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„Die Ungewissheit ist sehr belastend“

27.03.2020

Professor Peter Falkai ist ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU. Im Interview spricht er über die Auswirkungen der Coronakrise auf die Psyche und wie man das Kontaktverbot am besten übersteht.

Wie hat Corona Ihre Arbeit verändert?

Falkai: Wir schützen unsere Patienten, das ist ein der wichtigsten Aufgaben im Haus. Außerdem haben wir zusammen mit den Palliativmedizinern eine Task Force und ein Notfalltelefon für Betroffene eingerichtet. Für den Fall, dass wir viele Coronapatienten betreuen müssen, wurde eine ganze Station mit 22 Betten freigezogen. Es gibt einen separaten Eingang, ein eigenes Team und ein Oberarzt werden sich um diese Patienten kümmern. Wir können relativ viel tun, Sauerstoff geben, eine 24Stundenüberwachung anbieten. Aber wenn es richtig intensiv wird, dann brauchen wir die Hilfe der Intensivmedizin.

Wie erleben Sie die Stimmung in Ihrem Haus?

Falkai: Die Ungewissheit ist sehr belastend. Aber ich habe auch viel Solidarität erlebt und einen guten Spirit. Famulanten kündigen an, freiwillig zu kommen, auch das Pflegepersonal sagt: Ja, das muss jetzt sein. Und die Patienten und Angehörigen nehmen die Einschränkungen klaglos hin. Die Leidensfähigkeit ist überall groß.

Was macht die Situation für das Pflegepersonal und Mediziner so schwierig?

Falkai: Wer in diesem Beruf arbeitet, will Menschen helfen. Man arbeitet, wenn es nötig ist, bis zur Erschöpfung und hält sich für unverwundbar. Und dann erlebt man auf einmal die eigene Verwundbarkeit. Bin ich krank? Bin ich nicht krank? Gestern hat man noch mit einem Kollegen zusammengesessen, heute hat er Corona. Wenn die Patientenzahlen steigen, wird die Situation noch schwieriger. Daran, schwerstkranke Patienten zu versorgen, sind wir gewöhnt. Aber das sind einzelne Fälle. Gerade jemanden intubiert zu haben, und schon bringt der Sanitäter den nächsten Patienten: Das macht Stress.

Was hilft in solchen Fällen?

Falkai: Dass es sich um eine hochstrukturierte Arbeit handelt. Jeder weiß, was er tut, es ist ein gestuftes System. Wir arbeiten ein Schema ab. Wenn ein Patient nachts hoch auffiebert, wird eine Blutkultur angelegt, die Sauerstoffsättigung kontrolliert, eine Rachenabstrich gemacht, der Patient isoliert. Man kann das irgendwann im Schlaf.

Und wie geht es Ihren Patienten?

Falkai: Nicht gut.

Woran zeigt sich die Belastung?

Falkai: An Schlafstörungen zum Beispiel, an Angst und innerer Unruhe. Bei Patienten, deren psychische Krankheit gut kontrolliert war, kehren Symptome zurück. Manche spüren auf einmal Druck auf der Lunge und fürchten, das sei Corona. Es ist aber ein Symptom ihrer Angst. Eine ältere Patientin sagte mir: Es ist wieder Krieg. Es ist genau wie früher. Wir haben Angst. Das kann zu Retraumatisierungen führen, zu einem Wiederaufleben von Traumata.Auch die Zahl von Personen aus der gesunden Bevölkerung, die sich bei uns melden, steigt.

Die Ausgangsbeschränkungen in Bayern verbieten es, Freunde zu treffen. Wer allein wohnt, bleibt allein. Welche Auswirkungen hat diese Maßnahme auf die psychische Gesundheit der Betroffenen?

Falkai: Chronischer Konflikt plus Einsamkeit: Das trifft die psychische Gesundheit empfindlich. Alleinsein können Menschen ganz schlecht, wir sind im Kern soziale Wesen, die sich am wohlsten in kleinen Gruppen fühlen. Ältere Menschen, die keine Kontakte haben, werden krank. Vier Wochen lang kann man das aushalten. Hält es länger an, wird es schwierig.

Was können Verwandte tun, die ihre Eltern oder Großeltern nicht besuchen dürfen?

Falkai: Regelmäßig telefonieren, möglichst so, dass ein Bild vom anderen zu sehen ist, und das zuverlässig zu ganz bestimmten Zeiten, damit der Angerufene nicht vergeblich wartet, sondern sich auf das Gespräch freuen kann.

Wozu raten Sie?

Falkai: Das Smartphone so zu nutzen, dass ein Bild vom anderen zu sehen ist, das ist angenehmer als ein Telefonat. Musik hören. Den Fernseher anmachen. Ein Buch lesen. Dinge tun, zu denen man sonst nicht kommt. Wichtig sind Ziele, wichtig ist Struktur. Feste Zeiten, zu denen man aufsteht, sich anzieht, isst. Noch besser ist es, wenn man ein Haustier hat. Als gläubiger Mensch empfehle ich den Glauben, um Trost zu finden. Wer mit andern zusammenlebt, kann versuchen, vieles gemeinsam zu machen. Brettspiele spielen, mal mit den Kindern Computerspiele spielen, über die man sonst nur schimpft. Pläne zu schmieden und sich daran zu halten. Eine große Empfehlung ist auch: Sich nur zu festen Zeitpunkten über die neuesten Entwicklungen zu informieren.

Viel ist jetzt auch von der „frischen Luft“ die Rede. Wie wichtig ist es, rauszugehen?

Falkai: Es geht weniger um die Luft als um die Bewegungsfreiheit. Wir mögen uns noch so wohl fühlen in unseren vier Wänden, kriegen aber doch Platzangst, wenn wir nicht raus können. Und nicht jeder lebt in einem Haus mit Terrasse oder in einer schönen Wohnung mit Fenstern zu einer ruhigen Straße. Ich selbst jogge sehr gern. Entscheidend ist, sich aufzumachen und in die Bewegung zu kommen.

Was ist Ihre Hoffnung?

Falkai: Ich hoffe, in vier Wochen werde die Maßnahmen etwas gelockert. Denn wenn wir lange so weiter fahren, steigt die Gefahr psychischer Erkrankungen mehr und mehr an. Die Politik muss den Menschen das Gefühl geben, dass sie die Sache im Griff hat und sich jemand um sie kümmert. Virologische Maßnahmen allein genügen nicht. Man muss die psychische Gesundheit und Resilienz stärken. Menschen brauchen Zuversicht, das ist ganz wichtig.

Wenn die Krise vorbei ist: Welche Neuerungen, die sich in der Coronazeit etabliert haben. sollten bleiben?

Falkai: Das Homeoffice zum Beispiel. Videosprechstunden. Und internetbasierte Psychotherapie.

Interview: Monika Goetsch

Professor Dr. Peter Falkai ist ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU.

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