Im Erbmaterial nahezu der gesamten Bevölkerung Afrikas südlich der Sahara und auch bei 70 Prozent der Afroamerikaner findet sich eine Genvariante, die als „Duffy-negativ“ bezeichnet wird. Es ist bekannt, dass die Menschen, die sie in ihren Zellen tragen, seltener an Malaria erkranken. Seit Kurzem wird diese Variante auch mit einer gutartigen Verminderung der weißen Blutkörperchen – einer sogenannten benignen Neutropenie – in Verbindung gebracht. Obwohl weiße Blutkörperchen bei der angeborenen Immunabwehr eine wichtige Rolle spielen, neigen die Träger der Genvariante nicht zu vermehrten Infektionen. Im Rahmen einer von den LMU-Forschern Dr. Johan Duchêne, Professor Christian Weber und Professor Antal Rot (York, England) geleiteten Studie hat ein Wissenschaftler-Team aus Deutschland, Großbritannien, Spanien, Österreich und den USA nun aufgeklärt, auf welche Weise die Genvariante die Blutbildung beeinflusst und warum sie zu einer Neutropenie führt. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin Nature Immunology.
Der überwiegende Teil der Blutbildung findet im Knochenmark statt. Dabei differenzieren sogenannte multipotente hämatopoetische Stamm- und Vorläuferzellen zu verschiedenen reifen Blutzellen, unter anderem zu neutrophilen Granulozyten, einer Untergruppe der weißen Blutzellen, und zu Erythrozyten, den roten Blutzellen. Duffy-negativen Menschen fehlt ein bestimmtes Eiweiß auf den roten Blutzellen, der „Atypical Chemokine Receptor 1“, kurz ACKR1, der mit chemischen Botenstoffen im Körper interagiert. Da auch einige Malaria-Erreger an ACKR1 andocken, sind Menschen ohne dieses Eiweiß besser vor einigen Formen der Erkrankung geschützt. „Auf welche Weise das Fehlen von ACKR1 auf den roten Blutzellen aber die weißen Blutzellen beeinflusst, war bisher völlig unbekannt“, sagt Duchêne.
Mithilfe von Untersuchungen am Mausmodell konnten die Wissenschaftler nun zeigen, dass dieser Zusammenhang auf Mechanismen bei der Differenzierung der blutbildenden Stamm- und Vorläuferzellen beruht: Spezielle Vorläufer-Erythrozyten bilden im Knochenmark eine „Nische“, in der sich die hämatopoetischen Stammzellen befinden – und die Expression von ACKR1 auf diesen Vorläufer-Erythrozyten entscheidet über das weitere Schicksal der Stammzellen. „Wenn die Vorläufer-Erythrozyten kein ACKR1 bilden, differenzieren die Stammzellen zu neutrophilen Granulozyten, die sich molekular und funktional von denen unterscheiden, die nach Kontakt mit ACKR1 gebildet werden“, sagt Rot. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass diese veränderten Neutrophilen den Blutkreislauf leicht verlassen und in Gewebe, vor allem in die Milz, einwandern.“ Dadurch sinkt die Anzahl an Neutrophilen im Blut und die typische Neutropenie entsteht. Ob die in die Milz gewanderten Neutrophilen dort überdauern und zur Immunabwehr beitragen, ist noch unklar.
Nach Ansicht der Wissenschaftler könnten die veränderten Eigenschaften der Neutrophilen bei Duffy-negativen Personen die Abwehr von Krankheitserregern positiv beeinflussen und daher einen Selektionsvorteil darstellen. „Aber eine stärkere Immunantwort kann natürlich auch kontraproduktiv sein, etwa wenn die Immunreaktion ohnehin überschießt und zu chronischen Entzündungen und Autoimmunkrankheiten führt“, sagt Weber. Als nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler daher untersuchen, wie die alternative Blutbildung ohne ACKR1 die Abwehr von Infektionskrankheiten sowie Entzündungen, Atherosklerose, Gefäßerkrankungen und Krebs beeinflusst. Dies könnte helfen, neue gezielte Behandlungsstrategien für Duffy-negative Patienten zu entwickeln.Nature Immunology 2017