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„Den Rassismus in der Gesellschaft abschaffen“

13.07.2020

Lorenz Narku Laing promoviert und lehrt nicht nur am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft, er engagiert sich aktiv gegen Rassismus.

„Ich bin eine große Ausnahme im System“, sagt Lorenz Narku Laing, und er hat völlig recht. Schwarz sein und an einer deutschen Universität unterrichten: Das ist tatsächlich alles andere als üblich. Auch die Tatsache, dass er als Kind Hartz IV empfing, prädestinierte ihn nicht gerade für eine Karriere als Wissenschaftler. Und doch hat Laing nicht nur zwei Bachelor- und einen Masterstudiengang absolviert, seine Doktorarbeit in Politikwissenschaft begonnen und bereits mehrere Lehrveranstaltungen an der LMU gehalten. Er arbeitet auch als Diversity-Trainer und Coach und ist Gründer eines eigenen Sozialunternehmens.

Mehr als 150 Seminare, Vorträge und Workshops zu Vielfalt, Diskriminierung und Rassismus hat sein Unternehmen „Vielfaltsprojekte“ bereits seit 2015 durchgeführt, gestützt von wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Konflikt-, Rassismus- und Diskriminierungsforschung. Von der Hertie-Stiftung wurde er für sein Engagement als „Alltagsheld“ ausgezeichnet. „Beispielgebend, inspirierend und vorausschauend“ seien die Ausgezeichneten, heißt es in der Begründung der Jahreskampagne „Generation grenzenlos“, die dreißig besonders engagierten jungen Menschen in Video-Porträts Gelegenheit gibt, ihre eigenen Themen vorzustellen.

Gleich mehrere Herzensanliegen

Sein Vielfaltsprojekt, sagt Laing, sei ihm ein „Herzensanliegen“. Und noch ein Herzensanliegen hat sich im Februar 2020 verwirklicht: Der 27-jährige Politikwissenschaftler ist Vater geworden. Beim Treffen kurz vor Rosenmontag im Geschwister-Scholl-Institut ist die Geburt seines kleinen Sohnes erst wenige Tage her, und man kann sich ausmalen, wie erschöpft Narku Laing sein muss. Oft genug macht er die Nacht zum Tag. Und zugleich: wie glücklich. Eine eigene Familie, sagt er, habe er sich schon lange gewünscht. „Vermutlich, weil ich selbst aus einer sehr unkomplizierten Familie komme.“

Sein Vater hat Kunst studiert, die Mutter ist Köchin. Die einfachen finanziellen Verhältnisse, aus denen Laing stammt, haben seinen Gerechtigkeitssinn geprägt. Aber Hartz IV beziehen bedeutet ja nicht zwingend, klein gehalten zu werden. Im Gegenteil: Seine Mutter hatte die Zuversicht, das Selbstbewusstsein ihres Sohnes an ehrgeizigen Zielen aufzurichten. Einmal, erinnert sich Narku Laing, habe sie auf ein Bild von Barack Obama gedeutet, als der noch Junior Senator war, und gesagt: „Du wirst mal so wie er.“ Nach anderen Vorbildern gefragt, nennt Narku Laing neben dem US-Abgeordneten Elijah Cummings auch die afroamerikanische Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison. Das mag ein wenig überraschen für einen Politologen. Aber Narku Laing ist nun mal breit aufgestellt. Philosophie und Religionswissenschaften hat er nicht nur studiert, er lebt auch seinen Glauben.

Hohe Ziele, ganz viel Kraft

Hohe Ziele haben und alle Kraft daransetzen, diese zu erreichen: Das hat seine Karriere beflügelt. Ganz sicher ist auch sein Energielevel außergewöhnlich groß, ebenso das Vergnügen am Nachdenken über Themen aller Art. So legt er engagiert dar, wie ein Kind das Leben seiner Eltern verändert („Es fordert dazuauf, den Tag mit mehr Rücksicht zu planen“). Entlarvt in einem Artikel den Brexit als „ein rassistisches Programm“, das darauf abziele, die Einwanderungspolitik zu verschärfen, obwohl doch „die Heilsversprechen“ einer abgeschotteten, homogenen Gesellschaft nicht zu erfüllen seien, „denn selbstverständlich ist heute nichts mehr 100 Prozent British, außer vielleicht das Rindfleisch im Supermarkt“. In einem anderen Text plädiert er „für einen warmen, humanistischen Idealismus“ – als Gegenspieler jenes kalten politischen Pragmatismus, der Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken lässt. Und natürlich beschäftigen ihn ein paar Wochen nach dem Gespräch im Institut auch die Folgen der Corona-Krise. „Die Krise wird viele prekarisierte Gruppen besonders treffen. Hierunter zählen neben alten Menschen solche mit eingeschränktem Zugang zum Gesundheitssystem, Niedriglöhner im Dienstleistungssektor und wohnungslose Menschen, die sich dem öffentlichen Raum nicht entziehen können“, schreibt er in einer E-Mail. Und ergänzt: „Daher sollte daran gearbeitet werden, den ohnehin oftmals Vernachlässigten intensive Unterstützung zukommen zu lassen.“

Verletzlich sein – und engagiert!

Zu seinen Antreibern gehört ganz sicher eine Fähigkeit, die in den vergangenen Jahren vermehrt Aufmerksamkeit erweckt: Jene von der Sozialwissenschaftlerin Brené Brown in einem millionenfach geklickten Ted Talk beschworene Verletzlichkeit, aus der Kraft und Stärke wachsen. Emotionalität und Stärke, findet Laing, gehören ganz selbstverständlich zusammen. Er habe ein dickes Fell, ja. Das braucht wohl, wer als Schwarzer im öffentlichen Leben mitmischt. Auch er wurde und wird in der Öffentlichkeit immer mal wieder verletzt, angepöbelt oder sogar bespuckt. Aber ihm kommt es darauf an, nicht „zuzumachen“, wenn ihm oder anderen der ganz alltägliche Rassismus begegnet. Sondern „Verletzlichkeit in politische Energie zu verwandeln.“ Seine Überzeugung: Rassismus kann und muss man abschaffen. Von allein wird das allerdings nicht geschehen. Gefragt sei „ein aktives Streiten“. Die Geburt seines Sohnes hat sein Anliegen nur noch dringlicher gemacht. Denn irgendwann wird auch dieses Kind groß genug sein, um allein in die Welt zu gehen. Eine Welt, in der es, so Laing, „noch immer gefährlicher ist, schwarz zu sein als weiß.“ Schon lange hat er darum auch diesen anderen starken Wunsch: „Die Gesellschaft mitzugestalten!“ Ein politisches Mandat ist für ihn durchaus denkbar. Aber jetzt heißt es erstmal: Der Familie Vorrang lassen. Lesen und Schreiben kann Laing selbstredend gut von zu Hause aus. Und noch etwas hilft ihm durch die Zurückgezogenheit der Tage: „Ich habe eine große Leidenschaft fürs Kochen und Essen!“


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