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Dahoam aus London

14.08.2015

Nach vier Monaten im British Museum ist der „Speerträger“ wieder auf seinem Posten im LMU-Hauptgebäude - in eleganter Pose wie eh und je, aber mit weltmännischen Zug um den Bronze-Mund. Schließlich ist er nunmehr ein weitgereistes Kunstwerk.

Nicht zum Sommerurlaub war der „Doryphoros“ auf der britischen Insel, sondern als Ausstellungsstück im honorigen British Museum. Eine Sonderschau mit dem Titel „Defining Beauty" befasste sich mit dem menschlichen Körper in der griechischen Kunst.

Wer sie besuchte - zum Eintrittspreis von 16,50 Pfund - lief dem Doryphoros schon im ersten Raum beinah in die Arme, so zentral stand er auf seinem Sockel.

Für ihn war der Auslandsaufenthalt eine hochinteressante Erfahrung. Statt dass Menschen wie gewohnt an ihm vorbei eilen, blieben sie im Museum minutenlang vor ihm stehen und bewunderten ihn vom augenlosen Kopf bis zu den Füßen. Verwunderlich war die Berufung des Bronze-Doryphoros zum Ausstellungsstück dabei nicht: Das Original gilt als eine der bedeutendsten Statuen der Antike, Poliklet (um 440 v.Chr.) selbst soll sie als Musterbeispiel für gelungene Proportionen bezeichnet haben. Um ihm möglichst nahe zu kommen, rekonstruierte der Münchner Bildhauer Georg Römer nicht weniger als drei römische Kopien in einer Figur. An der LMU war der Speerträger ursprünglich Teil eines Erinnerungsdenkmals für gefallene Universitätsmitarbeiter im Ersten Weltkrieg; bei einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg verlor er Augen und Waffe.

Ritterschlag zum anerkannten Kunstwerk Mit der Reise nach London nun erfuhr er quasi den Ritterschlag zum anerkannten Kunstwerk. Die Ausstellungsplakette beschrieb ihn als: „Measured Beauty. … Claiming that perfection ‚comes about little by little through many numbers‘, the artist Polykleitos constructed his Doryphoros, or spear-bearer, according to a precise set of ratios. … Bronze reconstruction of about 1920 by Georg Römer after a lost Greek bronze of about 440-430 BC. On loan from the Ludwig-Maximilians-Universität, Munich“.

In abgedunkelten, mit schweren Stoffen behängten Sälen wurden neben dem Doryphoros 120 weitere Objekte präsentiert. Diese reichten von weißen Marmorstatuen über Terracotta-Exponate, Bronzen und Vasen bis hin zu prähistorischen Figuren. Die meisten Exponate waren im Besitz des British Museum; andere „extraordinary loans from other world-class collections“, wie es in der Museumsbroschüre hieß, waren die Marmorstatue „Wounded Amazon“ des „Musei Capitolini, Rome“ oder eine bronzene Athleten-Statue des kroatischen Kultusministeriums. Die direkten Nachbarn des Speerträgers im allerersten Saal: Diskobolos, der Diskuswerfer, und der marmorne Rumpf des Flussgottes Ilissos, beides Statuen des British Museum.

Rolf Michael Schneider, Professor für Klassische Archäologie an der LMU, hatte nicht nur die Verleihung des Speerträgers nach London eingefädelt, sondern auch einen in Warschau befindlichen „Doryphoros“ an eine Mailänder Schau vermittelt. Von der „unglaublich prominenten“ Position des Münchner Speerträgers im British Museum war er begeistert: „Das ist eine große Auszeichnung und markiert die besondere Relevanz dieser Statue für das Ausstellungsthema. Unser Blick darauf, was wir unter der Schönheit verlorener griechischer Skulpturen verstehen, nimmt notwendigerweise den Umweg über römische Kopien. Und unsere Bronze-Rekonstruktion eines verlorenen griechischen Originals ist ein Musterbeispiel dafür.“

Der LMU-Speerträger habe die wissenschaftliche Diskussion nachhaltig befruchtet. „Denn das mit dem Doryphoros verfolgte Ziel − die seit der Antike hochgelobte, später wahrscheinlich eingeschmolzene Bronzestatue des Polyklet möglichst genau wiederzugewinnen − kann nicht erreicht werden, wohl aber eine konstruktive Debatte über das Problem: Wie kommen wir an die verlorenen griechischen Originale heran, und deren eigene Schönheit?“

Der so gelobte Speerträger ist nun zurück an der LMU. Es war eine schöne Zeit in London. Aber dramatische Deckenspots und ständige Bewunderung hin oder her: Wer will auf Dauer in einem fensterlosen Ausstellungssaal hausen? „Dahoam“, an seinem hellen, angestammten Platz im ersten Stock des Hauptgebäudes, steht es sich doch am schönsten.

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