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„Eine sehr intensive Zeit“

13.03.2015

Die Schriftstellerin Lena Gorelik war vor zehn Jahren eine der ersten Absolventinnen des Elitestudiengangs Osteuropastudien an der LMU. Das Schreiben hat ihre Studienwahl beeinflusst – und umgekehrt.

Schon als Kind habe sie „wahnsinnig viel erfunden“, erinnert sich Lena Gorelik. „Wenn ich zu spät in die Schule kam, war es nie, weil ich verschlafen hatte, nein! Es war, weil Außerirdische mich entführt hatten, oder weil ich noch auf meine sieben Geschwister aufpassen musste – die ich natürlich gar nicht hatte.“ Die Schriftstellerin sitzt zwischen Bücherregalen und Samtsofa im kleinen „Buch-Café Lentner“ in Haidhausen und nippt an ihrem Cappuccino. „Damals wirkte meine Fantasie wohl ziemlich komisch auf meine Umwelt, und ich musste deswegen sogar zum Schulpsychologen. Aber im Nachhinein ist der Weg, den ich beruflich eingeschlagen habe, logisch: Weil ich schon immer in irgendwelchen Welten schwebte, die mit der Realität wenig zu tun hatten.“

Heute hat die mittlerweile 33-Jährige eine ganze Reihe von Büchern veröffentlicht, ist mehrfach ausgezeichnet. Als Kind und Jugendliche jedoch schrieb sie für sich selbst. „Ich hatte immer das Bedürfnis, zu schreiben, dachte aber gleichzeitig: Wer soll das denn lesen?“ Schließlich zeigt sie doch einigen Freunden ihre Geschichten, schreibt für die Schülerzeitung „wie es sich klischeehafterwe­­­­ise gehört“, dann für die Lokalzeitung. Schließlich wird sie von der Deutschen Journalistenschule aufgenommen. Nach deren Abschluss hat Lena Gorelik den Eindruck, ihr ganzes Leben lang „eigentlich immer nur geschrieben“ zu haben – gerade ist ihr erstes Buch Meine weißen Nächte erschienen.

„Eine große, internationale Familie“ „Aber ich wollte mich nochmal inhaltlich mit Dingen auseinandersetzen, bevor ich mich wirklich in die Arbeit stürze.“ Als sie vom neuen „Elitestudiengang Osteuropastudien“ der LMU liest, scheint sie diesen Inhalt gefunden zu haben. „Ich fand das toll“, erinnert sie sich. „Dieses Internationale, die verschiedenen Themenkomplexe, die kleinen Gruppen ... Es fühlte sich total richtig an.“ Ihre Bewerbung hat Erfolg; im Hauptfach wählt sie die „Geschichte Ost- und Südosteuropas“, in den Nebenfächern Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre.

Das zweijährige Studium empfand sie als „wahnsinnig intensiv“. „Wir waren damals 22 Leute im Studiengang – wie eine große Familie, aus sieben oder acht Nationen, viele aus Osteuropa.“ Lena Gorelik selbst stammt aus Sankt Petersburg. „Die damalige Leiterin des Studiengangs war wie unsere Mutter.“ In einigen Seminaren saßen nur fünf Studierende. „Das bedeutete auch, dass man nicht einfach vor sich hinlümmeln konnte, sondern wirklich mitdiskutieren musste.“ Eine knapp dreiwöchige Studienfahrt führt die Gruppe einmal kreuz und quer durch Osteuropa. „Man war sehr stark in diesem Kosmos, der einen intellektuell, interkulturell und sonst wie forderte und förderte.“ Was sie erstaunte: „Trotz Auswahlverfahrens und ,Elite’-Attribut gab es nicht jenen Konkurrenzdruck, den ich von der Journalistenschule her kannte. Vielleicht, weil wir alle so unterschiedliche Ziele hatten: Einige wollten in die Wirtschaft, andere an der Uni bleiben, andere ins Ausland, dann gab es mich ...“

„Man macht sich leicht angreifbar“ Bis heute hält Lena Gorelik engen Kontakt zu einigen Kommilitoninnen und Kommilitonen – zwei sind Patentanten ihrer beiden Söhne. Auch auf ihr Schreiben hatte das Studium Einfluss: „Das ungeheure Wissen, das ich mir da angeeignet habe, kann ich immer wieder verwenden. Mein letzter Roman beispielsweise – Die Listensammlerin – spielt zum Teil in der Stalinzeit. Dabei konnte ich auf einem Grundwissen aus dem Osteuropa-Studiengang aufbauen.“ Beim Schreiben nimmt sie manchmal alte Studien-Unterlagen heraus, um Fakten zu prüfen. „Man macht sich doch sehr angreifbar, wenn man über etwas schreibt, das man selbst nicht erlebt hat“, so Lena Gorelik. „Der Roman, an dem ich jetzt arbeite, spielt im jugoslawischen Bürgerkrieg der Neunziger Jahre – auch da habe ich durch den Studiengang ein breites Hintergrundwissen.“ Ohne dieses, so Lena Gorelik, hätte sie den Roman wohl nicht begonnen. „Ich würde mir nicht anmaßen, jemanden in dieser Situation zu beschreiben, wenn ich selbst nicht dabei war.“ Was ebenfalls hilft: Eine ihrer besten Freundinnen – die sie ebenfalls aus dem Elitestudiengang Osteuropastudien kennt – kommt selbst aus dem ehemaligen Jugoslawien. „Und ich weiß, dass sie jede Seite, die dort spielt, für mich korrigieren wird.“ Ajb

1981 geboren, kam Lena Gorelik 1992 mit ihrer russisch-jüdischen Familie als sogenannter „Kontingentflüchtling“ nach Deutschland. Nach dem Diplomstudiengang Journalistik an der LMU und Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule absolvierte sie den Elitestudiengang Osteuropastudien der LMU. Als Journalistin schreibt Lena Gorelik unter anderem für Deutschlandradio, den Bayerischen Rundfunk und die Süddeutsche Zeitung. 2004 erschien ihr vielgelobter erster Roman Meine weißen Nächte, 2007 ihr zweiter: Hochzeit in Jerusalem war für den Deutschen Buchpreis nominiert. Es folgten Lieber Mischa sowie das Sachbuch Sie können aber gut Deutsch. Die Münchnerin wurde mit dem Ernst-Hoferichter-Preis, dem Friedrich-Hölderlin-Förderpreis der Stadt Bad Homburg und dem Buchpreis der Stiftung Ravensburger Verlage ausgezeichnet. Im September vergangenen Jahres erschien ihr jüngster Roman Die Listensammlerin.

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