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Biokalypse Now

03.12.2018

Michael Schrödl zeichnet in seinen Büchern ein erschreckendes Bild: Die Natur stirbt und der Mensch ist untätig im Angesicht des Unterganges. Der LMU-Biologe verlangt ein schnelles Umdenken. Noch ist die „Biokalypse“ abzuwenden.

Professor Michael Schrödl am Arbeitsplatz

Professor Michael Schrödl

„Indem wir neue Arten beschreiben, geben wir dem Leben ein Gesicht, das wir bedrohen“, sagt der Biologe. | © privat

Man sieht es Professor Michael Schrödl nicht an, wenn er so vor einem sitzt und erzählt, die Mundwinkel immer leicht nach oben gezogen, aber er ist sauer. Sauer und frustriert. Er spricht über den Klimawandel und das damit einhergehende Artensterben. Insbesondere Zweiteres wühlt ihn auf. Der Bürostuhl vermag ihn kaum zu halten, denn Schrödl beugt sich weit vor, wenn er spricht. Als ob er jeden Moment bereit wäre aufzuspringen und das Problem in die Hand zu nehmen.

So leicht ist das allerdings nicht. Es ist nicht nur die Schwerindustrie mit ihren fossilen Brennstoffen, die das Klima und die Laune des Professors zum Kippen bringen. „Wir stecken in einem Teufelskreis“, erzählt Schrödl. Momentan brennen Teile des Regenwaldes im Amazonasgebiet. Die borealen Nadelwälder trocknen aus und werden zu Zunder. Permafrostböden tauen und geben tonnenweise gespeichertes Methan frei. Und überall stirbt die einheimische Fauna. „All diese Phänomene wurden durch den Klimawandel begünstigt und werden ihn weiter verschlimmern."

In seiner Forschung beschäftigt sich Michael Schrödl mit Taxonomie, der Beschreibung von Arten und ihrer Verwandtschaftsbeziehungen. Überall in seinem Büro hängen Bilder und Stammbäume von Schnecken, Muscheln und anderen Weichtieren. „Auf den Spuren von Charles Darwin wandeln“, so beschreibt er selbst seinen Bereich. Doch zunehmend scheint es wie Sisyphos-Arbeit. Es kann gut sein, dass manche der Abbildungen mittlerweile Sterbebilder sind.

Tierarten sterben aufgrund von Lebensraumverlust, Umweltverschmutzung und Klimaveränderungen schneller aus, als man sie beschreiben kann.

Eine Frage des Überlebens

Aber was heißt es konkret, wenn mehr und mehr Arten verschwinden? Wird die Evolution das nicht irgendwie ausgleichen? Schrödl lacht, doch es ist ein bitteres Lachen: „Wir sind irgendwann selbst dran. Es ist erst einmal sehr schade, wenn wir drei Milliarden Jahre Evolution auslöschen, aber gleichzeitig ist unser gesamtes Ökosystem abhängig von einer Vielzahl an Wechselwirkungen von Organismen.“

Noch gibt es Redundanzen im Tierreich: Stirbt eine Art aus, die CO2 im Meer bindet, Biomasse am Waldboden aufbaut oder Nährstoffe recycelt, gibt es weitere Arten, die der gleichen Tätigkeit nachkommen. Geht das Sterben allerdings weiter, wird das Ökosystem instabil, es kippt.

Fische schwimmen durch ein abgestorbenes Korallenriff

Nur noch weiße Skelette statt blühendem Leben: In einem abgestorbenem Korallenriff finden Meeresbewohner weder Schutz noch Futter.

© IMAGO / OceanPhoto

Solche „verarmten“ Systeme sind in der Regel weniger leistungsfähig – sowohl hinsichtlich ökonomischer Funktionen wie der Produktion von Holz, als auch hinsichtlich ihrer natürlichen Funktionen, wie dem Binden von Treibhausgasen. Bis 2050 spricht Schrödl in seinem Buch Unsere Natur stirbt von einer „Biokalypse“. Bis dahin gebe es keine größeren Korallenriffe mehr. Die Meere vermüllten, Nahrungsnetze im Plankton brächen zusammen, die Weltfischerei kollabiere mit ihnen. Der Forscher ist sich sicher: „Das wird zu Hunger und Flucht führen. Riesige Küstengebiete werden unbewohnbar. Wir müssen uns auf eine Krise einstellen, wie wir sie noch nie erlebt haben.“

Durch Brände, Klimawandel und Artenschwund würden ebenfalls weite Teile des Regenwaldes sterben. Mit Auswirkungen, die weit über seine Grenzen hinausgehen. „Tropenwälder im Amazonas funktionieren als Wasserpumpe für den ganzen Kontinent“, erklärt Schrödl. Wenn Wasser verdampft, kühlt es den Boden und gibt diese Energie wieder als Wolken ab. Das lässt einen Sog entstehen, der feuchte Luft vom Atlantik ansaugt und so zu Regen führt. „Gibt es also weniger Bäume, gibt es weniger Regen und damit noch einmal weniger Bäume – üppige Regenwälder verdorren“, so Schrödl. Ganze Nationen würden unter Dürren leiden. Von CO2 und Methan, das nicht mehr gebunden werden kann, ganz zu schweigen.

Verlorenes Potenzial

Und wie viele Spezies verenden letztendlich mit dem Abbrennen des Regenwaldes? Wie viele verschwinden für immer in den Tiefen der sich erwärmenden und übersäuernden Ozeane? Die Schätzungen reichen von Hunderten bis hin zu Hunderttausenden. Persönlich spricht Schrödl von bis zu 60.000 Arten, die jährlich aussterben. Diese Zahl hält der Biologe für konservativ geschätzt. Die Dunkelziffer könne durchaus höher sein.

Für ihn ist die aktuelle Situation mit dem letzten großen Aussterbeereignis vergleichbar: „Als die Dinosaurier bis auf die Vögel ausstarben, wurden rund 70 Prozent der Arten ausgelöscht. Wir sind auf einem guten Weg dahin.“

„Das Einzige, was wir allerdings tatsächlich über das momentane Sterben wissen, ist, dass wir nichts wissen. Wir wissen nicht, wie viele Arten täglich verschwinden und wir wissen auch nicht, welche“, beklagt Schrödl darüber hinaus. In seinen Augen verliert die Menschheit neben einem funktionierenden Ökosystem auch viel Potenzial. Lediglich zehn bis zwanzig Prozent der weltweiten Arten wurden wohl bis jetzt beschrieben. Mit den unbekannten Tieren sterben auch die Möglichkeiten, von ihnen zu lernen und sie zu studieren.

Mit der stetigen Rodung des Regenwaldes geht eins der größten Ökosysteme der Welt verloren.

© IMAGO / imagebroker

Ein Weg zurück?

Seinen Humor kann sich Michael Schrödl angesichts solcher Tatsachen nur aufgrund seines Optimismus erhalten. „Bis jetzt haben wir wenig getan, um unsere Umwelt zu retten. Das ist insofern eine Chance, weil wir noch viel Handlungspotenzial haben.“ Der Biologe sieht eine Kehrtwende hauptsächlich in der Renaturierung der globalen Böden und Wälder: „Erneuerbare Energien sind wichtig, fossile Treibstoffe sparen sowieso, aber ohne eine ökologisch verträgliche Landwirtschaft – und zwar weltweit – und riesige Naturschutzzonen wird das langfristig nicht ausreichen. Leben ist empfindlich und stirbt schneller, als Meere steigen können. Wir brauchen echten Klimaschutz, und der schützt die Natur, das Klima und die Menschen. Vor allem aber sollten wir erkennen, dass die Zeit drängt.“

Auch seine eigene Arbeit und die seiner Kollegen sieht er als Beitrag zum Umwelt- und Artenschutz. „Indem wir neue Arten beschreiben, geben wir dem Leben ein Gesicht, das wir bedrohen“, erklärt Schrödl. So hofft er, dass es zu einem gesellschaftlichen Umdenken kommt und dass der Naturschutz stärker in das kollektive Bewusstsein rückt. Deswegen gründete Schrödl erst kürzlich die Initiative „Artenvielfalt erforschen und retten“, über die er durch Spendengelder die Arbeit von zusätzlichen Taxonomen finanzieren möchte.

Am Ende seiner Ausführungen lehnt sich Schrödl in seinem Stuhl zurück. Es scheint anstrengend, darüber zu sprechen, was alles schiefläuft. Aber er will sich auch nicht der Verzweiflung hingeben, denn die führt in seinen Augen zu Untätigkeit. Stattdessen will er aufklären: „Um die Menschen wachzurütteln, habe ich meine Bücher über das Artensterben geschrieben. Zuhören will mir kaum jemand die ganze Zeit, weil das zu deprimierend ist“, sagt er und schmunzelt. „Ein Buch kann man immerhin mal weglegen."

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