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Brückenschlag zur Welt kleinster Einheiten

21.10.2018

Monika Aidelsburger experimentiert mit einer Spezialform optischer Gitter, um bislang schwer zugängliche Quantenphänomene zu beschreiben. Dafür hat sie einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrates bekommen.

Die Geheimnisse der Quantenwelt: In den vergangenen Jahren haben sich Forscher vom LMU-Lehrstuhl für Experimentalphysik von Immanuel Bloch so einige Tricks und Techniken einfallen lassen, um ihnen auf die Spur zu kommen, und dabei bereits enorme Fortschritte gemacht. Doch sind in der Quantenphysik längst nicht alle Phänomene verstanden und neue Theorien lassen sich oft nur schwer testen. Das Forschungsinteresse der Münchner Physiker gilt Phänomenen, die sie mit Hilfe von ultrakalten Quantengasen in Kristallen aus Laserlicht untersuchen. Nun hat Dr. Monika Aidelsburger, die eine Arbeitsgruppe an Blochs Lehrstuhl leitet, einen hochdotierten Grant des Europäischen Forschungsrates (ERC) für ein solches Experiment zugesprochen bekommen. Sie will ultrakalte Ytterbium-Atome in optischen Gittern aus Laserstrahlen fangen, um die Welt der Festkörper im Modell zu simulieren, in tausendmal vergrößertem Maßstab.

Die Physikerin, die auch am Max-Planck-Institut für Quantenoptik arbeitet, möchte dabei einen Schritt weitergehen und sogenannte Gittereichtheorien simulieren, welche die Wechselwirkung von Materie mit sogenannten Eichfeldern beschreiben. Die Materie selbst befindet sich dabei auf fiktiven Gitterplätzen, die Eichfelder existieren auf den Verbindungen zwischen den Gitterplätzen. Der große Vorteil des neuen experimentellen Ansatzes ist es, dass er auch den Zugang zu anderen Forschungsbereichen ermöglicht, denn Gittereichtheorien sind von fundamentaler Bedeutung in vielen Bereichen der Physik, beispielsweise in der Teilchenphysik für die theoretische Beschreibung des Standard-Modells. Sie sind wie ein Bindeglied, eine Brücke in andere Forschungsbereiche, da die Theorien beispielsweise gleichzeitig die Physik von stark-wechselwirkenden Elektronen in einem Festkörper und wichtige Phänomene in der Quantenelektrodynamik beschreiben. So lassen sich Quantenwelt und die Welt der klassischen Physik zusammenführen, die Quantensimulationen sind dann nicht mehr nur auf Phänomene der Festkörperphysik beschränkt. Aidelsburgers Spezialgebiet ist es, die Wirkung von Magnetfeldern zu simulieren. „Magnetfelder lassen sich über Eichfelder beschreiben“, sagt die LMU-Physikerin. Die große Hoffnung der Physiker ist, dass sich damit auch Phänomene aus der Quantenwelt beschreiben lassen, die bisher nur schwer zugänglich waren.

Zwei langlebige Zustände

Noch steht der Aufbau des Experiments nicht, doch bald wird sich auf den Labortischen der Physikerin eine Landschaft aus optischen Linsen und Spiegeln, Lasern und Lichtleitungen finden. Im Labor realisierte Systeme aus ultrakalten Atomen in optischen Gittern haben bereits demonstriert, dass sich damit Phänomene der Festkörperphysik in einer kontrollierten Umgebung nachstellen lassen. Bei den bisherigen Experimenten können sich die Atome im Gitter bewegen, allerdings wird diese Bewegung durch die globalen Parameter des Gitters beeinflusst. Für die angestrebte Erweiterung auf Gittereichtheorien müssen es die Forscher schaffen, die Bewegung der Atome im Gitter lokal exakt zu kontrollieren.

Technisch ist der Aufbau extrem anspruchsvoll, weil die Symmetrien der Eichtheorie exakt vorgeben, wie das passieren muss. „Das erfordert komplett neue experimentelle Ansätze“, sagt Aidelsburger. „Aber gleichzeitig wäre eine erfolgreiche Umsetzung ein enormer Fortschritt.“ Die Forscher haben im Lauf der vergangenen Jahre zahlreiche Tricks gelernt, wie man Quantengase auf Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt kühlt, wie man optische Gitter erzeugt und eine ganze Reihe verschiedener Atome etwa der Elemente Rubidium, Natrium, Strontium oder Lithium kontrollieren kann. Ytterbium-Atome verwendet Aidelsburger, weil diese zwei langlebige Zustände besitzen, die sich für Simulationen gut nutzen lassen. Die Physikerin will sehr stark fokussierte Laserstrahlen verwenden, um die Bewegung der Atome im Gitter lokal zu steuern. Die Atome übernehmen bei der Simulation einerseits die Rolle der Materie und andererseits die Rolle der Felder, die zwischen den Gitterplätzen sitzen.

Es ist technisch möglich, diese beiden Zustände so zu beeinflussen, dass sich die Bewegung der Atome in beiden Zuständen miteinander koppeln lässt. „Eine solche lokale Kopplung erlaubt es uns erstmals, fundamentale Bausteine von einfachen Gittereichtheorien experimentell zu realisieren“, sagt Aidelsburger. Die Technik lasse sich später vergleichsweise einfach auf größere Gitterstrukturen und höhere Dimensionen erweitern, sodass die Wissenschaftler bereits mit einfachen Prozessen Gittereichtheorien umsetzen können, die eine wichtige Rolle sowohl in der Festkörperphysik als auch der Quantenelektrodynamik spielen. Das ist Neuland. „Wir eröffnen mit unseren Versuchen völlig neue experimentelle Möglichkeiten, bestimmte Phänomene zu untersuchen und Ideen für neue Theorien zu entwickeln“, sagt Aidelsburger.

Das Eichen der Experimente

Die Aussicht, am Lehrstuhl für Experimentalphysik von Immanuel Bloch daran einige Jahre im Rahmen einer Tenure-Track-Professur arbeiten zu können, war ein nicht unwichtiger Grund, weshalb die Physikerin nach ihrer Zeit als Postdoc am Collège de France in Paris nach München zurückgekehrt ist. „Als junge Wissenschaftlerin braucht man solche längerfristigen Perspektiven, gerade, wenn es um derart komplexe Experimente geht.“ Solch ein neues System aufzubauen, kann bis zu drei Jahre dauern. Zunächst beginnen die Forscher mit einfachen Modellen und testen, ob die Simulationen mit bereits bekannten Ergebnissen aus den klassischen Theorien etwa in der Teilchenphysik oder Vorhersagen aus etablierten numerischen Methoden wie den Monte-Carlo-Simulationen zusammenpassen. Damit eichen die Forscher sozusagen ihre Experimente – und können sie dann schrittweise komplexer machen. Sie müssen dabei stets prüfen, ob die experimentellen Systeme die verschiedenen Phänomene, die sie simulieren sollen, auch tatsächlich richtig beschreiben. „Hier ist auch die Zusammenarbeit mit Theoretikern aus anderen Feldern wichtig“, sagt Aidelsburger. „Die Risiko ist natürlich groß, das ist auch für sie Neuland. Wir müssen ganz unterschiedliche Gebiete der Physik miteinander verbinden. Meine große Hoffnung ist, dass erste erfolgreiche Experimente einfacher Modelle eine große Resonanz in den verschiedenen Disziplinen findet.“

In den einfachen Modellen sind für die Ytterbium-Atome beispielsweise zunächst zwei definierte Zustände erlaubt, der Grundzustand und ein angeregter Zustand. Ziel ist es, im Lauf der Zeit noch weitere Zustände hinzuzufügen und damit noch kompliziertere Wechselwirkungen zu implementieren. Dies ist wichtig, um irgendwann mit ultrakalten Atomen die starke Wechselwirkung zwischen Quarks, den fundamentalen Bauteilen der Atomkerne, und Gluonen, die die Kernkraft vermitteln, simulieren zu können, was die Implementierung von weitaus komplexeren Gittereichtheorien erfordert.

Schon jetzt ist es technisch möglich, Systeme von 100 mal 100 Atomen in zweidimensionalen optischen Gittern zu realisieren, jeder einzelne Platz ist dabei im Prinzip einzeln ansteuerbar und sehr gut kontrollierbar. Mit Hilfe dieser analogen Quantensimulation lassen sich dynamische Effekte im System prinzipiell gut beobachten. Konkret gemessen wird dann etwa, ob ein Gitterplatz unter bestimmten Bedingungen besetzt ist oder nicht, auch der Zustand jedes Atoms lässt sich zu jedem Zeitpunkt praktisch in Echtzeit bestimmen. Die Physiker beginnen damit, allmählich eine Idee umzusetzen, die der berühmte amerikanische Physiker Richard Feynman schon in den 1980er-Jahren formuliert hatte. „Wir hoffen, mit unseren Aufbauten fundamentale Fragen in der Quantenchromodynamik experimentell zu untersuchen“, sagt Aidelsburger und bremst gleichzeitig übergroße Erwartungen: „Wir sind noch absolut am Anfang.“

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