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„Ein Wahlsieg Syrizas wäre keine Katastrophe“

22.01.2015

Am Sonntag wird in Griechenland gewählt. Der LMU-Wissenschaftler Ioannis Zelepos über die Absichten des Oppositionsbündnisses Syriza, unhaltbare Wahlversprechen und die Reformbereitschaft der Griechen.

Umfragen gehen im Moment davon aus, dass bei der Parlamentswahl in Griechenland das linke Parteibündnis gewinnt. Alexis Tsipras gilt als Shooting-Star der griechischen Politik. Warum ist er so erfolgreich?

Ioannis Zelepos: Attraktiv ist diese Partei vor allem durch ihr Versprechen, die Belastungen der Reformagenda rückgängig zu machen. Das kommt natürlich gut bei denjenigen an, die bereits große Einkommenseinbußen hinnehmen mussten und außerdem mit unsicheren Zukunftsperspektiven konfrontiert sind. Zudem pflegt Syriza das Erscheinungsbild einer neuen, unverbrauchten Partei, die nichts mit den Korruptionsvorwürfen und der Vetternwirtschaft der etablierten Parteien zu tun hat. Bestes Beispiel dafür ist der Vorsitzende Tsipras, der ja noch relativ jung ist und nicht gerade das Erscheinungsbild eines Apparatschik hat. Doch dieser Eindruck stimmt nur teilweise: Syriza selbst ist zwar eine neue Partei, als politische Formation jedoch keineswegs ein Neuling in der griechischen Politik. Sie rekrutiert sich im Wesentlichen aus dem ehemaligen „Bündnis“, griechisch „Synaspismos“, das sich 1989 unter diesem Namen formiert hat und seinerseits in der Nachfolge der eurokommunistischen Inlands-KP stand, die sich 1968 im Zusammenhang mit dem Prager Frühling von der moskautreuen Auslands-KP abgespalten hatte. Diese Kontinuität wird jedoch nicht sonderlich betont, weil sie nicht zum jugendlich alternativen Erscheinungsbild passt.

Ob es am Sonntag wirklich für einen Wahlsieg für Syriza reichen wird, ist unwägbar. Im Moment würde ich nicht einmal ausschließen, dass sich der Vorsprung des Linksbündnisses noch umdreht. Der Anteil der Unentschlossenen ist in allen Umfragen sehr hoch und auch die Prognosen selbst weichen stark voneinander ab.

Umfragen zufolge könnte das linke Parteibündnis gemeinsam mit der neuen politische Bewegung To Potami die Regierung stellen. Was würde das für die griechische Gesellschaft bedeuten?

Internationale Medien stellen Tsipras oft als Schreckgespenst dar – und natürlich kann ein Regierungswechsel immer Probleme nach sich ziehen. Trotz allem wäre ein Ministerpräsident Tsipras keine Katastrophe. Viele seiner Forderungen wurden bereits von ihm selbst stark verwässert. Zu einem radikalen Politikwechsel würde es daher vermutlich nicht kommen. Dafür sind die Sachzwänge, denen Griechenland unterliegt, einfach zu groß und der Handelsspielraum, den die griechische Regierung hat, ist viel zu gering. Die Zugehörigkeit zur Eurozone wurde von Tsipras ja niemals in Frage gestellt. Dagegen würde Syriza vor dem Problem stehen, dass nur ein Bruchteil ihrer Ankündigungen umgesetzt werden können. Für Tsipras scheint das im Moment keine Rolle zu spielen: Er will unbedingt Ministerpräsident Griechenlands werden. Außerdem wäre es weder die erste noch die letzte Regierung in Griechenland und Europa, die ihre vor der Wahl abgegebenen Versprechen nicht einhält.

Eine Regierungskoalition aus Syriza und To Potami könnte auch eine Chance sein: In den letzten Jahrzehnten war zu beobachten, und das gilt nicht nur für Griechenland, dass die Bevölkerung sozial unangenehme Maßnahmen eher von linken als von rechten Regierungen akzeptiert. Vielleicht könnte daher ein linkes Regierungsbündnis weitergehende Reformen durchsetzen als das jetzige. In jedem Fall wäre jedoch eine Entmystifizierung der Linken – sei es als Heilsbringer oder Schreckgespenst – zu erwarten, was dem politischen Pragmatismus im Lande gut täte.

Negativ dürften dagegen die Auswirkungen auf internationaler Ebene sein, da der Sieg einer reformkritischen Partei das Vertrauen in Griechenland und den Glauben an Reformbemühungen untergraben würde. Zu befürchten steht außerdem, dass die Reformansätze, die bisher eingeleitet wurden, um die strukturellen Probleme der griechischen Wirtschaft zu lösen, erst einmal ausgesetzt würden. Bei den Sparmaßnahmen sind dagegen die Auflagen der Reformagenda so eng – hier würde sich wohl kaum groß etwas ändern.

Kritiker werfen Tsipras vor, das Land zu spalten. Stimmt das?

Das finde ich zu dramatisierend: Von einer Spaltung könnte man allenfalls im Hinblick auf das Verhältnis von Stadt und Land sprechen, da die Unterstützung für Syriza in Großstädten – vor allem in Athen – größer ist als auf dem Land. Grundsätzlich sehe ich keine Spaltung Griechenlands. In seinen Äußerungen der letzten Monate hat Tsipras die Abschaffung der Reformagenda bereits selbst relativiert. Nun spricht er von Verhandlungen um bessere Konditionen – eine unverbindliche Ankündigung, die im Übrigen auch schon die bisherige Regierung gefordert hat.

Wird nach der Wahl eine Lösung der strukturellen Wirtschaftsprobleme des Landes näher rücken? Wie könnte der Weg Griechenlands aus der Krise aussehen?

Das größte Problem unseres Landes ist der aufgeblähte und ineffiziente öffentliche Dienst, den die griechische Politik dringend reformieren muss. Die jetzige Regierungskoalition hat die Rationalisierung der Verwaltung nicht zufriedenstellend vorangetrieben. Es gibt zwar kein Anzeichen dafür, dass Syriza das besser machen würde, aber warum sollte sie es schlechter machen? Man traut keiner Partei eine Lösung der Wirtschaftsprobleme des Landes zu. Das bedeutet anderseits aber auch, dass ein Sieg Syrizas nicht der Untergang Griechenlands wäre.

Optimistisch stimmt mich, dass in den letzten Jahren in der griechischen Gesellschaft das Bewusstsein dafür gewachsen ist, dass eine Reformagenda dringend notwendig ist und kein von außen aufgezwungenes Sparprogramm darstellt. Wie sich dieses Bewusstsein konkret niederschlägt, wird sich bei der Wahl am Sonntag zeigen.

Interview: Constanze Drewlo

Professor Ioannis Zelepos ist Professor für Neogräzistik (vertretungsweise) am Institut für Byzantinistik, Byzantinische Kunstgeschichte und Neogräzistik der LMU München.

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