News

„Ein Computer – und sei es eine KI – kommt als Urheber nicht in Betracht“

20.02.2023

Frage an Jurist Matthias Leistner: Welche Urheberrechtsfragen wirft der Textroboter ChatGPT auf?

Matthias Leistner ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Recht des Geistigen Eigentums mit Informationsrecht

Matthias Leistner ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Recht des Geistigen Eigentums mit Informationsrecht und IT-Recht. Mit folgendem Gastbeitrag antwortet er auf die Frage, welche urheberrechtlichen Fragen Sprachmodelle wie ChatGPT aufwerfen:

Die Möglichkeiten und Grenzen Künstlicher Intelligenzen (KI) werden in Fachkreisen – auch in juristischen Fachkreisen im Hinblick auf zivil- und urheberrechtliche Fragen – seit mindestens einem Jahrzehnt intensiv diskutiert.

Wichtig ist dabei nach vorherrschender Auffassung, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten und auch angesichts auf den ersten Blick überraschender Leistungen doch keine allzu übertriebenen Hoffnungen in die derzeitige Leistungsfähigkeit der Algorithmen zu setzen. Unvorhersehbar und selbstständig erstellt sind deren Ergebnisse zweifellos. Von echter ‚Intelligenz‘ kann dennoch aus vielerlei Gründen nicht die Rede sein.

Die breite Öffentlichkeit wird vom Hype um die KI erst in letzter Zeit erreicht. Gerade ist es die ChatGPT-Anwendung, die bei Feuilletonist:innen und Wirtschaftsredakteur:innen in aller Munde ist. An dieser Stelle liegt dann auch die Frage nach der urheberrechtlichen Beurteilung derartiger Anwendungen auf der Hand.

Erlangen Nutzerinnen und Nutzer Urheberrechte?

Aus urheberrechtlicher Sicht hat diese Frage mehrere Ebenen. Zuerst stellt sich die Frage nach der Inhaberschaft an Texten, die von ChatGPT produziert werden. Die Antwort fällt im Hinblick auf die Leistung dieser KI-Anwendung nach derzeit geltendem Recht mit gewissen Nuancierungen praktisch weltweit in allen wesentlichen Rechtsordnungen ähnlich aus: Ein menschlicher Urheber muss vorhanden sein, ein Computer – und sei es eine Künstliche Intelligenz – kommt als Urheber nicht in Betracht.

Natürlich können Menschen durch ihre Steuerung der Algorithmen oder die aufwendige Auswahl und Nachbearbeitung letztlich veröffentlichter Texte zu Urhebern werden. Aber der bloße Anstoß durch Formulierung einer Frage oder Aufgabe an eine KI-Anwendung, wie ChatGPT, genügt hierfür nicht.

Die Tatsache, dass daher auch eine tatsächlich vollständig selbstständig arbeitende KI im Ergebnis zunächst einmal für ihre Leistung als solche keinen immaterialgüterrechtlichen Schutz erhält, hat in Teilen der Wissenschaft prompt Forderungen nach neuen Schutzrechten – seien es Urheberrechte, seien es begrenztere Leistungsschutzrechte – auf den Plan gerufen. Diese Forderungen sind aber verfrüht und vermutlich auch auf lange Sicht unberechtigt.

Alleine die Tatsache, dass entsprechende Anwendungen bereits auf breiter Front auftreten und sich rasant fortentwickeln, belegt, dass zusätzliche Anreize durch Gewährung neuer Rechte des geistigen Eigentums hier derzeit nicht ohne Weiteres zu begründen sind.

Die Diskussion steht aber erst am Anfang. Hier ist zunächst die weitere Entwicklung zu beobachten, ist abzuwarten, ob möglicherweise in ganz spezifischen Bereichen – beispielsweise die Erzeugung wertvoller Trainingsdaten für Algorithmen wird hier immer wieder genannt – in der Zukunft Schutzbedürfnisse entstehen, die eine gesetzgeberische Reaktion erfordern. Doch dies ist derzeit Zukunftsmusik – man sollte die Dinge keinesfalls überstürzen.

Nach derzeitigem Stand erwirbt demnach weder die ChatGPT-Anwendung noch deren Programmierer oder Anbieter gesetzliche Rechte an den von ChatGPT erzeugten Ergebnissen. Auch der Nutzer hat in der Regel kein Urheberrecht, sofern er nicht in größerem Umfang eigene Materialien einbringt und die KI damit in ganz besonders konkreter Weise steuert. So weit, so klar.

Wie steht es um die Urheberrechte Dritter?

Das derzeit wesentlichere urheberrechtliche Problem liegt aber an anderer Stelle: Kann ich mich auf die Urheberrechtsfreiheit der von der KI produzierten Texte im Hinblick auf die von den Algorithmen genutzten, im Netz zugänglich gemachten Ausgangsmaterialien verlassen? In dieser Frage ist Vorsicht geboten.

Die unterliegende Software verwendet zweifellos mehr oder weniger direkt Ausgangsmaterialien, die sie im Netz gescraped hat. Die Entwickler versichern, sämtliche insoweit verwendeten Materialien hätten in öffentlichen Quellen frei zur Verfügung gestanden und seien daher insoweit urheberrechtlich frei. So einfach liegen die Dinge aber – gerade im deutschen und kontinentaleuropäischen Urheberrecht – nicht unbedingt. Informationen als solche sind in der Tat nach allgemeiner Ansicht urheberrechtlich frei. Was aber, wenn sich hier auch Textteile oder Versatzstücke in größerem Umfang wiederfinden, die von einem menschlichen Urheber erzeugt, ins Netz gestellt und dann von der KI in anderem Zusammenhang aufgegriffen und weiterverwendet werden?

Alleine die Tatsache, dass Texte im Netz zur Verfügung stehen, bedeutet nicht automatisch, dass sie auch flächendeckend für das Training oder den Einsatz im Rahmen von KI-Anwendungen weiterverwendet werden dürfen.

Sind also insoweit verwendete Textversatzstücke umfänglich genug, um ihrerseits urheberrechtlich geschützt zu sein (hier können schon ein bis zwei besonders originell formulierte Sätze potenziell in Betracht kommen), könnte das ‚Produkt‘ von ChatGPT doch Urheberrechte Dritter verletzen. Der Verwender, also der Nutzer der Software, haftet dann mit, wenn er die produzierten Texte urheberrechtsrelevant nutzt.

Vorsicht ist also geboten, wenn von ChatGPT erstellte Texte außerhalb des privaten Bereichs kopiert, veröffentlicht oder sonst urheberrechtsrelevant genutzt werden sollen. Auf Urheberrechtsfreiheit verlassen kann man sich hier derzeit nicht. Zu unklar ist noch, inwieweit nur wirklich freie Materialien aus dem Netz verwendet wurden oder ob sich möglicherweise doch übernommene Textversatzstücke in dem von ChatGPT erzeugten Text wiederfinden, die ihrerseits urheberrechtlich für Dritte geschützt sind.

Welche Schranken für Text- und Data-Mining sind nötig?

Aus wissenschaftlicher und rechtspolitischer Sicht stellen sich ohnedies ganz andere Fragen. Wie sorgen wir im Interesse einer dynamischen, innovativen Entwicklung im Bereich der Künstlichen Intelligenz dafür, dass die hierfür notwendigen Ausgangsmaterialien – also insbesondere Trainingsdaten jeglicher Couleur, die hier das wesentliche Bottleneck bilden – in hinreichendem Umfang unkompliziert und möglichst kostenfrei zur Verfügung stehen?

Hierfür sind in den wesentlichen Urheberrechtsordnungen weltweit mittlerweile Ausnahmen vom urheberrechtlichen Schutz vorgesehen: In den Vereinigten Staaten der sehr flexible, eher weit gezeichnete ‚fair use‘, in Europa die neuen Text- und Data-Mining-Schranken aus der zweiten großen Urheberrechtsrichtlinie von 2019 und in Japan weite urheberrechtliche Schranken, die das Land zu einem regelrechten ‚Urheberrechtseldorado‘ für die neuen Technologien machen.

Die EU-Ausnahme ist im weltweiten Vergleich dabei eher zurückhaltend gestaltet, erlaubt insbesondere das Text- und Data-Mining zu kommerziellen Zwecken gerade nicht uneingeschränkt. Nicht bei der wohlfeilen Forderung nach urheberrechtlichem Schutz für die Produkte Künstlicher Intelligenzen, sondern an dieser Stelle, die künftig unter bestimmten Umständen zu Wettbewerbsnachteilen in der EU bei der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz führen könnte, wird man in der Zukunft einmal gesetzgeberisch näher nachdenken und möglicherweise mit klugen, ausgewogenen Instrumenten nacharbeiten müssen.

Derzeit lautet das wichtigste Motto aber sicherlich, keinesfalls überstürzt Forderungen nach zusätzlicher urheberrechtlicher Regulierung zu stellen. Hier kann man durchaus auch vom US-amerikanischen Ansatz lernen: Gerade die innovativsten, dynamischsten Lösungen und Anwendungen entwickeln sich naturgemäß oft am besten, wenn ihnen zu Beginn der Entwicklung bewusst auch gewisser Freiraum eingeräumt wird. Tauchen dann in den Märkten konkrete Probleme auf, lässt sich in aller Regel immer noch rechtzeitig gesetzgeberisch reagieren.

Einstweilen ist ChatGPT aus Sicht der Fachkreise in erster Linie ein Hype. Weitere Forschung und eine ruhige Hand sind gefragt, bevor hier Forderungen nach urheberrechtlichen Veränderungen erhoben werden sollten.

Wonach suchen Sie?