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Entwicklungshilfe für das Sehen

02.04.2015

LMU-Wissenschaftler haben einen neuen epigenetischen Mechanismus entdeckt, mit dem die komplexe Entwicklung und Verschaltung von Nervenzellen der Netzhaut gesteuert wird.

Sehen ist ein komplexer Prozess, an dem ein Netzwerk verschiedener Nervenzellen in der Netzhaut beteiligt ist. Dieses Netzwerk entwickelt sich bei Säugetieren im Wesentlichen innerhalb einer Woche nach Öffnung der Augen, indem unreife neuronale Vorläuferzellen in reife Nervenzellen differenzieren und sich miteinander vernetzen. Die tiefgreifenden morphologischen und funktionalen Änderungen dieses Reifeprozesses erfordern eine sehr präzise Steuerung, wann welches Gen aktiv wird. LMU-Wissenschaftler um PD Dr. Stylianos Michalakis und Professor Thomas Carell deckten nun in einer Kooperation im Rahmen des Exzellenzclusters CIPSM (Center for Integrated Protein Science Munich) einen bisher unbekannten Mechanismus auf, mit dem die Entwicklung der Netzhaut gesteuert wird.

Jede Zelle enthält die kompletten Erbanlagen eines Organismus – welche Gene konkret zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiviert und abgelesen werden, legen erst chemische Modifikationen der DNA fest. Diese epigenetischen Prozesse spielen auch bei der Reifung des neuronalen Netzwerks in der Netzhaut eine wesentliche Rolle. Ein wichtiger Mechanismus der epigenetischen Genregulation ist die chemische Veränderung der DNA, indem Methylgruppen an bestimmte DNA-Bausteine angehängt werden. Diese Methylierung markiert die entsprechenden Gene gleichsam für die Zellmaschinerie: Sie sind in der Regel deaktiviert und werden nicht abgelesen. Erst seit 2009 ist bekannt, dass spezielle, sogenannte Tet-Enzyme die methylierte Form des DNA-Bausteins Cytosin sogar gezielt noch für weitere Funktionen umbauen kann. Bisher hatte man gedacht, dieser nur noch leicht veränderte DNA-Baustein mit dem Kürzel 5hmC sei ein reines Intermediat bei der aktiven DNA-Demethylierung. „Seit man weiß, dass 5hmC gezielt produziert werden kann, wird vermutet, dass 5hmC für das An- und Abschalten von Genen eine wichtige Rolle spielt“, sagt Michalakis. „In den reifen Nervenzellen der Netzhaut jedenfalls findet man sehr hohe 5hmC-Level. Wir gehen deshalb davon aus, dass die Produktion von 5hmC durch Tet-Enzyme bei der Entwicklung des neuronalen Netzwerks eine wichtige Rolle spielt. Wie dies geschieht, war bisher aber völlig unklar“.

Die LMU-Wissenschaftler konnten nun zeigen, dass Tet3 mit einem spezifischen Molekül interagiert, dem Transkriptionsfaktor REST, und so stillgelegte Gene tatsächlich wieder aktiviert – eben indem es aus methylierten Bausteinen 5hmC macht. Tet3 sorgt aber auch noch auf andere Weise dafür, dass die Zellmaschinerie an bestimmten Genen aktiv werden kann. In Zusammenarbeit mit einem weiteren Enzym verteilt es auch neue Methyl-Markierungen: Dadurch werden ursprünglich dicht gepackte inaktive DNA-Bereiche gelockert, bestimmte Gene sind damit besser zugänglich und können abgelesen werden.

Als nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler aufklären, wie und unter welchen Umständen der neue Mechanismus aktiviert wird. „Außerdem interessiert uns, ob es Erkrankungen gibt, bei denen dieser Mechanismus dereguliert ist. Falls dem so ist, könnten sich aus unseren Erkenntnissen möglicherweise auch therapeutische Anwendungen ergeben“, sagt Michalakis. (Cell Reports 2015)   göd

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