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Dem Wähler auf der Spur

13.07.2017

Warum verliert die eine Partei Stimmen, während die andere zulegt? Ein Team aus Politikwissenschaftlern und Statistikern der LMU hat einen neuen Ansatz entwickelt, um Wählerbewegungen besser zu erfassen.

LMU-Wahlforscher und -Statistiker um Professor Paul W. Thurner vom Lehrstuhl für Empirische Politikforschung und um Professor Helmut Küchenhoff vom Institut für Statistik haben ein statistisches Verfahren entwickelt, um Wählerbewegungen besser zu erfassen. Dabei werden Daten zur Wahlentscheidung einzelner Wähler mit amtlichen Wahlergebnissen kombiniert. „Durch diese Kombination können wir die Analyse von Wählerbewegungen verbessern“, sagt Paul. W. Thurner. Ausgangspunkt war ein interdisziplinäres Lehr-Forschungsprojekt über mehrere Semester, in dessen Rahmen das neue Modell nicht nur entwickelt, sondern inzwischen sogar mehrfach erprobt wurde. Die Ergebnisse erscheinen nun auch in Buchform.

Um Wählerwanderungen analysieren zu können, benötigen Forscher verlässliche Informationen darüber, von welcher Partei Wähler zu einer bestimmten anderen Partei gewechselt sind. Daraus lassen sich in der Regel auch Rückschlüsse auf die Motivation des Wechsels ziehen. „Der Grund ist meist Unzufriedenheit. Wer von der SPD zu den Linken wechselt, dürfte zum Beispiel mit dem Sozialstaat unzufrieden sein“, sagt Thurner. Es gibt Ansätze, individuelle Wählerentscheidungen mit Panelbefragungen zu ermitteln, bei denen dieselben Wähler bei aufeinanderfolgenden Wahlen befragt werden. Doch Falschangaben oder mögliche Erinnerungslücken der Befragten machen dieses Vorgehen weniger zuverlässig, als es nötig wäre. Auf der anderen Seite erlauben es amtliche Aggregatdaten für administrative Einheiten nicht, Rückschlüsse auf individuelle Entscheidungen zu ziehen. „Wahlforscher stehen also weiterhin vor dem Problem, dass sich individuelle Wechselwählerentscheidungen nicht nachvollziehen lassen. Dieses Puzzle ist bislang nie wissenschaftlich zufriedenstellend gelöst worden. Wir hatten uns daher zu Beginn des Projekts das Ziel gesetzt, eine Grundlage zu schaffen, um ein neues statistisches Verfahren zu entwickeln und unser Modell wissenschaftlich transparent zu machen“, sagt Thurner. In dem LMU-Projekt konnten nun mithilfe sogenannter Exit-Polls Individualdaten gewonnen werden. Dabei werden Wähler direkt nach dem Verlassen der Wahlkabine nach ihrer aktuellen und vorhergehenden Wahlentscheidung gefragt.

Bei der Landtagswahl und Bundestagswahl in Bayern im Jahr 2013 postierten sich 50 LMU-Studierende der Politikwissenschaften und Statistik an Wahlurnen in München, die nach einem Stichprobenplan zuvor festgelegt worden waren. Wähler, die angaben, die Partei gewechselt zu haben, wurden zudem nach ihrem Motiv befragt. Die anschließende Auswertung aller Daten konnte zum Beispiel belegen, dass die SPD bei der vergangenen Landtagswahl in Höhe von knapp fünf Prozent von dem „Ude-Effekt“ infolge der Spitzenkandidatur des ehemaligen Münchner Oberbürgermeisters profitiert hatte.

Mehr als Statistik

„Es ist sehr sinnvoll, solche Lehrforschungsprojekte, die erhebliche Praxisrelevanz haben, in den Politikwissenschaften durchzuführen. Einige der fortgeschritteneren Studierenden waren schon beim Design der Studie mit eingebunden. Für alle war es sehr spannend, Umfragen beim Wähler selbst zu machen und damit den Menschen hinter den Datensätzen zu sehen, mit denen sie sonst arbeiten. Das hat die Studierenden sehr stark motiviert“, sagt Thurner. Auch zu sehen, wie komplex ein solches Projekt sei – von der Planung über das Erstellen eines Fragebogens bis hin zur Auswertung der Daten sei eine sehr wertvolle Erfahrung gewesen. „Die Studierenden haben gelernt, dass das nicht nur Mathe und Statistik ist, sondern auch ein Handwerk, das man erlernen muss.“

Die beiden Professoren hat der Erfolg des Projekts so überzeugt, dass es nun weitergeführt werden soll. Für Thurner zeigt es, wie produktiv die Kooperation zwischen den Natur- und Politikwissenschaften, dem Institut für Statistik und dem Lehrstuhl für Empirische Politikforschung ist. „Die Zusammenarbeit hat sich mittlerweile sehr bewährt.“ Momentan arbeiten die Forscher, die für ihr Projekt auch den Lehrinnovationspreis der LMU 2013 erhielten, bereits mit Statistikbehörden in verschiedenen Städten zusammen. „Es besteht großes Interesse an unseren Modellen“, sagt Thurner. Denn in Städten würden die Wähler oft „anders ticken“ als auf dem Land. Veränderungen bei den Parteipräferenzen besser zu erkennen, könnte auch aufzeigen, mit welchen Entwicklungen in der Stadt unterschiedliche Wählersegmente unzufrieden sind. „Städte könnten die Exit-Polls mit wissenschaftlicher Begleitung auch selbst durchführen“, sagt Thurner. Für rein auf amtlichen Daten basierende Analysen wurde im Rahmen des Projekts sogar ein Software-Paket entwickelt, das den Anwendern in der Praxis eigenständige Analysen ermöglicht. Auch für die kommende Landtagswahl haben die Forscher bereits Pläne. Dann wollen sie ihr Modell über München hinaus und auf breiterer Basis in Bayern einsetzen.

Publikation : Klima, André, Helmut Küchenhoff, Mirjam Selzer, Paul W. Thurner: Exit Polls und Hybrid-Modelle. Ein neuer Ansatz zur Modellierung von Wählerwanderungen, Springer 2017

Mehr zum Thema : Wahlforschung: Wann Wähler Politiker bestrafen (vom 1.6.2016)

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