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CSI: LMU – Besuch in der Rechtsmedizin

15.02.2022

Marta Diepenbroek ist Forensikerin. Im Interview spricht sie über die Wahrheit hinter Krimiserien, ihre Forschung und was angehende Forensiker mitbringen sollten.

© Mayla Joy Wind / LMU

Weißer Kittel und direkt am Tatort – so sieht die Arbeit von Forensikerinnen und Forensikern zumindest auf Netflix aus. Wie realistisch sind die Darstellungen?

Marta Diepenbroek: Das ist nicht ganz an den Haaren herbeigezogen, aber es ist eigentlich nicht sehr üblich, dass Forensiker an einen Tatort gehen. Vor allem, wenn man nicht bei der Polizei angestellt ist. Normalerweise übernehmen das die Ermittler. Die Forensiker arbeiten dann mit den Proben im Labor.

Für mich persönlich gilt: Mein Labor ist mein Zuhause! (lacht)

Wie sieht die Fallarbeit für Sie persönlich aus?

Marta Diepenbroek: Mein Teil der Arbeit beginnt im Labor. Auch wenn ich als Forensikerin nicht selbst am Tatort bin, ist es sehr wichtig, dass ich über die Details des Falles informiert werde. Ich kann die Proben nicht analysieren, ohne ihren Hintergrund zu kennen und über mögliche Schwierigkeiten bei der Interpretation der Ergebnisse im Klaren zu sein.

Die Arbeit im Labor kann sehr hektisch und beruhigend zugleich sein. Oft lege ich im Hintergrund klassische Musik oder, je nach Stimmung, Rock auf. Konzentration ist bei der Arbeit am wichtigsten, denn manche Beweise können nur einmal gesammelt werden. Deswegen ist es wichtig, dass die Gedanken nicht irgendwo hinwandern. Denn am Ende des Tages können die Ergebnisse meiner Arbeit die Zukunft von jemandem beeinflussen. Zum Beispiel, wenn jemand für schuldig befunden wird.

#nachgefragt bei einer Forensikerin

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2:30 Min. | 15.02.2022

Das klingt nach einer verantwortungsvollen Aufgabe.

Marta Diepenbroek: Ich versuche, die Sache aus einer anderen Perspektive zu sehen: Ich habe bestimmte Fähigkeiten, weil ich DNA analysieren kann, und ich möchte diese Fähigkeiten einsetzen, um die Welt besser zu machen. Wenn jemand ein Verbrechen begangen hat, möchte ich, dass diese Person dafür verurteilt wird. Wenn jemand unschuldig ist, bin ich da, um zu helfen, ihn zu entlasten. Wenn es eine Familie gibt, die ihre Tochter seit zwanzig Jahren vermisst, bin ich da, um ihnen ihre Tochter zurückzugeben.

Ich versuche, mir der Verantwortung bewusst zu sein und darüber nachzudenken, aber ich versuche auch, ein Gleichgewicht zu finden und in der Lage zu sein, die Dinge auszublenden, damit sie emotional nicht zu überwältigend werden.

Warum haben Sie sich für die Forensik entschieden?

Marta Diepenbroek: Ich denke, dass es für mich gar keine andere Möglichkeit gab, als Forensikerin zu werden. In der Schule, in Polen, waren meine beiden Hauptinteressen Geschichte und Biologie. Ich entschied mich schließlich für ein Studium der Biotechnologie, weil es mir zukunftssicherer erschien. Gefallen hat es mir allerdings nicht. Viel zu technisch! Wir hatten jedoch einen Dozenten, der über DNA in der Forensik referierte, und das fand ich faszinierend.

Mehr Einblicke teilte Marta Diepenbroek auf @lmu.takeover

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In diesem Moment wussten Sie, dass Sie in der Forensik arbeiten wollten?

Marta Diepenbroek: Zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz. Ich habe dann versucht, an einer Summer School im DNA-Labor des forensischen Instituts in meiner Heimatstadt teilzunehmen. Dort wurde ich nicht genommen, aber sie boten mir einen Platz in der toxikologischen Abteilung an. Ich hasse zwar Chemie, aber ich dachte, dass es wenigstens im selben Gebäude ist. Ich blieb hartnäckig und ging immer wieder rüber in die DNA-Abteilung und schließlich luden sie mich zu einem Seminar ein, in dem sie zeigten, woran sie arbeiteten. Ihre Arbeit umfasste Exhumierungen und die genetische Identifizierung der gefallenen deutschen und russischen Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Das war der Tag, an dem ich sagte: Okay, das ist es, was ich in meinem Leben machen werde.

War das auch die Art von Arbeit, mit der Sie angefangen haben?

Marta Diepenbroek: Als Doktorandin an der Pomeranian Medical University in Polen habe ich hauptsächlich mit Knochen gearbeitet. Ich habe ganze Tage damit verbracht, sie zu reinigen, sie in Flüssigstickstoff zu zerkleinern und DNA aus ihnen zu extrahieren. Ich habe auch viel Zeit im Feld verbracht, um Knochen zu bergen. Im Zuge dessen habe ich mir mithilfe erfahrener Kollegen auch Anthropologie beigebracht. Ich wollte unbedingt in der Lage sein, alle Knochen zusammenzusetzen und zu verstehen, ob ein Knochen zum Beispiel vor oder nach dem Tod gebrochen wurde. In diesen Jahren im Feld habe ich viel Erfahrung gesammelt.

Gab es eine Feldarbeit, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Marta Diepenbroek: Meine Kollegen und ich haben an einem archäologischen Projekt gearbeitet, bei dem wir menschliche Überreste im ehemaligen Konzentrationslager Sobibor gefunden haben. Dieses Projekt war sowohl in wissenschaftlicher als auch in emotionaler Hinsicht sehr anspruchsvoll. Die Bestätigung, dass die Opfer Juden waren, ist das Wichtigste, was ich je getan habe.

Diese Arbeit war Teil eines größeren Projekts, das noch viele Erinnerungen weckt. Bei einer Exhumierung fand ich ein Skelett, an das ich mich immer erinnern werde. Ich fand es in einem Einzelgrab mit einer Kugel im Schädel und einer kleinen Kette mit dem Bild von der Heiligen Maria um den Hals. Einige Kollegen und ich analysierten die DNA der männlichen Überreste, und wir konnten eine Übereinstimmung mit seiner Tochter feststellen. Er war ein Zivilist und wurde hingerichtet, wahrscheinlich von der Gestapo. Nachdem er 70 Jahre lang vermisst wurde, konnten wir seiner Familie endlich Gewissheit geben.

An der LMU arbeiten Sie an Kriminalfällen, aber Sie sind auch in der Forschung tätig. Woran arbeiten Sie derzeit?

Marta Diepenbroek: Als ich an die LMU kam, konzentrierte sich meine Postdoc-Forschung auf die Implementierung einer neuen Technologie, die als Massively Parallel Sequencing bezeichnet wird. Sie ermöglicht es zum Beispiel, DNA-Marker zu analysieren, die dabei helfen können, die biogeografische Abstammung und den Phänotyp, also die körperliche Erscheinung, einer Person vorherzusagen. Diese Technologie ist noch recht neu und muss noch weiter evaluiert werden, vor allem wenn wir sie den Strafverfolgungsbehörden anbieten wollen. In den letzten drei Jahren haben wir daran gearbeitet, ein eigenes Vorhersagewerkzeug zu entwickeln, das unseren Bedürfnissen entsprach, und jetzt können wir es in unserer Routinearbeit einsetzen.

„Mein Labor ist mein Zuhause!“, lacht Marta Diepenbroek. Hier verbringt sie den Großteil ihrer Zeit.

Was sind in Ihren Augen die spannendsten Entwicklungen in der Forensik?

Marta Diepenbroek: Für mich definitiv die forensische DNA-Phänotypisierung! Derzeit können wir in Deutschland die Augen-, Haar- und Hautfarbe einer Person vorhersagen. Viele großartige Wissenschaftler arbeiten aber daran, neue Methoden zu entwickeln, mit denen vorhergesagt werden kann, ob der Täter Sommersprossen, lockiges oder glattes Haar hatte. Sogar das biologische Alter einer Person lässt sich anhand von DNA-Spuren vorhersagen. Wir sind noch nicht auf dem Niveau von CSI, aber wir sind auf dem Weg dahin. (lacht)

Als DNA-Analysen erstmals eingesetzt wurden, gab es viel Skepsis. Ist das bei diesen neuen Fortschritten in der Phänotypisierung auch so?

Marta Diepenbroek: Ich glaube, als die forensische DNA-Phänotypisierung zum ersten Mal eingeführt wurde, hatten viele Leute Zweifel, ob es überhaupt sinnvoll ist, diese neue Richtung zu erforschen. Es ist teuer, es ist kompliziert, es sind viel mehr Daten zu analysieren. Ich muss zugeben, dass die Methoden im Moment vielleicht auch noch nicht so perfekt sind, wie es jeder gerne hätte, aber wenn wir aufhören würden, an ihnen zu arbeiten, würden sie nie besser werden.

Und wenn es um den Einsatz in der Strafverfolgung geht?

Marta Diepenbroek: Das ist kompliziert, weil es viele ethische Bedenken gibt. Diese neuen Methoden werden als Ermittlungshinweise bezeichnet, das heißt, sie führen lediglich in eine bestimmte Richtung, was bedeutet, dass sie mehr oder weniger frei interpretiert werden können. Und die Frage ist, ob die Polizei in der Lage ist, sie richtig zu interpretieren. Besteht die Möglichkeit, dass die Daten gezielt gegen Minderheiten verwendet werden? Werden die Daten falsch oder überinterpretiert? Können forensische Wissenschaftler der Polizei bei der Interpretation der Daten helfen? Sollten sie dazu berechtigt sein? Es gibt eine Menge Fragen, die noch beantwortet werden müssen.

Gleichzeitig können diese Ermittlungshinweise den Ermittlern helfen und zum Beispiel die Zuverlässigkeit von Augenzeugen überprüfen. Denn DNA hat keine Agenda und sie lügt nicht. Wir müssen nur noch lernen, sie besser zu verstehen.

Bei der Aufklärung von Verbrechen helfen zu können, klingt nach einer bereichernden Arbeit. Welche Fähigkeiten sollten Menschen mitbringen, die sich eine Karriere in der Forensik vorstellen können?

Marta Diepenbroek: Wissen sie, was DNA ist, und sind wirklich begeistert davon? Dann nur zu, sage ich! (lacht) Als ich anfing, mich mit Forensik zu beschäftigen, hatte ich keine Ahnung davon. Ich war nur eine Studentin mit ein paar Kenntnissen über Molekularbiologie.

Eine Leidenschaft für Rätsel ist sicherlich auch hilfreich, aber letztendlich muss man sich einen guten Mentor suchen – zum Glück hatte ich einen – und sich für das Fachgebiet begeistern können. Man muss sich für jeden Fall begeistern, den man löst, für jede Identifizierung, die man vornimmt.

Sie scheinen Ihren Job leidenschaftlich gern zu machen!

Marta Diepenbroek: Ich liebe meine Arbeit! Es gibt wirklich keine Grenze zwischen meinem Privatleben und meinem Berufsleben, wie auch immer das klingt! Mein Mann sagt, dass ich höchstens 15 Minuten brauche, um über meine Arbeit zu sprechen. Ich kann mir Nudeln ansehen und beim Kochen 10 Sekunden lang schweigen, und dann fange ich an, aufgeregt von einem Experiment zu erzählen, das ich gemacht habe. So ist das eben bei mir. Aber natürlich habe ich auch Hobbys. Alles, was mit Bergen zu tun hat, Kochen und viele andere Dinge. (lacht)

Schauen Sie noch Krimis wie CSI oder Tatort?

Marta Diepenbroek: Auf jeden Fall. Ich habe nie aufgehört, Serien zu schauen oder über Verbrechen zu lesen. Es schocken mich viele Dinge nur nicht mehr, und ich habe aufgehört, Unterhaltungsmedien zu verurteilen, weil sie Dinge darstellen, die nicht wahr sind. Manchmal muss ich lachen, aber es ist das Geheimnisvolle, das mich dann doch immer fesselt.

Aber wenn man etwas über Forensik lernen möchte, würde ich eher die David-Hunter-Bücher von Simon Beckett empfehlen. Sie konzentrieren sich mehr auf die anthropologische Seite der Forensik, sind aber ziemlich genau und spannend!

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