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Die Dolmetscherin: Olivia Merkel über „Nanocarrier“

05.12.2022

LMU-Forscherinnen und -Forscher erklären wissenschaftliche Begriffe allgemeinverständlich.

Prof. Olivia Merkel

Prof. Dr. Olivia Merkel ist Professorin für Drug Delivery am Department Pharmazie der LMU. | © LMU

Es gibt wissenschaftliche Begriffe, die es in die Alltagswelt geschafft haben. LMU-Wissenschaftler erklären an dieser Stelle solche Ausdrücke – nicht nur mit einer reinen Definition, sondern auch mit einer kurzen Geschichte ihrer Popularität.

Olivia Merkel: „Nanocarrier sollen Wirkstoffe an ihren Zielort im Körper bringen. Ohne solche Träger kämen sie dort nicht sicher an. Nukleinsäurebasierte Wirkstoffe wie etwa die Coronaimpfstoffe von BioNTech oder Moderna sind beispielsweise zu groß, um wie kleinere Moleküle durch einfache Diffusion in die Zielzellen zu gelangen. Freie Nukleinsäuren sind zudem instabil und werden im Körper zu schnell abgebaut. Nanocarrier, chemische Konstrukte von meist um die 100 Nanometern Größe, kapseln die Substanzen ein und sorgen obendrein dafür, dass sie von Zellen aktiv eingeschleust werden.

Doch wie kommen die Partikel an ihr Ziel? Beim sogenannten aktiven Targeting wird die Oberfläche der Nanocarrier so modifiziert, dass diese eine hohe Affinität für die Zielzellen entwickeln. Die eingefügten Peptide, Proteine oder Antikörper docken nach einer Art Schlüssel-Schloss-Prinzip an spezielle Rezeptoren auf der Oberfläche der Zielzellen an. Damit kann auch ihre Aufnahme in die Zelle starten. Je spezifischer die Rezeptoren Bestandteil der Zielzellen sind, desto besser funktioniert es, sie mit den Nanocarriern gezielt anzusteuern.

Impfstoffe in Lipid-Nanopartikel verpackt

Auch die aktuellen Corona-Impfstoffe verwenden künstliche Trägerpartikel, und so tauchten jüngst Fachbegriffe wie Lipid-Nanopartikel oder eben Nanocarrier auch in der Publikumspresse auf. Bei den Vakzinen von BioNTech/Pfizer und Moderna etwa sind mRNA-Moleküle, eine Form von Nukleinsäuren, in Lipid-Nanopartikel verpackt und werden in einer Suspension als Impfdosis gespritzt. Muskelzellen nehmen die Partikel auf und produzieren nach der mRNA-Bauanleitung die harmlosen Coronavirus-Proteine, die die Immunreaktion und damit die Bildung von Antikörpern gegen das Virus auslösen.

Zu Anfang gab es Befürchtungen, dass die Chemikalie Polyethylenglykol (PEG), die einen Anteil der Lipidhüllen ausmacht, in Einzelfällen eine Sensibilisierung bis hin zu anaphylaktischen Schocks auslösen könnte. Doch mittlerweile hat sich gezeigt, dass diese PEGylierten Lipide nur sehr wenige Verträglichkeitsprobleme bereiten.

Produktion von Arzneimitteln

Als ich 2015 an die LMU kam, galt mein Spezialgebiet noch als einigermaßen exotisch, jetzt ist es en vogue. Das mRNA-Delivery ist extrem gefragt. Das betrifft sowohl Kooperationen in der Wissenschaft als auch viele Firmen, die Beratung anfragen und die Zusammenarbeit suchen. Mein Kalender ist derzeit jedenfalls reichlich voll. Einen ersten Boost gab es, als 2018 ein erstes in Nanopartikel verpacktes Medikament auf RNA-Basis zugelassen wurde. Das wurde gegen eine seltene Erkrankung entwickelt und dementsprechend für einen kleinen Patientenkreis. Und jetzt, mit den mRNA-Impfstoffen, ist der Boom natürlich noch einmal deutlich größer.

Viel dreht sich um die Lagerstabilität. Der Pfizer-Impfstoff zum Beispiel muss ja bei tiefen Temperaturen aufbewahrt werden, normale Gefrierschränke reichen da nicht. Wir haben vor kurzem ein Patent zur Anmeldung eingereicht. Es zeigt, dass es möglich ist, Nanopartikel mit darin verpackter RNA per Sprühtrocknung in Pulver zu überführen. So aufbereitete Medikamente lassen sich längere Zeit bei Raumtemperaturen einfach lagern.“
Protokoll: math

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