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Damit der Funke überspringt

11.12.2018

Anne Frenzel forscht über die Rolle von Emotionen beim Lernen. Mit ihren Arbeiten klärt die Psychologieprofessorin manchen Denkfehler auf.

Schüler melden sich beim Unterricht.

© Robert-Kneschke/Adobe Stock

An Gesprächsstoff mangelt es Anne Frenzel nie. Das liegt nicht nur an ihrer Persönlichkeit und ihrem Wissen, sondern auch an ihrem Forschungsthema: Die Psychologie-Professorin forscht über einen Bereich, der alle betrifft und zu dem jeder eine Meinung hat: den Unterricht in der Schule. Ihr Schwerpunkt liegt dabei auf den Emotionen beim Lernen und hier trägt sie mit ihrer Forschung dazu bei, manche herkömmliche Ansicht in Frage zu stellen.

So sind Eltern schnell mit der Forderung, der Lehrer müsse die Kinder doch nur motivieren, damit das Lernen Spaß mache. Anne Frenzel zeigt in ihren Studien, wie einseitig diese Sicht ist. So hat sie zwar in einer Langzeit-Untersuchung kürzlich nachgewiesen, dass Freude am Lernstoff ansteckend ist – aber das gilt nicht nur für die Schüler, sondern auch für die Lehrkräfte. Beide beeinflussen sich gegenseitig.

„Das Ergebnis ist sehr spannend, weil es in der Unterrichtsforschung neuartig ist. Die vorherrschende Sicht ist, dass Lehrer die Schüler beeinflussen. Das hat viel mit den gesellschaftlichen Anforderungen zu tun: Lehrer werden als Wissensvermittler gesehen. Aber ein Klassenzimmer ist ein Ort sozialer Interaktion, der alle einschließt“, sagt Anne Frenzel. Entgegen der gängigen Vorstellung sei Unterricht eben keine Einbahnstraße. Das, was beim Unterrichten passiere, wirke in beide Richtungen.

Für die Studie hat Anne Frenzel 70 Klassen und ihre Lehrkräfte in den ersten sechs Monaten eines Schuljahrs begleitet. Mit je mehr Freude Lehrer in den ersten Wochen in den Unterricht gingen, desto mehr Freude zeigten ihre Schüler sechs Monate später. Und umgekehrt zeigten die Lehrer mehr Freude in jenen Klassen, in denen Schüler in guter Stimmung ins neue Jahr starteten. „Es gibt einen klaren Trend: Lehrer und Schüler nähern sich einander an.“

Dieses Ergebnis ist eine Herausforderung für jene, die sich bemühen, den Erfolg von Unterricht zu messen. „Es wird unterschätzt, dass es sich mit einer leistungsstarken Gruppe anders arbeitet“, sagt Anne Frenzel. Deswegen würden auch Versuche wie sie in den USA unter dem Stichwort „Accountability“ laufen, in die Irre führen, nämlich auszurechnen, welchen „Lernmehrwert“ ein einzelner Lehrer erwirtschaftet. „Wenn ein Schüler mehr weiß, wird automatisch davon ausgegangen, dass der Lehrer das verursacht hat. Ich glaube, das ist eine pure Korrelation. Wenn man eine Gruppe erwischt, die viel mitbringt, ist es leichter bei ihr mehr Wissen zu produzieren.“

Nach Angst und Freude fragen, Gesichter lesen Anne Frenzel setzt in ihrer Forschung unterschiedliche Methoden ein. Zum einen arbeitet sie mit Tagebüchern: Lehrer halten direkt nach dem Unterricht fest, welche Gefühle sie im Unterricht erlebt hatten. Und da überwiegt – was dem Image von Lehrern widersprechen mag – die Freude. Anne Frenzel überrascht das jedoch nicht. „Es mag besonders reizvoll sein, auf die dunkle Seite zu schauen, aber als Emotionsforscherin weiß ich, dass bei psychisch gesunden Menschen weit mehr Phasen im Leben durch positive Gefühlen geprägt sind als durch negative. Es wäre ja fürchterlich, wenn es anders wäre.“

In einer derzeit laufenden Studie arbeitet Anne Frenzel mit einer Software, um Gefühle in den Gesichtern von Schülern und Lehrern zu erkennen und setzt dabei auf künstliche Intelligenz: Die Analyse erfolgt mithilfe eines durch maschinelles Lernen optimierten Algorithmus. Einmal aus Datenschutzgründen, aber auch weil die Menge der erhobenen Daten sich nicht anders bewältigen lässt.

Bei Schulen und Lehrkräften erlebt Anne Frenzel dennoch eine hohe Bereitschaft bei ihren Studien mitzumachen. Sie stößt auf großes Interesse an den Forschungsergebnissen und das liegt eindeutig an ihrem Thema. „Die Motivation der Schüler ist für Lehrkräfte eines ihrer Top-Probleme. Die Lehrer treibt um, wie sie eine Klasse zu fassen bekommen, wie sie es schaffen, dass die Klasse mitmacht.“

Zwischen Forschung und Praxis Anne Frenzel, die auch Direktorin des Masterprogramms „Psychology in die Learning Sciences“ und Mitglied im Vorstand des Munich Center of the Learning Sciences ist, zählt in ihrem Fachbereich zur internationalen Spitzengruppe der zehn Forscherinnen, was die Zahl der Publikationen in hochrangigen Journalen betrifft, wie kürzlich eine Auswertung im Journal Educational Psychology Review ergab. „Das Spannungsfeld zwischen hochrangiger Forschung und Implikationen für die Praxis treibt mich persönlich aber um: Wie kann ich sehr gute Forschung machen, für die ich in meiner wissenschaftlichen Community anerkannt werde – wofür ich sehr abstrakte, kleinteilige und präzise formulierte Fragestellungen optimal methodisch beantworten muss –, und mit dieser kleinen Erkenntnis wieder hinauszugehen in die Welt, in der alles gleichzeitig wirkt?“, sagt Anne Frenzel.

Mit ihrem Ansatz, den Unterricht und die Beziehung zwischen Lehrkräften und Schülern reziprok zu untersuchen, gelingt es ihr das. „Hier gibt es bislang in der Forschung eine Lücke und zugleich lassen sich tatsächlich Folgerungen für die Praxis aus den Studienergebnissen ziehen.“ Und die lautet, ganz grob: „Mein Credo ist, dass Lehrer sich bewusst machen, dass sie mindestens so sehr wie sie die Schüler beeinflussen auch von den Schülern beeinflusst werden. Im besten Fall sucht man als Lehrer so lange bis es einem gelingt, Tritt zu fassen und bei den Schülern etwas auszulösen.“

Anne Frenzel rät Lehrern also, den Blick umzudrehen. Natürlich unterrichten sie die Schüler, aber: „Lehrer dürfen um ihr eigenes Wohlbefinden willen ihren Unterricht adaptiv gestalten. Die Überlegung ist: Mach’s für dich. Weil du dich als Lehrkraft wohler fühlst und subjektiv mehr Wirksamkeit spürst, wenn du die Schüler erreichst.“ In dem Moment, wo der Funke überspringt, bekommen sie als Lehrer etwas zurück und dann, so Frenzel, fange es an „Spaß zu machen“.

Die Macht der Gefühle Spricht man mit Anne Frenzel wird klar, dass Emotionen im Unterricht eine größere Rolle spielen als üblicherweise angenommen wird. „Natürlich ist Schule dafür da, Kindern etwas beizubringen. Aber der Kontext des Lehrens und Lernens ist nicht nur dadurch charakterisiert, was kognitiv vermittelt wird, sondern wie man sich dabei fühlt.“

Gerade mit Blick auf das vielfach geforderte lebenslange Lernen würde es sich lohnen, der Bedeutung, die Gefühle beim Lernen haben, mehr Aufmerksamkeit zu widmen: „Am Ende ist es wichtiger, dass die Schüler sagen: ‘Den Satz des Pythagoras zu machen, war ok‘, als dass sie ihn vorsagen können. Was die Schule in allererster Linie leisten muss, ist bei den Schülern die Bereitschaft zu wecken, sich mit Themen auseinanderzusetzen. Natürlich ist diese Bereitschaft höher, wenn ich schon etwas weiß. Deswegen ist Wissenserwerb essenziell. Aber das Gefühl, etwas noch nicht zu können, darf nicht völlig negativ besetzt sein, sondern es sollte die Bereitschaft auslösen: Ich kann es mir aneignen.“

Mehr zur Forschung von Professor Anne Frenzel: Anne Frenzel im Interview: Gegen Prüfungsangst kann man viel machen Publikation: Emotion Transmission in the Classroom Revisited: A Reciprocal Effects Model of Teaser and Student Enjoyment. In: Journal of Educational Psychology 2017

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