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Forschungsprojekt: KI im Lokaljournalismus

10.02.2022

Wie könnten Anwendungen Künstlicher Intelligenz Lokalredaktionen unterstützen? Ein Interview mit den Medienforschern Neil Thurman und Bartosz Wilczek über die Möglichkeit, Journalismus zu automatisieren.

Eine Zeitungswalze beim Druck | © IMAGO / Westend61

Der Lokaljournalismus steht vor vielen Herausforderungen. So machen es zum Beispiel rückläufige Print-Verkaufszahlen den lokalen Nachrichtenanbietern schwer, sich über Wasser zu halten. Anwendungen, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) basieren, könnten hier Abhilfe schaffen, indem sie recherchieren, Artikel schreiben und die Verbreitung optimieren, so die Idee.

Im Rahmen eines internationalen Projekts mit Expertinnen und Experten aus München, Leipzig, den Niederlanden und Norwegen sollen solche Anwendungen erforscht und entwickelt werden. Das Projekt ist interdisziplinär angelegt und bringt Forscher aus den Bereichen Computerkommunikation, Computerlinguistik, Medienmanagement und -wirtschaft sowie KI-Recht und -Ethik zusammen. An der LMU wird das Projekt von Professor Neil Thurman und Dr. Bartosz Wilczek koordiniert und ist am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung angesiedelt. Die Volkswagen Stiftung fördert das Vorhaben in den nächsten drei Jahren mit 1.412.000 Euro.

Lokalredaktionen sind in der Krise, das hört man häufig. Doch was genau bedeutet das?

Neil Thurman: Das stimmt, Lokalredaktionen sehen sich einigen Herausforderungen gegenüber. Sie müssen sich mit sinkenden Einnahmen aus dem Printbereich auseinandersetzen, bessere Wege zur Monetarisierung ihrer Online-Inhalte finden, schneller reagieren und mit größeren Zeitungen konkurrieren. Daher brauchen sie Unterstützung, um effizienter zu werden.

Es gibt bereits Belege dafür, wie KI den Lokaljournalismus unterstützen kann. Im Vereinigten Königreich gibt es zum Beispiel eine Nachrichtenagentur, die automatisierte Artikel an Kunden des Lokaljournalismus liefert. Sie werden für etwa ein Zwanzigstel des Betrags verkauft, der anfallen würde, wenn ein Lokaljournalist die einzelne Geschichte selbst schreiben müsste. Wir freuen uns darauf, mit lokalen Nachrichtenorganisationen in Deutschland zusammenzuarbeiten, um sie dabei zu unterstützen, einen Teil dieses Potenzials auszuschöpfen und dann die gewonnenen Erkenntnisse weiterzugeben.

Kosten zu reduzieren und zugleich verantwortungsvoll journalistisch zu arbeiten, das klingt nach einer großen Herausforderung. Wie möchten Sie mit ethischen Komponenten bei der Entwicklung von KI umgehen?

Neil Thurman: Unser Schlüsselwort ist „Verantwortung“. Natürlich wollen wir die Effizienz der Prozesse steigern und kostengünstiger arbeiten, aber es ist uns auch sehr wichtig, dass wir unserer Verantwortung für die Einhaltung journalistischer Werte und Standards gerecht werden. Hier kommt ein ethischer Ansatz ins Spiel. Wir möchten KI-basierte Anwendungen so gestalten und programmieren, dass ihnen journalistische Werte inhärent sind.

In diesem Zusammenhang ist übrigens auch die Definition von KI wichtig: Unser Projekt konzentriert sich auf Künstliche Intelligenz, aber wir sprechen ebenso über einfachere Möglichkeiten der Automatisierung von Prozessen, die vielleicht nicht immer einer strengen Definition von KI entsprechen.

Können Sie konkrete Beispiele geben, wie KI-Journalismus funktionieren würde?

Neil Thurman: Es gibt verschiedene Aspekte, die uns sehr wichtig erscheinen. Einer davon ist die Recherche. Das Auffinden von berichtenswerten Geschichten ist ein Bereich mit viel Potenzial. Soziale Medien bieten eine Menge Inormationen, die für Lokalredaktionen relevant sein könnten. Aufgrund der schieren Menge an Beiträgen in den Sozialen Netzwerken ist es für Journalisten jedoch schwierig, diese manuell zu sichten.

Es gibt bereits Tools, die die Suche nach Informationen in sozialen Medien automatisieren können. Sie können nach Ereignissen oder Diskussionen suchen, über die in den Mainstream-Medien noch nicht berichtet wurde, und Journalisten auf Hinweise aufmerksam machen.

Ein weiterer potenzieller Bereich ist die Verbreitung und Personalisierung von Nachrichten. Auch wenn die Personalisierung von Nachrichten schon seit etwa 30 Jahren besteht, gibt es noch viel Potenzial und Raum für Verbesserungen, etwa um sicherzustellen, dass die Lesenden mit ausreichend vielfältigen Nachrichten konfrontiert werden. Man sollte den Menschen nicht nur das zeigen, was sie angefordert haben, sondern auch Nachrichten, die sie vielleicht kennen müssen. Während der COVID-19-Pandemie hat dieser Aspekt zum Beispiel sehr an Bedeutung gewonnen.

Es ist tatsächlich schwierig vorherzusagen, welche Nachrichten bestimmte Personen interessieren. Wir können unsere eigenen Interessen in Bezug auf Nachrichten nicht sehr gut einschätzen, weil sie sich so schnell ändern. Wenn Sie vorab ein Profil der Nachrichten erstellen würden, die Sie im Jahr 2019 interessieren, würden die meisten Menschen sich niemals dafür entscheiden, beispielsweise Nachrichten über COVID-19 zu erhalten. Aus diesem Grund sind sogenannte kollaborative Filtersysteme nützlich. Sie gleichen die Interessen von Menschen ab, die sich auf verschiedene Weise ähnlich zu sein scheinen, ohne dass diese ihre Interessen genau beschreiben müssen.

Außerdem sind gerade im Lokaljournalismus Abonnements ein wichtiger Teil des Finanzierungsmodells. Auch hier können und werden KI und automatisierte Prozesse den Zeitungsverlagen helfen - indem sie Lesemuster untersuchen, andere Hinweise aufgreifen und versuchen, den Lesenden Anreize zu bieten ihre Abonnements zu behalten oder neu zu abonnieren.

Künstliche Intelligenz, die einen Artikel schreibt. Ist das eine realistische Vorstellung?

Neil Thurman: Nun, es ist insofern realistisch, als dass Vorlagen erstellt werden können, mit denen sich aus Datensätzen automatisch Geschichten produzieren lassen.

Die Geschichten werden zwar automatisch produziert, aber innerhalb eines Rahmens, den die Journalisten und Technologen entworfen haben. So werden beispielsweise die Daten eingegeben, und je nach den Informationen schreibt die Maschine einen bestimmten Satz oder Absatz. Sie trifft dabei keine eigenen Entscheidungen, sondern befolgt lediglich Anweisungen. Die Parameter werden vom Journalisten festgelegt, auch wenn der Computer den Text automatisch produziert und die Anweisungen befolgt.

Wie reagieren die Lokalredaktionen und Journalistinnen, Journalisten auf die neuen Möglichkeiten?

Bartosz Wilczek: In der Planungsphase unseres Projekts haben wir zwei Studien durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, wo lokale Nachrichtenorganisationen das größte Zukunftspotenzial von KI entlang der Nachrichtenwertschöpfungskette sehen, und sie zeigen Bedingungen auf, die die Einführung von KI im Lokaljournalismus erleichtern könnten. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse haben wir unser Forschungsprojekt entwickelt.

Wir haben bereits eine Reihe von lokalen Nachrichtenorganisationen, die an einer Zusammenarbeit mit uns interessiert sind. Das zeigt uns deutlich, dass das Interesse vorhanden ist.

Wir haben bereits kurz über das englische und das deutsche Mediensystem gesprochen: Gibt es da Unterschiede, die die Nutzung von KI betreffen?

Neil Thurman: Die Einführung von KI in das Mediensystem ist bei englischsprachigen Medien wahrscheinlich einfacher, da viele der Tools mit Blick auf die englische Sprache entwickelt wurden.

Obwohl es in Deutschland Technologiedienstleister gibt, die über deutschsprachige Systeme verfügen, besteht die Notwendigkeit, die Vorteile der Automatisierung auf nicht-englischsprachige Umgebungen auszudehnen - etwas, das bereits beginnt.

Einsichten. Das Forschungsmagazin macht Leserumfrage.

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Wie startete Ihr Projekt?

Neil Thurman: Seit 2015 habe ich ein Freigeist-Stipendium der Volkswagen Stiftung zum Thema KI und Automatisierung in den Nachrichten.

Dieses neue Projekt, das ebenfalls von der Volkswagen Stiftung finanziert wird, ist anders, weil es sich auf den lokalen Nachrichtenmarkt konzentriert. Außerdem fokussiert es sich mehr auf die Entwicklung von Tools als auf traditionelle sozialwissenschaftliche Forschung. Wir freuen uns sehr darauf, mit den lokalen Nachrichtenorganisationen zusammenzuarbeiten, um die Instrumente zu entwickeln und die Erkenntnisse aus diesem Prozess mit der lokalen Nachrichtengemeinschaft zu teilen.

Bartosz Wilczek: Unsere Forschungsgruppe besteht aus hervorragenden internationalen und interdisziplinären Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Wir werden nicht nur gemeinsam mit lokalen Nachrichtenorganisationen KI-Tools entwickeln, sondern auch die organisationsinternen, organisationsübergreifenden und gesellschaftlichen Bedingungen untersuchen, die die Einführung von KI im Lokaljournalismus erleichtern. Dadurch wird unser Projekt eine nachhaltige Wirkung entfalten.

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