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Computermodelle für chemische Reaktionen

05.05.2023

Benjamin Fingerhut, neu an der LMU, simuliert ultraschnelle Dynamiken auf Quantenebene.

Wie sich Atomkerne in Molekülen bewegen und dies zu chemischen Strukturveränderungen und Reaktionen führt – damit befasst sich Professor Benjamin Fingerhut. Neu an der LMU, simuliert er mit quantenmechanischen Computermodellen „ultraschnelle Dynamiken“. Sein Gebiet bewegt sich also auf der Ebene der Quanten, der kleinsten physikalischen Einheit. „Unsere Fragestellungen kommen aus der Chemie, die Methoden gewissermaßen aus der Physik.“

Nach dem Chemie-Studium an der LMU hatte Fingerhut 2011 auch hier promoviert – und entwickelte in seiner Doktorarbeit einen Algorithmus, um biomolekulare Elektronentransferreaktionen, zum Beispiel in Reaktionszentren von photosynthetisch aktiven Bakterien, zu modellieren. Im Rahmen eines Feodor Lynen-Stipendiums der Alexander von Humboldt-Stiftung ging er anschließend für zwei Jahre als Postdoktorand an die University of California, Irvine, wo er sich intensiv mit der theoretischen Beschreibung spektroskopischer Methoden befasste. Anfang 2014 wechselte er an das Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie in Berlin, wo er eine Emmy Noether-Nachwuchsgruppe aufbaute und einen ERC Starting Grant einwarb. Seit vergangenem Sommer wirkt er nun als Professor für Theoretische Chemie an der LMU und forscht an biomolekularer Dynamik.

Prof. Benjamin Fingerhut mit verschränkten Armen von dem Gebäude der Fakultät für Chemie

Professor Benjamin Fingerhut

© LCProductions

Prozesse im Femto- bis Pikosekunden-Bereich

Das Grundthema, das Fingerhut auf immer neue Weise beschäftigt, ist die „ultraschnelle Dynamik in kondensierter Phase“. „Das ist die Dynamik, die auf der elementaren Zeitskala der Kernbewegung stattfindet“, erklärt er. „Wir wollen sozusagen verstehen, wie sich Atomkerne in reagierenden Molekülen bewegen und wie diese Dynamik zu relevanten chemischen Prozessen führt.“ Diese finden im Femto- und Pikosekunden-Bereich von 10-15 beziehungsweise 10-12 Sekunden statt und lassen sich heute mithilfe von Laserspektroskopie in Echtzeit verfolgen. „Dabei wird das Molekül per Laser angeregt und beobachtet, wie es mit seiner Umgebung wechselwirkt“, so Fingerhut. Dabei interessiert Fingerhut nicht das isolierte, „frei im Raum schwebende“ Molekül, sondern das in der „kondensierten Phase“, also dem flüssigen oder festen Aggregatzustand. „Letztendlich wollen wir das zugrundeliegende Quantensystem in Wechselwirkung mit seiner Umgebung verstehen.“

Fingerhut selbst simuliert solche Reaktionen dabei theoretisch am Computer und vergleicht sie mit den experimentellen Beobachtungen seiner Forschungspartner. Für die Berechnungen, die sein Team mit einem selbst entwickelten Algorithmus anstellt, werden „sehr, sehr leistungsstarke Rechner“ benötigt. Ob Künstliche Intelligenz Benjamin Fingerhuts Kalkulationen beschleunigen könnte, werde wissenschaftlich gerade „ertastet“.

Seine numerischen Modelle haben vielerlei wissenschaftliche Anwendungen. „Eine ist die Erforschung der grundsätzlichen Dynamik der Photosynthese, bei der ja ein Photon absorbiert und dessen Energie in einem sogenannten Lichtsammelkomplex nutzbar gemacht wird.“ Dies und die darauf folgende zeitliche Dynamik des Elektronentransfers zwischen den Molekülen lasse sich mit seiner Methode genau simulieren. In Berlin hatte Fingerhut zudem die Grenzflächen zwischen die Desoxyribonukleinsäure (DNA) bzw. Ribonukleinsäure (RNA) umgebendem Wasser und darin eingebetteten Ionen erforscht. „Dabei war die Fragestellung: Was ist der Einfluss auf Struktur und Stabilität eines DNA- oder RNA-Strangs, wie könnte man daran andocken?“

„Qubits haben ein ähnliches Set-up“

Der Standort München war für Fingerhut nicht zuletzt wegen der zahlreichen Anknüpfungspunkte interessant, die sich seiner Gruppe innerhalb und außerhalb der LMU bieten. Im Rahmen des e-conversion-Clusters von TU und LMU etwa arbeitet er mit den LMU-Forschenden Ivana Ivanović-Burmazović, Professorin für Bioanorganische Chemie und Koordinationschemie, und dem Experimentalphysiker Professor Tim Liedl zusammen. „Und es gibt viele aus unserer Sicht hochinteressante Neuberufungen“, so Fingerhut. Man fühle sich in München wissenschaftlich sehr gut aufgehoben.

In der Lehre an der LMU schätzt Fingerhut eine Studierendenschaft, „die keine Scheu hat, die Professoren mit ihren Fragen herauszufordern“ und mit ihnen zu diskutieren. „Da sind schon helle Köpfe darunter, aus denen wir einmal sehr gute Nachwuchsforschende werden gewinnen können.“ In der Wissenschaft plant Fingerhut für die Zukunft, sich auch mit Quantentechnologien zu befassen. „Qubits, die Quantensysteme, auf denen Quantencomputer basieren, haben ein ähnliches Set-up wie die ultraschnelle Dynamik, die wir in der kondensierten Phase beobachten.“ Auch bei den elementaren Qubit-Einheiten wolle man schließlich verstehen, „wie die Umgebung zu ihrer Dephasierung und Relaxation, also der Rückführung in ihren energetischen Grundzustand, beiträgt“.

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