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Den eigenen Körper verstehen – Anatomie zwischen Locke und Socke

08.02.2021

Professor Jens Waschke möchte, dass Geheimnisse des menschlichen Körpers auch Laien zugänglich sind. In "Mensch – einfach genial. Die Anatomie von Locke bis Socke" nimmt er sie mit auf eine Reise durch ihren Körper.

Der Anatom Professor Jens Waschke möchte auch Laien die Geheimnisse ihres Körpers zugänglich machen | © Elsevier

„Die Anatomie des Dr. Tulp“ ist ein bemerkenswertes Gemälde, denn sein Schöpfer, Rembrandt van Rijn, hat es offenbar mehrfach verändert. Das haben Untersuchungen ergeben, unter anderem mit bildgebenden Verfahren: So fehlte dem sezierten Leichnam ursprünglich der rechte Unterarm. Er wurde nachträglich ergänzt. Ebenso hat der Anatom Tulp seinen Hut erst später aufgesetzt bekommen – in einer früheren Fassung zierte er das Haupt der ranghöchsten der um den Seziertisch herum platzierten Personen. Schließlich soll auch die Person ganz links auf dem Bild erst später zur Vorlesung Tulps hinzugestoßen sein: Es ist doch ganz erstaunlich, welche Geheimnisse man einem Gemälde mit „Bildgebung“ entlocken kann! Und sich ein Bild zu machen, ist ja auch das große Thema der Anatomie – was im Deutschen übrigens so viel heißt wie „aufschneiden“, um Unbekanntes sichtbar zu machen und die Geheimnisse des Körpers gleichsam offenzulegen. Aber Anatomen machen nicht nur sichtbar. Sie erklären, denn Studierende werden nie Mediziner ohne das Wissen, das sie in theoretischen und Präpkursen erhalten – angeleitet von Experten wie Professor Jens Waschke, der den Lehrstuhl für Anatomie I an der LMU innehat.
Er vermittelt in Vorlesungen und am Seziertisch den Studierenden ein Verständnis vom Körper, aufgelockert von zahlreichen Geschichten und Anekdoten aus seiner eigenen Praxis als Arzt der Inneren Medizin.
„Die Geschichten nutze ich in der Vorlesung für die Gewichtung von bestimmten Fakten und Inhalten“, erzählt Waschke. Denn tatsächlich müssten selbst Studierende nicht alles wissen, es komme auf die Relevanz an. Diese ist auch das Leitmotiv in seinem Buch, das er vor allem für Laien geschrieben hat. Unter Rückgriff unter anderem auf seine Geschichten in der Vorlesung führt er den Leser durch den Körper, erläutert etwa den Bewegungsapparat und die über den Tag zusammengedrückten Bandscheiben, die sich erst des Nachts regenerieren; erklärt den Blutkreislauf oder die große Bedeutung des Lymphsystems und die Rolle, die es bei der Immunantwort spielt. Warum zum Beispiel geschwollene Lymphknoten schmerzen: Weil die dortigen Immunzellen sich bei Abwehraktion vermehren und mehr Platz benötigen als ursprünglich vorhanden ist. Warum Lymphflüssigkeit manchmal weiß ist wie abgekühltes Bratenfett? Weil der Hauptlymphstamm – der sogenannte Milchbrustgang – nach dem Essen den größten Teil der Fette aus dem Darm aufnimmt, durch die Brusthöhle leitet und dort ins Blut abgibt.

Das Buch bietet zahllose interessante und relevante Fakten – von der Locke bis zur Socke. Es vermittelt auf launige, unakademische Art, wie der Körper als Gesamtheit funktioniert. Das ist laut dem Autor wichtig für das eigene Körperverständnis: „Jeder sollte über Grundwissen des eigenen Körpers und seiner Funktionen verfügen“, ist Jens Waschke überzeugt und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu, dass das Gesundheitsamt allen Eltern zur Geburt ihres Kindes eine Ausgabe seines Buches schenken sollte.

Alternative zu Dr. Google

Vor allem möchte der Anatom in Zeiten eines gestiegenen Interesses für den eigenen Körper eine Alternative zu „Dr. Google“ bieten; dort würden die Informationen zum Teil verkürzt und aus dem Gesamtzusammenhang Körper herausgerissen dargestellt. „Mein Buch vereint das anatomische mit dem klinischen Wissen und ich halte das für eine gute Kombination.“ Weswegen es auch von Studierenden oder solchen, die es werden wollen, gelesen wird. Eine Studentin habe sich bei ihm sogar dafür bedankt, weil es ihr bei ihrer Entscheidung geholfen hat, Medizin zu studieren. „Natürlich ist es kein Lehrbuch und ich habe es auch nicht für Medizinstudierende geschrieben“, sagt Jens Waschke. Aber gerade Erstsemester empfänden Lehrbücher oftmals als sehr anspruchsvoll. „Ich denke, deswegen ist es als Einstieg vielleicht gar nicht so schlecht.“

Mensch – einfach genial. Anatomie von Locke bis Socke ist im renommierten Wissenschaftsverlag Elsevier erschienen. Natürlich freut sich Jens Waschke sehr darüber, dass der Verlag sich entschieden hat, das Buch zu veröffentlichen, und sich selbst damit quasi auf Neuland begeben hat. Denn normalerweise verlegt Elsevier Wissenschaftsliteratur im Hardcore- Format; Jens Waschke selbst hat zahlreiche Lehrbücher bei dem Verlag publiziert oder co-publiziert – zum Beispiel den Sobotta Atlas.

Aber die Veröffentlichung eines populärwissenschaftlichen Buches in diesem renommierten Hause habe auch ihre Tücken, gibt er zu: „In den Buchhandlungen ist es zumeist unter der Rubrik ‚Medizin‘ mit vielen anderen Fach- oder Lehrbüchern zu finden, anstatt unter ‚Sachbuch‘, wo es eigentlich hingehört.“ Immer wieder habe er selbst Buchhändler darauf hingewiesen, jedoch mit sehr begrenztem Erfolg.

Dabei sollen es eben gerade Laien lesen. Nicht zuletzt deswegen hat sich der Anatomie-Professor Unterstützung von der Journalistin Angelika Dietrich geholt, die bei schwer zu verstehenden Passagen, bei zu viel lateinischen Begriffen Simplifizierungen angemahnt hat: „Es ist interessant, wieviel Wissen man manchmal beim Leser voraussetzt, das der gar nicht haben kann“, sagt Jens Waschke. Entsprechend wurden Textpassagen immer wieder überarbeitet und das Buch mit zahlreichen Bildern ausgestattet, denn die sind in der Anatomie seit Jahrhunderten unverzichtbar, um das Faszinosum Körper zu verstehen. Freunde von Hörbüchern müssen bei der MP3-Fassung von Waschkes Buch allerdings darauf verzichten.

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