Cornelia Nissen war schon als Kind von der Idee der Europäischen Union (EU) begeistert. Sie wuchs ganz im Norden Deutschlands an der Grenze zu Dänemark auf. Die 26-Jährige kann sich noch an die Zeit erinnern, in der ihre Eltern bei jedem Grenzübertritt ihre Pässe zeigen mussten. Erst 2001 fielen im Rahmen des Schengener Abkommens die Grenzkontrollen zu Dänemark weg. Das Europamotto „In Vielfalt geeint“ passt gut mit Cornelias Gefühl von Europa zusammen: Natürlich gebe es zwischen den Menschen in Europa viele Unterschiede, aber für sie persönlich überwögen die gemeinsamen Werte, wie zum Beispiel eine gemeinsame europäische Identität. Cornelia absolvierte Schüleraustausche, Auslandspraktika und ein EU-Erasmusjahr in Kopenhagen. „Ich habe jede Möglichkeit genutzt, um ins Ausland zu kommen“, sagt sie und lacht. So verwundert es nicht, dass Cornelia nicht lange zögerte, als sie von der Ausschreibung des EU Careers Ambassador an der LMU hörte. Bitte was?
EU Careers Ambassadors sind Studierende aus allen EU-Mitgliedstaaten, die vom Europäischen Amt für Personalauswahl (EPSO) ausgesucht werden, um andere Studierende über Karrieremöglichkeiten in der EU zu informieren. Die Initiative wurde 2010 von EPSO ins Leben gerufen und umfasst 150 Careers Ambassadors von über 100 beteiligten Universitäten. Aus Deutschland sind in diesem Jahr 17 Ambassadors dabei – so viele wie noch nie. Das nötige Werkzeug dazu erhielten sie bei einem Einführungswochenende mit Karrierebotschafterinnen und –botschaftern aus ganz Europa in Brüssel. Seitdem hält Cornelia Vorträge, gibt Bewerbungs-Workshops, besucht Berufsmessen, lädt Gastredner aus Brüssel nach München und bespielt die sozialen Netzwerke. Außerdem arbeitet sie eng mit den EU-Kontaktstellen in München zusammen – zum Beispiel mit dem Bürgerinformationszentrum Europe Direct im Gasteig-Kulturzentrum. Zusätzlich gibt es zweimal jährlich Karrierebotschafter-Treffen auf nationaler Ebene.
Beim Einführungswochenende in Brüssel erhalten die EU-Karrierebotschafter das richtige Rüstzeug für ihre Arbeit vor Ort. Foto: Cornelia Nissen
Viele deutsche EU-Beamte gehen bald in Ruhestand Ziel des Projekts: „Wir möchten uns dafür einsetzen, dass mehr Deutsche aus allen Fachbereichen bei der EU arbeiten“, erklärt Cornelia. Die Antwort überrascht. Schließlich beklagen viele Mitgliedsländer eher eine deutsche Dominanz in Brüssel. „In den höheren Beamtenebenen ist Deutschland gut aufgestellt“, bestätigt die LMU-Studentin. Das Problem: Viele davon gingen bald in den Ruhestand. Was ebenfalls viele Jobsuchende nicht wissen, ist, dass die EU neben Juristen und Wirtschaftswissenschaftlern auch Naturwissenschaftler, Linguisten, Generalisten und Psychologen sucht. EPSO kümmert sich um die Vorauswahl der Kandidaten. Dort werden Wettbewerbe, sogenannte Concours, zur Besetzung von Reservelisten für unbefristete Mitarbeit bei den EU-Institutionen durchgeführt. Diese sind berüchtigt, weil es teilweise mehr als 100 Bewerber für einen Listenplatz gibt. „Der Concours ist schwer, aber man kann ihn schaffen“, motiviert Cornelia. Und wenn es nicht klappt, könnten es Bewerber ohne berufliche Nachteile beim nächsten Mal einfach wieder versuchen. „Manche EU-Beamte haben es viele Male probiert, bis es geklappt hat“, sagt sie und lacht. Außerdem gebe es auch Karrieremöglichkeiten abseits der Beamtenlaufbahn. Das Beamtendasein in der EU bedeutet laut Cornelia übrigens nicht, ein Leben lang im selben Bereich zu arbeiten. Die EU ermögliche fachliche Wechsel und berufliche Weiterbildungen, die im normalen Berufsleben oft nicht möglich wären.
Die Motivation für ihre Tätigkeit als Karrierebotschafterin ist Cornelia anzumerken. „Ich brenne für die EU und dafür, andere Leute an meiner Begeisterung teilhaben zu lassen“, erzählt die 26-Jährige. Obwohl sie sich gerade im letzten Semester ihres Masters für Politikwissenschaft befindet, beim Rachel Carson Center ein Aufbaustudium in Environmental Studies absolviert, Tutorin ist und als Nebenjob noch bei Allianz Investment Management arbeitet, reist sie als Botschafterin bis in die entlegensten Ecken Bayerns. „Wenn man von etwas überzeugt ist, findet man immer die Zeit“, sagt Cornelia. Schon während ihres Bachelors in Köln half sie ehrenamtlich bei der internationalen Studentenorganisation AIESEC im Kernteam. Dort beriet sie Kommilitonen und Kommilitoninnen, die ins Ausland gehen wollten. „Es hat total Spaß gemacht herauszufinden, wo sie hinwollen und wo sie sich bewerben können“, erzählt sie. Sich in Dinge „reinzufuchsen“, wie sie sagt, das gefällt dem Nordlicht in München. In ihrer Bachelorarbeit ging es um Steuereffizienz.
„Bei der Europawahl im Mai dürfen nicht nur Kritiker zur Wahl gehen“ Dass bei der Europawahl vom 23. bis 26. Mai wohl so viel Antieuropäer wie noch nie ins EU-Parlament einziehen werden, ärgert Cornelia. „Wenn mehr und besonders junge Leute wählen gehen, wäre einem europäischen Rechtsruck wahrscheinlich entgegenzuwirken.“ Bei der letzten Europawahl lag die Wahlbeteiligung europaweit gerade einmal bei 43 Prozent, in Deutschland bei 48 Prozent. Deswegen hat sie sich für „Dieses Mal wähle ich“ registriert. Die EU-Kampagne ist nicht parteigebunden, sondern will zum Beispiel mithilfe einer Uni-Tour durch Deutschland zum Wählen motivieren. Wären mehr junge Menschen in Großbritannien zur Wahl gegangen, hätte es den Brexit wahrscheinlich nicht gegeben. Dass es wohl zum Austritt Großbritanniens kommen wird, bedauert Cornelia sehr. „Damit bricht ein wichtiger Teil der EU weg, weil das Land kritische und auch mal kontroverse Positionen eingenommen hat.“ Parteipolitisch will sich Cornelia nicht engagieren, weil sie an ihren Positionen keine Abstriche machen möchte. „Ich bin lieber mit Leuten im Gespräch.“ Sie freue sich aber, dass München Vorreiter bei proeuropäischen Demonstrationen sei. Könnte sie sich denn selbst vorstellen, nach dem Studium im September für eine Karriere bei der EU nach Brüssel zu ziehen? Selbstverständlich! „Wenn man in München lebt, liebt man natürlich diese Stadt“, räumt sie ein. „Aber Brüssel hat auch sehr schöne Seiten.“
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