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Auftauchen aus dem Lockdown

20.05.2020

Erfahrungsbericht aus der Forschung: Die Schließung seiner Labore musste der Alzheimerforscher Christian Haass urplötzlich aus dem Urlaub in der Ferne organisieren. Heute, zwei Monate später kann er den Betrieb vorsichtig schrittweise wieder hochfahren.

Aufnahme von Prof. Dr. Christian Haass, Sprecher des Exzellenzclusters „SyNergy – Munich Cluster for Systems Neurology“

© Jan Greune / LMU

Als der Lockdown kam – was ging da noch im Labor?

Haass: Am Anfang ging erstmal gar nichts mehr, das Labor wurde komplett geschlossen. Es ließ sich nur noch ein Notbetrieb vor allem für die Tierhaltung und einige technische Dinge, die besonders wichtig waren, aufrechterhalten. Das war Mitte März. Ich war gerade im Urlaub, weit weg, ziemlich remote. Am dritten Tag dort ging das Ganze los. Es war von da aus etwas schwierig, das alles zu koordinieren.

Was haben Sie dann veranlasst?

Haass: Wir haben sofort versucht, die Leute ins Homeoffice zu bringen. Es gab bereits vorher schon Notfallpläne, in dem Fall hatte das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), zu dem ein Großteil meines Labors gehört, sie zentral von Bonn aus schon von Mitte Februar an vorbereitet. Auch für die Notfallbesetzung in der Tierhaltung war gesorgt. Das war uns extrem wichtig. Wenn da was passiert wäre, wäre das eine Megakatastrophe gewesen. Die größte Sorge war, dass die ganze Mannschaft in der Tierhaltung ausfällt, weil sie in Quarantäne muss, und dass wir dann unsere ganzen Tiere verlieren. Bei amerikanischen Kollegen war das so, die mussten alle ihre Tiere keulen. Das ist ein dramatischer Verlust und obendrein ethisch kaum zu vertreten.

Aber es ist gut gegangen?

Haass: Ja. Wir haben die Arbeiten dort ganz massiv runtergefahren, wir haben zum Beispiel keine neuen Verpaarungen und keine neuen Experimente mehr angesetzt. Nur das, was absolut notwendig war, lief auf kleiner Flamme weiter. Und wir haben vermieden, dass Personal aus den Labors mit den Mitarbeitern in der Tierhaltung in direkten Kontakt kommt.

Haben Sie in dieser Zeit mehr Ergebnisse produziert, weil Sie zwar kaum Experimente machen konnten, dafür aber mehr Zeit für Auswertungen hatten?

Haass: Man kann sicher im Homeoffice ein, zwei Wochen ein bisschen was auswerten und damit schneller vorankommen. Aber am Ende fehlte uns tatsächlich die Arbeit an der Bench und auch die direkte Zusammenarbeit im Team. Für mich war das ein Riesenproblem, ich war nur einen halben Tag im Homeoffice und den Rest der Zeit war ich dann hier. Ich kann vom Homeoffice aus nicht arbeiten.

Eine Phase der Einkehr, zu der das Homeoffice zu Anfang gerne verklärt wurde, die gab es nicht, es stieg einfach nur der Stresspegel?

Haass: Muße? Nein, ganz und gar nicht. Die Forschung lebt davon, dass man flexibel und schnell reagieren kann. Das war ja nicht mehr möglich, die Leute saßen zuhause und Labmeetings gingen nur noch über Video. Und dann kam quasi über Nacht dazu, dass wir die gesamte Lehre umstrukturieren mussten. Für immerhin 1.000 Medizinstudenten das gesamte Semester schlagartig auf E-Learning umstellen, alle Vorlesungen, alle Kurse, alles schlicht und einfach.

Aber jetzt können Sie den Laborbetrieb langsam wieder hochfahren?

Haass: Wir haben schon recht früh angefangen, ein Viertel der Mitarbeiter wieder ins Labor zu lassen, also eine Person pro Bay. Wir haben Großraumlabors und jede dieser Zonen hat vier Benches und vier Schreibplätze. Organisiert haben wir das über einen Online-Kalender, in dem jeder seine Zeiten buchen muss.

Mit Timeslots rund um die Uhr?

Haass: Leider nicht ganz rund um die Uhr, das war den Mitarbeitern nicht zuzumuten. Aber so konnten man wenigstens mal ein paar Dinge machen. Wir haben vor allem Teil dringliche Überarbeitungen von Experimenten durchgeführt, die die Gutachter für Veröffentlichungen gefordert haben, sogenannte Paper Revisions, damit mussten wir rasch wieder loslegen. In der Zwischenzeit sind wir jetzt bei zwei Personen pro Bay.

In Ihrem Haus gibt es ja auch unterschiedliche Sicherheitsvorschriften.

Haass: Ja, tatsächlich. Die Helmholtz-Gemeinschaft, zu der das DZNE gehört, hatte zunächst zentral die Anweisung gegeben, den Laden zu schließen und auf Minimal Operation Status herunterzufahren. Die zweite Hälfte des Hauses, das Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD), hängt am LMU Klinikum – mit etwas anderen Sicherheitsvorschriften. In der Zwischenzeit haben Herr Dichgans, der das ISD leitet, und ich das gemeinschaftlich geregelt. Für jede neue Vorschrift überlegen wir gemeinsam, wie wir sie im ganzen Haus gemeinsam umsetzen.

Wie ist jetzt das Arbeiten?

Haass: Wir haben uns darauf verständigt, dass wir alle einen Mundschutz tragen. Wir halten natürlich auch die verlangten Abstandsregeln ein. Das ist vor allem in den kleinen Labors, in denen wir etwa Zellkulturarbeiten machen, oder in den Mikroskopierräumen nicht ganz einfach; da kann dann eben nur eine Person rein. Das verlangsamt die Arbeit schon. Wir liegen jetzt bei etwa 50 Prozent, ich würde sagen, eher etwas drunter.

Ein Quarantänefall wäre in der Situation natürlich eine Katastrophe.

Haass: Ja, natürlich, wir versuchen deshalb akribisch die Vorschriften einzuhalten, tragen Handschuhe und Mundschutz. Wir sorgen dafür, dass von außen nur Leute mit Anmeldung reinkommen, nur in unserer Begleitung und unter strengen Auflagen.

Können Sie jetzt überhaupt neue Experimente starten?

Haass: Es ist nach wie vor schwierig, aber wir probieren das jetzt langsam wieder. Aber bis zum Vollbetrieb kommt, wird es noch dauern. Wir machen auch unsere ganzen Laborbesprechungen weiterhin per Video. Es fehlt mir sehr, mich nicht mit meinen Leuten in den Konferenzraum setzen zu können.

Forschung lebt ja auch vom internationalen Austausch auf Konferenzen. Wie wirken sich eigentlich die rigiden Reisebeschränkungen aus?

Haass: Drastisch. Alle meine Meetings bis Ende Oktober sind abgesagt. Komplett. Ich werde dieses Jahr so gut wie nicht zum Flughafen fahren. Wir hätten vor zwei Wochen beispielsweise ein Meeting in Boston gehabt, das wurde dann per Video gemacht an zwei Nachmittagen und Abenden, was zur Folge hatte, dass man tagsüber noch andere Videokonferenzen hatte. Man denkt immer, man hätte jetzt viele Termine frei, weil so viel ausfällt. Ganz im Gegenteil, mit den vielen Videokonferenzen hat sich das Ganze stark verdichtet.

Wenn Sie jetzt wie geplant den Betrieb weiter hochfahren können – wie viel Zeit werden Sie dann am Ende durch den Lockdown verloren haben?

Haass: Ich schätze mal, ein halbes Jahr mindestens. Wenn ich das mit meinen amerikanischen Kollegen vergleiche, ist das womöglich noch vergleichsweise wenig. Bei fast allen meiner Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, waren die Labors komplett dicht. Ich mache mir natürlich große Sorgen, dass es in Deutschland einen Rückfall gibt. Die Lockerungen werden doch sehr locker genommen. Wenn wir dann eine richtige Ausgangssperre bekommen, dann haben wir ein Problem.

Jetzt ist die Abkehr von der Konferenzkultur erzwungen – wird davon etwas bleiben in der Zeit nach Corona?

Haass: Ja, das glaube ich. Viele Meetings werden noch stattfinden, es ist wichtig, dass man auch persönlich miteinander redet, weil man da auf viele neue Ideen kommen und Zusammenarbeiten entstehen lassen kann. Das geht per Videokonferenz schwer. Es gibt aber andere, vor allem administrative Konferenzen, die jetzt natürlich auch per Video stattfinden. Und da weiß ich nicht, warum wir die tatsächlich noch vor Ort machen sollten. Das wird viel Zeit und Geld sparen und auch der Umwelt gut tun.

Prof. Dr. Christian Haass ist Inhaber des Lehrstuhls für Stoffwechselbiochemie an der LMU und Sprecher des Münchner Standorts des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE).

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