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Als eine Welt in sich zusammenstürzte

06.09.2021

20 Jahre nach Nine Eleven sind die Bilder noch präsent, die Folgen weiter spürbar. Zwei LMU-Amerikanisten sprechen über das Vermächtnis eines Tages, der nicht nur die USA erschütterte.

Nine, Eleven. Auch zwanzig Jahre später braucht es nur zwei Zahlen, um die Bilder von damals wieder zu beschwören. Von glühendem Stahl, der in die Tiefe stürzt, den Feuerwehrwägen, die aus allen Teilen der Stadt heraneilen, und den Rauchschwaden, die über der für immer veränderten Skyline von New York dahinziehen.

Doch wie haben die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon vom 11. September 2001 die USA als Nation und Gesellschaft verändert? Im Interview sprechen die beiden LMU-Amerikanisten Professor Christof Mauch und Professor Michael Hochgeschwender über die kulturellen, innenpolitischen und außenpolitischen Folgen eines nationalen Traumas.

Vor den brennenden Zwillingstürmen des World Trade Center in New York überqueren Fußgänger am 11.9.2001 die Brooklyn Bridge.
© picture-alliance / dpa | epa afp Abrams

„Amerika verstand, dass es verletzlich war“

© Martin Hangen

Professor Christof Mauch war am 11. September 2001 in Washington D.C. Im Interview spricht er über persönliche Erlebnisse und wie eine Gesellschaft nach den Anschlägen weitermacht.

Im Zusammenhang mit dem 11. September fällt oft der Begriff des „nationalen Traumas“. Teilen Sie diese Ansicht?

Christof Mauch: Ja. Der 11. September ist ein echtes Lehrbuchtrauma und hat das Selbstbewusstsein der USA erschüttert. In mancher Hinsicht mehr als vergleichbare Ereignisse. Nationale Traumen hat es in den USA immer wieder gegeben. Im Bürgerkrieg im 19. Jahrhundert hatten sich Amerikanerinnen und Amerikaner gegenseitig bekämpft und das Land von innen her zerstört. 100 Jahre später kam Vietnam: Die Amerikaner konnten nicht begreifen, dass man trotz vieler Verluste und militärischer Überlegenheit den Krieg verloren hat.

Inwiefern war der 11. September anders?

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Christof Mauch: Am 11. September wurden die USA getroffen. Vorher war das nur ein einziges Mal geschehen, 1941 in Pearl Harbor. Aber damals hatte ein mächtiger Gegner angegriffen: Japan. Einer, gegen den man mit militärischen Mitteln zurückschlagen konnte. Am 11. September kannten die USA den Gegner nicht. Sie konnten nicht zurückbomben, keinen traditionellen Krieg erklären. Was für das kollektive Erfahren besonders schlimm war: der Gegner hatte die USA fast ohne Ressourcen – mit Waffen, die keine waren – tief getroffen und das Selbstverständnis verletzt. Die Terroristen vom 11. September kamen aus einem der ärmsten Länder der Welt. Die amerikanische Bevölkerung hatte diese Menschen nicht auf dem Radar, aber die Attentäter hatten Amerika auf dem Radar. In gewisser Weise waren sie globalisierter als die USA. Sie hatten die stolzeste Wirtschaftsmacht auf dem Globus an symbolischen Orten – dem Weltwirtschaftszentrum und dem US-Verteidigungsministerium – getroffen.

„Ein Krieg, in dem ein Sieg ausgeschlossen war“

Professor Michael Hochgeschwender ist Amerikanist. Im Interview spricht er über Afghanistan und die außenpolitischen Folgen des 11. Septembers.

Hatte Präsident Bush keine andere Wahl, als einen Krieg in Afghanistan zu beginnen?

Michael Hochgeschwender: Die Optionen waren definitiv nicht sehr vielfältig. Er musste nach einem solchen Angriff, der oft mit Pearl Harbor gleichgesetzt wurde, reagieren. Es wäre auch zu wenig gewesen, nur auf Bin Laden Jagd zu machen. Der Unterschied zu Pearl Harbor war jedoch, dass man es nicht mit einem staatlichen Akteur zu tun hatte, sondern mit einem Terrornetzwerk. Die Frage ist deswegen: Wie sinnvoll war der Einsatz in Afghanistan als groß angelegter Krieg? Es wären auch Kommando-Operationen vorstellbar gewesen. Auf amerikanischer Seite bestand aber offensichtlich auch das Bedürfnis, durch einen Angriff auf Bagdad entsprechende Bilder zu erzeugen als Antwort auf die großen Bilder, die El Kaida erzeugt hatte. Es geht hier um kulturelle Kriegsführung und Propaganda – ein Festbrennen der Ikonographie.

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Sollten diese Bilder abschreckend wirken?

Michael Hochgeschwender: Sicherlich. Allerdings sollten auch die zugrundeliegenden Handlungen abschrecken. Nach dem Motto: „Wir kriegen euch überall, selbst dort, wo ihr euch sicher fühlt.” Es stellt sich aber die Frage, ob man Terroristen überhaupt abschrecken kann. Die Gewaltspirale immer weiter eskalieren zu lassen, ist Hauptziel und auch Kommunikationsform terroristischer Anschläge. Es geht darum, den von Terror betroffenen Staaten die Maske der Zivilisation vom Gesicht zu reißen.

Die USA liefen also Gefahr, in eine Falle zu tappen, die die Terroristen für sie ausgelegt hatten. Insbesondere, wenn die Kriegsführung in Afghanistan und Irak dann den Ansprüchen nicht genügte, die man sich selbst gestellt hat, und so eher die Bevölkerung verschreckt und abstößt.

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