersuchen, welche Elemente die Pflanzen aus dem Boden aufnehmen und inwiefern diese die Anpassung an die Gegebenheiten in der Wüste beeinflussen.
In einem Jahr geht es wieder nach Chile. Ich frage mich, wie es „meinen“ Pflanzen bis dahin ergehen wird. Wie viel werden sie in der Zeit wachsen? Werden sie überhaupt noch da sein? Ich hoffe, dass es ein Wiedersehen gibt.
Julia Simonis ist Doktorandin in der Arbeitsgruppe von Julia Bechteler , Professorin für Phylogenomik und Systematik der Pflanzen oder Pilze an der LMU.
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