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Dimensionen eines Forschungsbaus

25.09.2015

Wenn das neue Biomedizinische Centrum Ende Oktober offiziell eingeweiht wird, hat es schon eine lange Geschichte. Der Molekularbiologe Peter Becker hat das Großprojekt als Koordinator über gut 15 Jahre maßgeblich vorangetrieben.

Können Sie schon durchatmen? Peter Becker: Das Staatliche Bauamt hat uns das Gebäude zwar schon vor etwa drei Monaten übergeben, aber die Einrichtung des Centrums und die Umzüge der Arbeitsgruppen sind noch nicht abgeschlossen. Es gibt also immer noch viel Arbeit, wir müssen nicht nur das Gebäude in Betrieb nehmen, sondern auch die Abläufe bis ins Detail durchorganisieren. Wenn man ein neues Gebäude dieser Größe und Komplexität bezieht, kann man sich auch bei bester Planung nie ganz sicher sein, dass auch wirklich alles auf Anhieb problemlos läuft. Es handelt sich schließlich um den größten Forschungsbau der letzten Jahre in Deutschland. Wir hatten einige Pannen, etwa einen Wasserschaden, durch den sich der Regelbetrieb in der Tierhaltung verzögert. Mein Lehrstuhl war die erste richtig große Einheit, die umgezogen ist, schon im Juli. Andere sind gefolgt. Wir sind die Pioniere, die alles ausprobiert haben – und noch immer ausprobieren.

Der größte Forschungsbau der letzten Jahre? Wie sieht denn das wissenschaftliche Konzept aus? Im Biomedizinischen Centrum (BMC) kommen acht große und schlagkräftige Lehrstühle vor allem der vorklinischen Fächer zusammen: Lehrstühle der Biochemie, Molekularbiologie, Physiologie und Zellbiologie sowie die Institute für Immunologie und Klinische Neuroimmunologie sowie das Walter Brendel Zentrum für Experimentelle Medizin. Was die inhaltliche Ausrichtung angeht, trifft es unser zwischenzeitlicher Arbeitstitel ‚Zentrum für angewandte Zellforschung’ ganz gut: Es geht um die Plastizität von Zellprogrammen, etwa um das Funktionieren des Genoms und die Reparatur von Schädigungen, um dynamische Strukturveränderungen im Zellkern oder an Teilen des Zytoskeletts, um Stammzellen und Zelldifferenzierung. Diese eher grundlagenorientierten Themen ergänzt eine Reihe von angewandten Themen: Neurodegeneration, Neurogenese, Neuronale Regeneration, Immunität und Immuntoleranz sowie Bereiche der Vaskulären Physiologie. Mittlerweile sind es 60 Forschergruppen, die ins BMC ziehen. Wir verstehen uns als internationales Exzellenzzentrum, unter uns sind drei Träger des Gottfried Wilhelm Leibniz-Preises der DFG, sechs Arbeitsgruppenleiter wurden mit Grants des Europäischen Forschungsrates (ERC) ausgezeichnet, drei weitere leiten Emmy-Noether-Nachwuchsgruppen. Und drei von uns sind Sprecher von Sonderforschungsbereichen der DFG.

Was für eine Logistik bedeutet ein solcher Umzug? Vielleicht muss man sich noch einmal die Dimensionen vor Augen führen: Insgesamt ziehen rund 500 Mitarbeiter um, etwa drei Viertel von ihnen sind Wissenschaftler. Sie brauchen eine komplette Laboreinrichtung, zum Teil hochempfindliche Geräte. Ein Gutteil davon schaffen wir neu an. So kaufen wir allein 800 Kühlgeräte, um die Energieeffizienz zu verbessern. Insgesamt brauchen wir 1500 neue Geräte, darunter sterile Werkbänke, größere Zentrifugen und Brutschränke. Sie wurden in den vergangenen Wochen aufgebaut und angeschlossen. Der Wissenschaftliche Koordinator des BMC ist mein Mitarbeiter Dr. Jörn Böke, der sich in den vergangenen zwei bis drei Jahren mit allen Bau- und Betriebsfragen auseinandergesetzt hat und im BMC jede Steckdose kennt. Er organisiert auch den komplexen Umzug; nicht zuletzt kommen wir ja von vier verschiedenen Standorten.

Das BMC hat schon jetzt eine lange Geschichte. Erste Planungen stammen von Mitte der 90er Jahre. Ist es üblich, dass man für Forschungsbauten einen derart langen Atem braucht? Normalerweise nicht, vielleicht erklärt es sich beim BMC aus der Dimension des Projekts. Jedenfalls war, als ich im Jahre 1999 berufen wurde, schon die Rede davon. Es gibt einen Masterplan der Hochschulleitung und der Fakultät, die biomedizinische Forschung am Campus Martinsried/Großhadern zu konzentrieren. Und es war klar, dass unsere alten Räume in der Innenstadt sanierungsbedürftig waren und auch keine Erweiterung zuließen. Es wurden in den Folgejahren viele Konzepte geschrieben, aber es gab kein Geld. Ein so großer Neubau ist nicht so einfach zu finanzieren.

Was brachte die Wende? Mit dem Programm „Aufbruch 2020“ hat die Staatsregierung noch unter Edmund Stoiber viele Hundert Millionen Euro unter anderem für Bildung und Wissenschaft zur Verfügung gestellt. Zu dieser Zeit war dann unser Konzept so gereift, dass es sozusagen auf dem Stoß obenauf lag. Die Staatsregierung gab grünes Licht – allerdings mit der Auflage, Bundesfördermittel einzuwerben. Früher beteiligten sich Bund und Länder bei Hochschulbauten automatisch zu gleichen Teilen. Nach der Bund-Länder-Reform engagiert sich der Bund finanziell nur noch bei Hochschulbauten von überregionaler Bedeutung. Das BMC war der erste Antrag aus dem Land Bayern, im Jahr darauf war er erfolgreich.

Aber das war noch nicht alles? Nein, als 2009 die Bewilligung vorlag, stellte sich heraus, dass die Konjunkturprogramme des Bundes die Preise für öffentliches Bauen so in die Höhe getrieben hatten, dass die bewilligte Summe nicht für alle Gebäude reichte. Deshalb mussten wir einen der ursprünglich drei geplanten Forschungsbauten auf einen zweiten Bauabschnitt verschieben. Wir mussten uns da wiederum neu sortieren, einige Kollegen vertrösten, das war ein schmerzhafter Prozess.

Wann wird etwas aus dem zweiten Bauabschnitt? Das hängt davon ab, wann ein erneuter Antrag von uns gute Chancen hat. Sollte die Finanzierung gesichert sein, wird es mit dem Bau schnell gehen, weil die Planung ja schon steht: Eines der jetzt fertiggestellten Gebäude ist sozusagen die Blaupause.

Zusätzlich richten sie jetzt eine ganze Reihe sogenannter Core Facilities ein. Ja, wir haben fünf solcher Kompetenzzentren, für Bioimaging, Bioinformatik, Proteinanalytik, Biophysik und Durchflusszytometrie. Das Zentrallabor für Proteinanalytik ist bereits seit Längerem an meinem Lehrstuhl gut etabliert. Das dient jetzt als Modell für die anderen zentralen Einrichtungen.

Schaffen Sie für die Core Facilities auch die Großgeräte an, die für einzelne Lehrstühle zu teuer sind? In der Tat. Früher waren die großen Lehrstühle in der Medizin in der Lage, ihre Forschung autonom zu organisieren. Das gelingt in der modernen Forschungslandschaft nicht mehr. Wir sind inzwischen alle methodisch sehr breit aufgestellt und brauchen dafür viele unterschiedliche Hochtechnologiemethoden, die kein einzelner Lehrstuhl mehr vorhalten kann. Es geht da um Geräte, die durchaus eine Million Euro kosten können, große Mikroskope zum Beispiel. Unsere Mittel für Großgeräte fließen ausschließlich in diese zentralen und gemeinschaftlich genutzten Core Facilities.

Ist die Aussicht auf einen Neubau auch ein Trumpf bei Berufungen? Ja. Zwei unserer Kollegen sind explizit mit der Aussicht auf neue Räumlichkeiten gekommen. Bislang war unsere Arbeitsumgebung nicht so, dass man damit kompetitiv gute Wissenschaftler einwerben konnte. In dem neuen Gebäude haben wir zwar nicht mehr Platz, aber die Flächen sind deutlich höherwertig. Außerdem gibt es eine große Nachfrage von besonders begabten Nachwuchswissenschaftlern auch aus dem Ausland, die ein Emmy-Noether-Stipendium der DFG oder einen Starting Grant des ERC einwerben und damit zu uns kommen wollen. Es ist ein steter Strom von Bewerbungen, ein paar solcher besonders ausgezeichneten Nachwuchsgruppen werden wir noch aufnehmen können.

Interview: Martin Thurau

Prof. Dr. Peter Becker ist Inhaber des Lehrstuhls für Molekularbiologie am Biomedizinischen Centrum der LMU.

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