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Epidemien: Warnsignale aus dem Wasser

08.12.2021

Ob Covid-19 oder Antibiotikaresistenz: Andreas Wieser vom Tropeninstitut erforscht die Ausbreitung von Krankheiten anhand des Abwassers.

Gullideckel

© IMAGO / Future Image

Auf der Spur des Erregers geht es hinab in den Gully. Tief in der Münchner Kanalisation ist ein Team unter Leitung des Tropeninstituts der Covid-19-Pandemie auf der Spur. „Das Abwasser einer Metropole ist Quelle vielfältiger Informationen”, erklärt PD Dr. Andreas Wieser, Oberarzt der Infektions- und Tropenmedizin am LMU Klinikum. „Denn via Stuhl und Urin kommt der Erreger auch ins Abwasser; nicht zuletzt leiden viele Covid-Patienten auch unter Durchfall.”

Im Sommer hatte sein Forschungsteam Aufsehen erregt mit der ersten und bisher längsten Studie zur Abwasserüberwachung auf das SARS-CoV-2-Virus in Bayern, an der sich unter anderem das Max von Pettenkofer-Institut, das Genzentrum der LMU, das Münchner Gesundheitsreferat und das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit beteiligt hatten.

Die Ergebnisse der Proben im Münchner Stadtgebiet über ein Jahr hinweg bestätigten das Potenzial des „Waste Water Monitoring” als Frühwarnsystem für neue Wellen und Virusvarianten: Nicht nur standen sie im Einklang mit den offiziellen, auf Atemwegs-abstrichen basierenden Meldezahlen, sondern waren diesen sogar um drei Wochen voraus. Die Gründe für den Vorsprung seien nach wie vor unklar: „Und eigentlich kurios: Denn ich brauche ja erst eine erkrankte Person, um irgendetwas ausscheiden zu können.” Das Phänomen werde aber auch in anderen Ländern beobachtet und gehe womöglich auf statistische Verzerrungen bei den Meldezahlen zurück.

Polio-Monitoring an Flughäfen

Nutzt Abwasser als Informationsquelle: Dr. Andreas Wieser. | © Credit: LMU Klinikum

Ein Problem beim Überwachen speziell von Covid-19 in München sei, dass nicht die am Einfluss der Kläranlagen vorhandenen Beprobungssysteme genutzt werden können, mit denen die Stadt routinemäßig die Zusammensetzung des Abwassers und etwa seine Fäulnisbakterien misst. „Zum einen ist SARS-CoV-2 ein recht instabiles Virus, das im Wasser schnell zerfällt”, erklärt Wieser. „Dauert der Weg von der Toilette zur Kläranlage zu lange, kommt nur noch eine kleine Fraktion des Virus an.” Dies werde verstärkt durch die Wärme des Abwassers – geschuldet Fäulnisprozessen, Bodenwärme und heißem Dusch- und Badewasser.

Ein anderes Problem sei die spezielle Struktur der Münchner Kanalisation, die am Ende des 19. Jahrhunderts auf Initiative des Hygienikers Max von Pettenkofer vorausschauend groß angelegt worden war. „Um Überlastungen und Blockaden zu vermeiden, wurden mittlerweile viele Umleitungen eingebaut. Damit aber kann die Viruslast am Zufluss der Kläranlage nicht mehr einer bestimmten Anzahl von Menschen zugeordnet werden.” Beim Monitoring auf SARS-CoV-2 probt man deshalb dezentral, an genau ausgeklügelten Punkten mit repräsentativem Zufluss.

Doch Abwassermonitoring kommt bei Weitem nicht nur bei Covid-19 zum Einsatz. „Seit Jahren bewährt es sich weltweit für die Überwachung fäkal-oral übertragener Krankheiten wie Cholera oder Polio”, erklärt Andreas Wieser. „Gerade die Kinderlähmung ist ein klassisches Beispiel. In einem weltweiten Netzwerk wird unter anderem das Abwasser von Flughäfen auf Polio-Erreger untersucht. Immer wieder gibt es WHO-Warnungen, wenn Polio-Wildviren in den Kanalisationen solcher Drehkreuze gemessen werden.”

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Tropeninstituts beteiligen sich zudem an Forschungen zu Hinweisen auf Antibiotika-Resistenzen in Kanalisationen, auch in Afrika. Außerdem sind sie in „One Health”-Projekte eingebunden. Diese untersuchen unter anderem in Entwicklungsländern die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt in Abhängigkeit voneinander. „Wenn Menschen etwa in Entwicklungsländern mit ihren Hühnern und anderen Nutztieren unter einem Dach wohnen, kann man ihre Gesundheit unmöglich getrennt voneinander betrachten”, erklärt Wieser. Genutzt wird dabei auch das Abwassermonitoring. „Gerade aufgrund unserer Erfahrungen in diesem Bereich hatte das Team der Tropenmedizin das nötige Vorwissen, um damit auch auf Covid schnell reagieren zu können.”

Mögliches Messen bei Schulen und Altenheimen

Probenahme aus dem Abwasser. Foto: Münchner Stadtentwässerung (MSE)

In München haben Wieser und sein Team mittlerweile die Messstrategie geändert: Um Verzerrungen durch zufällige extreme Einzelwerte zu vermeiden, probt man statt einmal pro Woche nun zweimal, außerdem wird die mehrmalige automatisierte Beprobung mit Mittelung der Ergebnisse evaluiert. Andererseits sind einige der ursprünglich sechs Probestellen weggefallen. „Die Entnahme am Abfluss des Klinikums haben wir zum Beispiel aufgegeben, da sie keinen Mehrwert für die Erforschung des Virus gebracht hatte – obwohl die dort besonders niedrige Viruslast uns zunächst überrascht hatte.” Aber eigentlich sei der Grund klar: „An einem so spezialisierten und hochtechnologisierten Klinikum gibt es viel weniger Patienten als Mitarbeiter – und diese sind allesamt geimpft und es wird auch viel getestet.”

Was man zudem weiter erforschen will, ist die veränderte Bedeutung der Messergebnisse vor dem Hintergrund einer zum Großteil geimpften Bevölkerung. In der Zukunft hält Andreas Wieser es für denkbar, das Abwasser einzelner Einrichtungen gezielt zu überwachen. „Zum Beispiel bei Schulen und Altenpflegeheimen. So könnte man lokalen Ausbrüchen schneller auf die Spur kommen – und darauf reagieren.”

Bei all den Erfahrungen, positiven Ergebnissen und Einsatzmöglichkeiten wundert es Andreas Wieser, warum Abwassermonitoring in Deutschland noch nicht stärker institutionalisiert ist. „Diese Methode kann bestehende Datenquellen ergänzen und bietet mit wenig Aufwand eine andere Perspektive auf das Problem”, so der Infektiologe. „Trotzdem gibt es bislang in Deutschland keine Gesetze dafür, keinerlei geartetes Regelwerk, sondern lediglich eine Empfehlung der Europäischen Kommission an die EU-Mitgliedsstaaten, das Abwasser in Metropolen auf SARS-CoV-2 und seine Varianten zu überwachen.“ Politische Entscheidungsträger seien seiner Ansicht nach nun gefragt, das „Waste Water Monitoring” stärker im Infektionsschutz zu verankern – um Warnsignale aus dem Wasser noch effektiver zu entschlüsseln.

Die Publikation „Spatially resolved qualified sewage spot sampling to track SARS-CoV-2 dynamics in Munich - One year of experience”, die im August in der Fachzeitschrift Science of the Total Environment veröffentlicht wurde, finden Sie hier

Eine aktuelle Studie zur Verbreitung der Coronavirus-Variante Omikron lesen Sie hier

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