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Borrelien: Einwanderer aus Asien

01.06.2022

Die Evolutionsbiologin Noémie Becker im Interview über ihr Forschungsprojekt zur Evolution der Borreliose-Erreger.

Sammeln von Zecken mit einem weißen Tuch

Noémie Becker sammelt Zecken in Japan, um die Evolution der Borreliose-Erreger zu untersuchen. | © privat

Lyme-Borreliose ist eine Infektionskrankheit, die durch Bakterien der Gruppe Borrelia verursacht wird. Verbreitet wird sie von Zecken, die die Borrelien als Vektoren von Wirt zu Wirt übertragen. Die Evolutionsbiologin Noémie Becker hat im Rahmen eines DFG-Projekts mithilfe genetischer Analysen untersucht, wie die Anpassung an unterschiedliche Wirte und Vektoren die Evolution der Erreger beeinflusst hat. Im Interview spricht sie über ihre Ergebnisse und welche Schlüsse daraus für menschliche Infektionen gezogen werden können.

Mit welchen Borrelien-Arten haben Sie sich beschäftigt?

Noémie Becker: Wir haben drei Arten untersucht: Borrelia bavariensis – die übrigens nicht so heißt, weil sie ihren Ursprung in Bayern hätte, sondern weil die Art vom in Oberschleißheim angesiedelten Nationalen Referenzzentrum für Borrelien benannt wurde – und Borrelia afzelii, die man beide hauptsächlich bei Nagetieren findet, sowie Borrelia garinii, die an Vögel adaptiert ist.

Alle Arten sind in ganz Eurasien verbreitet, und sie haben uns besonders interessiert, weil sie alle die Lyme-Borreliose beim Menschen auslösen können. Sie haben verschiedene Wirte, aber dieselben Vektoren: In Europa ist das hauptsächlich die Zeckenart Ixodes ricinus, in Asien die Zecke Ixodes persulcatus. Wir haben daher Borrelien aus über 2000 Zecken isoliert, die wir in Deutschland, Russland und Japan gesammelt haben. Borrelien sind für Mikrobiologen eine schwierige Art, denn sie wachsen in Kulturmedien nicht sehr gut. Aber es ist uns gelungen, Kulturen anzulegen, aus denen wir die DNA extrahieren und das Genom sequenzieren konnten.

Was haben Sie über die Herkunft der Borrelien herausgefunden?

Sehr wahrscheinlich stammen alle drei Arten ursprünglich aus Asien. Das schließen wir daraus, dass die genetische Diversität der Borrelien in Asien größer ist, dort scheint deren Entwicklung also den Ausgang genommen zu haben. Den Ursprung in Asien bestätigt auch der phylogenetische Stammbaum unserer Bakterienstämme, den wir rekonstruierten.

Im Zuge ihrer Ausbreitung nach Europa wechselten die Borrelien den Vektor und passten sich an unsere Zecke I. ricinus an. Besonders die Vogel-adaptierte Art B. garinii kann ihre Vektoren scheinbar sehr gut und regelmäßig wechseln, sie kann also schneller migrieren und sich besser anpassen. Die beiden an Nagetiere adaptierten Arten dagegen wanderten viel seltener zwischen den Kontinenten und haben den Sprung auf einen anderen Vektor vermutlich nur einmal gemacht, sie konnten sich also nicht so gut und schnell anpassen wie B. garinii.

Unterscheiden sich die Infektionen je nach Borrelien-Art?

Alle drei von uns untersuchten Arten können Menschen infizieren, aber sie erzeugen teilweise unterschiedliche Symptome. B. bavariensis und B. garinii findet man häufiger bei Neuroborreliose. Sie scheinen es also besser zu schaffen, das Gehirn zu infizieren. B. afzelii findet man eher in den Gelenken oder manchmal in der Haut. Es hängt aber auch sehr vom Patienten ab und ist schwer vorherzusagen.

Wie schnell Zecken Borrelien übertragen

Wie kann man eine Infektion verhindern?

Die beste Möglichkeit, Lyme-Borreliose zu verhindern, ist es, die Zecken so schnell wie möglich zu entfernen. Wenn man sie am selben oder am nächsten Tag erkennt und entfernt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Zecke Borrelien übertragen hat, sehr gering. Die Borrelien sitzen im Magen-Darmtrakt der Zecken und wenn die Zecke anfängt, Blut zu saugen, verändert sich dort das Milieu. Daraufhin migrieren die Borrelien bis zu den Speicheldrüsen der Zecke, und erst dann können sie auch übertragen werden. Das dauert 1-2 Tage.
Eine Borreliose zu erkennen ist nicht immer einfach.

Können aus Ihren Ergebnissen Schlussfolgerungen für die Diagnose oder die Behandlung von Borreliose gezogen werden?

Von einer bestimmten Gruppe von Genen war bereits bekannt, dass sie den Borrelien helfen, die menschliche Immunabwehr zu umgehen. Zu unserer Überraschung haben wir aber auch zwei Borrelien-Stämme in Proben infizierter Patienten gefunden, die diese Gene gar nicht besitzen. Trotzdem waren die Stämme infektiös, was zeigt, dass Borrelien wahrscheinlich mehrere Mechanismen besitzen, um das Immunsystem zu umgehen. Dieses Ergebnis ist interessant, weil diese Stämme nun genutzt werden könnten, um andere Umgehungs-Mechanismen zu finden.

Menschen sind eigentlich nicht die normalen Wirte von Borrelien, sondern beispielsweise Nagetiere und Vögel. Die eigentlichen Wirte bekommen keine Krankheiten durch die Borrelien. Wenn wir besser verstehen, wie sich Borrelien an diese Wirte anpassen, könnten wir auch besser verstehen, warum es beim Menschen anders ist und eventuell neue Angriffsziele für eine Impfung identifizieren.

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