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Archäologie: Heirat im Minoischen Kreta

16.01.2023

Neue Analysen alter Genome erlauben detaillierte Einblicke in die Familienstrukturen der ägäischen Bronzezeit. Die Daten zeigen, dass die Partnerwahl keineswegs zufällig, sondern von der eigenen Verwandtschaft bestimmt wurde.

Als Heinrich Schliemann vor über 100 Jahren die goldreichen Schachtgräber von Mykene mit ihren berühmten Goldmasken entdeckte, konnte er über die Verwandtschaft der darin bestatteten Menschen nur spekulieren. Nun ist es mit Hilfe der Analyse alter Genome gelungen, erstmals Einblicke in Verwandtschafts- und Heiratsregeln im minoischen Kreta und dem mykenischen Griechenland zu gewinnen. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin Nature Ecology & Evolution veröffentlicht.

Bronzezeitliche Familie bei der Getreideernte

© Nikola Nevenov

Zusammen mit seinem Forschungsteam am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) und internationalen Partnern hat LMU-Archäologe Philipp Stockhammer mehr als 100 Genome bronzezeitlicher Menschen aus der Ägäis analysiert. „Ohne die großartige Zusammenarbeit mit unseren Partnern in Griechenland und weltweit wäre das nicht möglich gewesen“, sagt Stockhammer, einer der führenden Autoren der Studie und Leiter des ERC Consolidator Grants „Soziale Zugehörigkeit im mykenischen Griechenland aus ingegrativer, bioarchäologischer Perspektive“, dessen Fragestellungen der Studie zugrunde liegen.

Erster biologischer Stammbaum einer mykenischen Familie

Erst jüngste methodische Fortschritte in der Produktion und Auswertung alter genetischer Datensätze haben es nun ermöglicht, auch in Regionen mit klimabedingt problematischer DNA-Erhaltung wie Griechenland umfangreiche Daten zu produzieren. Für das Gehöft einer mykenischen Familie des 16. Jahrhunderts vor Christus ist es sogar gelungen, die Verwandtschaft der Bewohner zu rekonstruieren. So entstand der erste Familienstammbaum, der bislang für den gesamten antiken Mittelmeerraum genetisch rekonstruiert werden konnte.

Anscheinend wohnten einige der Söhne auch noch im Erwachsenenalter im Gehöft der Eltern. Zumindest wurden ihre Kinder in einem Grab unter dem Hof des Gehöfts bestattet. Eine der einheiratenden Ehefrauen brachte gleich noch ihre Schwester mit in die Familie, deren Kind ebenfalls dort bestattet wurde.

Illustration einer Olivenernte in der ägäischen Bronzezeit

© Nikola Nevenov

Heirat mit Cousine oder Cousin ersten Grades

Völlig unerwartet war jedoch ein weiterer Befund: Auf Kreta und den anderen griechischen Inseln wie auch auf dem Festland war es vor 4000 Jahren üblich, seine Cousine bzw. seinen Cousin ersten Grades zu heiraten. „Mehr als tausend alte Genome aus den verschiedensten Regionen der Welt sind inzwischen publiziert, aber so ein strenges System der Verwandtenheirat scheint es sonst nirgendwo in der Antike gegeben zu haben“, sagt Eirini Skourtanioti, die Erstautorin der Studie, die die Analysen durchgeführt hat. „Das kam für uns alle völlig überraschend.“

Wie diese besondere Heiratsregel zu erklären ist, kann das Forschungsteam nur mutmaßen. „Vielleicht wollte man auf diese Weise verhindern, dass das ererbte Ackerland immer weiter aufgeteilt wurde. Auf jeden Fall garantierte es eine gewisse Kontinuität der Familie an einem Ort, was etwa für den Anbau von Oliven und Wein eine wichtige Voraussetzung ist“, vermutet Stockhammer. „Sicher ist, dass die Analyse alter Genome uns auch in Zukunft fantastische, neue Einblicke in antike Familienstrukturen ermöglichen wird“, ergänzt Skourtanioti.

Eirini Skourtanioti, Philipp Stockhammer et al. Ancient DNA reveals admixture history and endogamy in the prehistoric Aegean. Nature Ecology & Evolution, 2023.

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