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Das Umdenken herbeischreiben?

30.01.2019

Die Historikerin Simone Müller über die Rolle des Umweltjournalismus, seine Geschichte – und die Tagung „Writing for change“ am Center for Advanced Studies

Was macht einen Workshop zum Umweltjournalismus spannend und womöglich auch drängend? Simone Müller: Stellen Sie sich vor, es ist Klimawandel und keiner geht hin. So ließe sich mit einem abgewandelten Pazifistenslogan die Weltlage heute beschreiben: Die USA sind aus dem globalen Klimaabkommen ausgetreten. Und selbst die Bundesrepublik, die einmal als grünes Vorbild gefeiert wurde, wird ihre Klimaziele verfehlen. Seit Jahren schon sind Wissenschaftler auf den Barrikaden und fordern ein gesellschaftliches Umdenken, damit die Welt nicht weiter in die Klimakatastrophe steuert. In einer solchen Situation sind viele mit dem Ruf nach den Medien schnell bei der Hand. Und das kommt natürlich nicht von ungefähr. Immer wieder waren und sind es die Medien, die Umweltprobleme in den Blick rücken. Um nur ein Beispiel zu nennen: Das Basler Abkommen gegen den globalen Giftmüllhandel, über den ich forsche, wäre nicht zustande gekommen, wenn nicht die Medien immer neue Skandale aufgedeckt und das Thema warm gehalten hätten. Ohne das hätte Greenpeace nicht politischen Druck aufbauen können.

Und jetzt sollen es die Medien wieder reißen? So lässt sich das natürlich nicht sagen. Ganz abgesehen davon, wie heterogen die Medienlandschaft heute ist und nach welch anderen Mechanismen sie in der digitalen Welt funktioniert als vor 20, 30 Jahren: Haben Journalisten überhaupt so etwas wie einen Erziehungsauftrag? Sollen Journalisten wie Lehrer die Gesellschaft tatsächlich zu mehr Umweltbewusstsein erziehen? Oder sollen sie Fakten berichten, einordnen und Leser sich selbst ihr Urteil bilden lassen? Letzteres entspricht dem klassischen Verständnis von Journalismus; aber in der Tat gibt es gerade in den letzten Jahren nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland den Ruf nach so etwas wie konstruktivem Journalismus. Aus der Politik, durchaus aber auch aus dem journalistischen Feld selbst wird die Forderung laut, wegzukommen von den Katastrophengeschichten, positive Geschichten zu erzählen, die die Leser mitziehen. Kann so ein Konzept tragen? Oder wäre das der Ausverkauf des Journalismus? Und schließlich: Welche anderen Multiplikatoren und gesellschaftlichen Faktoren können Umweltbewusstsein begünstigen? Solche Fragen wollen wir in dem Workshop durchdeklinieren.

Ist der Ruf nach konstruktiven Geschichten bei Umweltthemen besonders laut? Die Forderung nach positiver Berichterstattung und letztlich Parteinahme, nach Lobbyarbeit für die Umwelt, begleitet den Umweltjournalismus schon seit seinen Anfängen in den 1970er-Jahren. Ursprünglich kamen tatsächlich viele Umweltjournalisten aus den Kreisen von Umweltaktivisten. Wenn man so will, hat alles begonnen mit Rachel Carsons Buch Silent Spring über die ökologischen Folgen des Pestizideinsatzes, das 1962 erschien – bezeichnenderweise brachte der New Yorker vorab Auszüge aus dem Buch. Schon das deutet auf die enge Verbindung von Umweltjournalismus, Umweltbewusstsein und Umweltbewegung hin. Ich bin Nordamerikahistorikerin, darum lassen Sie mich ein paar Aspekte der geschichtlichen Entwicklung am Beispiel der USA zeigen, wohl auch dem Land mit der längsten Tradition im Umweltjournalismus. In den 1970er-Jahren haben wir in den USA auf der einen Seite bereits eine gestärkte Umweltbewegung, die sich mit Themen wie Artenschutz und Umweltgiften, aber auch schon mit ersten Anzeichen von Klimaveränderungen auseinandersetzt, und gleichzeitig Zeitungen, die Journalisten dezidiert auf Umweltthemen ansetzen. Es ist also eine Parallelentwicklung: Ein wachsendes Umweltbewusstsein geht mit einer Institutionalisierung des Umweltjournalismus Hand in Hand – bis es in den frühen 1980er-Jahren in den USA zu einer ersten Krise kommt.

Weswegen? Das hängt mit dem Rollback in der Reagan-Ära zusammen. Unter seiner Präsidentschaft galt Umweltschutz vor allem als Last für die Wirtschaft. In dieser Zeit hielten auch die großen Redaktionen es für nicht mehr en vogue, über Umweltthemen zu berichten. Das drehte sich erst wieder nach Katastrophen wie dem Chemieunfall von Bhopal und vor allem dem Reaktorunglück von Tschernobyl.

Gibt es so etwas wie eine „Erfolgsgeschichte“ des Umweltjournalismus? Wo hat er zu einem politisch wirksamen Bewusstseinswandel beigetragen? Medien allein können keinen Bewusstseinswandel schaffen, doch sind sie natürlich eine wichtige Einflussgröße, wenn es beispielsweise um eine straffere staatliche und überstaatliche Regulierung in Umweltfragen geht. Nehmen wir die Debatte um die FCKW in den 1980er-Jahren. Hier hat sicher die Berichterstattung über das Ozonloch wesentlich dazu beigetragen, dass es zu einem Umdenken und schließlich zu einem internationalen Abkommen kam. Oder die schon angesprochene Basler Konvention von 1989; auch hier haben Journalisten eine entscheidende Rolle bei der Aufklärung des Giftmüllhandels gespielt. Das war im Übrigen noch eine Zeit, in der sich Politiker bis hin zum US-amerikanischen Kongress auf Zeitungsartikel verlassen und sie als Quelle angeführt haben.

Heute kaum mehr denkbar angesichts des präsidialen Geredes über Fake News. Sind Umweltthemen in besonderer Weise Gegenstand von Fake News aus der Politik, gegen die Journalisten dann anschreiben müssen? Ja, sicher. Nehmen wir das Beispiel des Klimawandels. In den USA müssen Umweltjournalisten in ihren Artikeln Argumente liefern und das Pro und Contra abwägen, ob es einen menschengemachten Klimawandel überhaupt gibt. Sie müssen regelrecht die Argumente der Klimaskeptiker entkräften, seien sie wissenschaftlich auch noch so wenig haltbar. Die Leugner des Klimawandels wiederum haben vor allem über Social Media und Blogs leichtes Spiel, ihre Thesen zu streuen. In Deutschland dagegen ist diese Frage sozusagen durch. Die Existenz des Klimawandels infrage zu stellen ist hierzulande mittlerweile so etwas wie ein Kuriosum. Hier herrscht ein breiter Konsens darüber, dass es einen Klimawandel gibt.

Ist das in den USA also ein Trump-Phänomen? Hat der US-Präsident es salonfähig gemacht, den Klimawandel als Erfindung abzutun? Nicht nur das. Er hat diese Sicht auch politisch institutionalisiert, indem er die Spitze der nationalen Umweltbehörde EPA entsprechend besetzt hat.

Welchen Einfluss hat der Medienwandel? Geht der Umweltjournalismus unter, wenn die klassischen Gatekeeper-Medien laborieren? Sagen wir so: Er wird andere Formen annehmen. In der Krise der großen Printmedien, die wir derzeit erleben, liegt aber auch eine gewisse Chance. Denn gleichzeitig war es noch nie so einfach für nicht-professionelle Journalisten, medial in Erscheinung zu treten. Hier ist auch eine Lücke für Wissenschaftler aus den Umweltdisziplinen, ihre Expertise niedrigschwellig über Twitter, über Blogs, über diverse Social-Media-Kanäle an die Öffentlichkeit heranzutragen. Gleichzeitig wird auch der klassische Umweltjournalismus weiter seine Chancen haben. Sicher wird es schwieriger, Geld zu bekommen, um aufwendig vor Ort, sagen wir den Anstieg der Meeresspiegel und seine Folgen in Kiribati, zu recherchieren. Die Frage wird aber sein, wie viel von dieser Krise der Produktionsbedingungen beim Leser tatsächlich ankommt. Fällt es ihm auf, fragt Evi Zemanek, Juniorprofessorin für Neuere Deutsche Literatur/Intermedialität in Freiburg und Mitorganisatorin des Workshops, dass Umweltthemen nicht mehr so stark besetzt sind? Lassen sich diese Mängel kompensieren? Es wird sicher eine weitere Diversifizierung der Formate geben.

Welche Chancen gibt es, die langen, sich schleichend zuspitzenden Prozesse, unter dem Diktat des kurz getaktetem News-Journalismus angemessen darzustellen? Dieses Problem begleitet den Umweltjournalismus von Anbeginn an, nicht erst seit der nochmaligen Beschleunigung im digitalen Nachrichtengeschäft. Seit jeher beschäftigt sich der Umweltjournalismus mit Problemen, die den Leser nicht direkt und unmittelbar betreffen müssen, sondern womöglich am anderen Ende der Welt spielen, meinetwegen auf einer kleinen Insel im Pazifik. Er versucht langsame Prozesse greifbar zu machen, deren Folgen womöglich erst in Jahrzehnten unmittelbare Auswirkungen haben. Das war beim Thema FCKW und Ozonloch zum Beispiel so, das ist beim globalen Klimawandel so. Und es bleibt hier immer wieder die Herausforderung für den Umweltjournalismus, die Bedeutung begreifbar zu machen. Zu zeigen beispielsweise, welche Relevanz die Arbeitsbedingungen auf den Bananenplantagen in Guatemala hier für uns Verbraucher in Deutschland haben.

Mal ist es der Dieselruß, oft ist es das Kohlendioxid, neuerdings ist es der Plastikabfall in den Meeren – ist der Umweltjournalismus ständig wechselnden Themenmoden unterworfen? Ja, vielleicht. Womöglich entsteht der Eindruck zum Teil aber auch, weil Umweltjournalisten oft auf flagship topics, wie man sie im Amerikanischen nennt, fokussieren. Sie berichten zum Beispiel von der generellen Vermüllung der Meere, indem sie sich auf die Tonnen und Abertonnen von Plastikpartikeln kaprizieren, die in riesigen Strudeln auf den Weltmeeren treiben. Es gibt sogar sogenannte flagship species: Das Los der Eisbären steht dann für die Folgen des Klimawandels, das der Bienen für das Artensterben. Mit dieser Reduktion auf kleinere Kapitel versuchen die Journalisten größere viel komplexere Themen in Geschichten erzählbar zu machen, beim Leser Emotionen zu wecken. Das Kennzeichen und die Aufgabe des guten Umweltjournalismus ist es aber, die Komplexität hinter diesen Geschichten aufscheinen zu lassen.

Dr. Simone Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Rachel Carson Center für Umwelt und Gesellschaft der LMU und Leiterin der Emmy-Noether-Gruppe „Hazardous Travel: Ghost Acres and the Global Waste Economy“Simone Müller hat zusammen mit der Literaturwissenschaftlerin Evi Zemanek (Universität Freiburg) auch den Workshop "Writing for Change. Environmental Journalism Then and Now“ am Center for Advanced Studies (CAS) der LMU organisiert.

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