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Bakterien: Evolution in der Tiefe

17.08.2021

Mikroorganismen, die tief unter dem Meeresboden in Millionen Jahre altem Sediment eingeschlossen leben, entwickeln sich dennoch genetisch fort.

Petrischale mit Bakterien aus einem Millionen Jahre alten Sediment. | © Orsi / LMU

Bei Bakterien läuft die Evolution oftmals im Zeitraffertempo ab. Sie vermehren sich schnell. Daher machen sich zufällige Veränderungen im Erbgut, die die Eigenschaften der Bakterien beeinflussen, rasch bemerkbar. Bakterien tauschen zudem ihr Genom beziehungsweise Teile davon auch untereinander aus – ein Vorgang, der als Rekombination bezeichnet wird. Mutationen, die dem Organismus eher schaden, werden auf diese Weise wieder ausgeglichen. Solche, die einen Überlebensvorteil bringen, können sich als neue Eigenschaft ausbreiten. Umweltbedingungen, etwa der Selektionsdruck durch Antibiotika tun ihr Übriges dazu, um der Bakterienevolution Vorschub zu leisten.

So läuft es zumindest oberhalb der Erdoberfläche sowie in oberflächennahen Erdschichten ab. Was aber ist mit Bakterien, die in Millionen Jahre alten Sedimentschichten unter dem Meeresboden quasi eingesperrt sind? „Hier haben viele Kollegen bislang die Hypothese vertreten, dass dort keine Evolution stattfinden kann“, sagt William Orsi, Professor für Geomikrobiologie in der Sektion Paläontologie & Geobiologie am Department für Geo- und Umweltwissenschaften und dem Geobio-Center der LMU. Der Grund dafür: Bakterienpopulationen in den uralten Sedimenten unter dem Meeresboden zeichnen sich durch einen extrem langsamen Stoffwechsel und eine entsprechend niedrige Fortpflanzungsrate aus. Auch ein genetischer Austausch ist aufgrund der Isolation nicht ohne Weiteres möglich. In der Folge gibt es kaum Gelegenheit, dass neue Eigenschaften entstehen und sich verbreiten.

Evolution in Millionen Jahre alten Sedimenten

Soweit die Theorie. Tatsächlich findet jedoch auch unter diesen besonderen Lebensbedingungen durchaus Evolution statt. Das hat das LMU-Team um Orsi jetzt gemeinsam mit Wissenschaftlern der University of Arizona, USA sowie weiteren internationalen Kollegen herausgefunden. Die Idee zu der Studie entstand vor mehr als fünf Jahren, als William Orsi und Gert Wörheide, Inhaber des Lehrstuhls für Paläontologie & Geobiologie, einen Ansatz zusammen entwarfen, um die Hypothese zu testen, ob Evolution tief unter der Erdoberfläche abläuft. Die Forschenden hatten aus mehreren Millionen Jahre alten Sedimenten, die sich heute unterhalb des Meeresbodens befinden, Bakterien der Gattung Thalassospira isoliert und ihre Genome analysiert. Dabei stellte sich heraus, dass die untersuchten Vertreter eine große Anzahl von sogenannten Pseudogenen angesammelt hatten. Dabei handelt es sich um Erbgut-Abschnitte, die in ihrem Aufbau zwar einem Gen ähneln aber jedoch nicht funktional sind, denn sie dienen nicht als Bauanleitung für Proteine.

Demnach treten bei der Vermehrung dieser Bakterien Mutationen auf, die im ungünstigen Fall zu einem Verlust der Genfunktion führen können. Dadurch, dass die Bakterien im Sediment nicht in engem Kontakt mit anderen Bakterien sind, gleicht sich der Verlust nicht durch Rekombination aus. Der „Fehler“ verbleibt im Genom und wird von Generation zu Generation weitergereicht. Über einen langen Zeitraum entstehen so derart veränderte Organismen, dass sie eigene Typen innerhalb ihrer Art bilden. Entsprechend unterscheiden sich die Genome der isolierten Thalassospira-Vertreter aus dem Sediment auch deutlich von Stämmen, die oberhalb der Erdoberfläche leben und im genetischen Austausch miteinander stehen.

„Einen ähnlichen Effekt kennen wir von endosymbiontischen Bakterien, also solchen, die im Inneren eines Wirtsorganismus leben“, sagt Orsi. Auch diese Bakterien sind derart isoliert, dass keine genetische Rekombination stattfindet und sich Mutationen ansammeln. Eine sogenannte Gendrift vollzieht sich, bei der im Laufe der Zeit Gene stillgelegt werden oder sogar ganz verloren gehen. „Dass wir vergleichbare evolutionäre Mechanismen jetzt bei Bakterien in Sedimenten unter dem Meeresboden ausmachen konnten, legt nahe, dass diese Vorgänge in der Natur viel häufiger vorkommen als bislang angenommen.“

William D. Orsi, Tobias Magritsch, Sergio Vargas, Ömer K. Coskun, Aurele Vuillemin, Sebastian Höhna, Gert Wörheide, Steven D’Hondt, B. Jesse Shapiro, Paul Carini. Genome evolution in bacteria isolated from million-year-old subseafloor sediment. In: mBio, 2021

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