Es ist ein eigentümliches Gefühl, mit den Augen einer Giraffe zu sehen. Wie schwebend blickt man von oben auf die Welt herab. Ein futuristisch anmutender Helm, gestaltet von den Künstlern Denis Connolly und Anne Cleary, erlaubt die ungewohnte Sicht. Michael John Gorman hatte diesen Helm und weitere Tierhelme als künstlerische Leihgabe kürzlich nach München geholt, als die Pläne für das neue Naturkundemuseum Bayern vorgestellt wurden. Für ihn sind Projekte wie jene des Künstlerduos keine Spielerei, sie ermöglichen ihm vielmehr, sein Ziel zu erreichen: die Öffentlichkeit für die Forschung zu interessieren. Dafür setzt er auch auf ungewohnte Perspektiven.
Gorman, Gründungsdirektor des Museums und zugleich Inhaber des neuen Lehrstuhls Life Sciences in Society an der LMU, sieht sich an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. „In den Life Sciences gibt es außergewöhnliche technologische Entwicklungen, die ganz neue ethische und soziale Fragen aufwerfen“, sagt Gorman und nennt als Beispiel die Technologie CRISPR/CAS, mit der sich DNA gezielt schneiden und verändern lässt. Erst im letzten Jahr gewann ein Studierendenteam von LMU und TUM im Rahmen des iGem-Wettbewerbs den ersten Preis auf internationaler Ebene für ein ambitioniertes Bioprinting-Projekt – für Gorman ein Beleg dafür, dass sich München als einer der weltweit wichtigsten Standorte für derartige Technologien etabliert hat.
Wie es gelingt, für Wissenschaft zu begeistern, hat der LMU-Professor in den vergangenen Jahren in Dublin gezeigt. Dort hat Gorman für die Universität, das Trinity College, die Science Gallery aufgebaut. In öffentlichen Ausstellungen und Veranstaltungen hat er Wissenschaft und Kunst zusammengeführt und die Besucher dabei nicht nur mit faszinierenden, sondern mitunter auch provozierenden Themen konfrontiert. In der Ausstellung „Technothreads: What Fashion Did Next“ zum Beispiel präsentierten Künstler Arbeiten mit Zellgewebe. Der Designer Oron Catts stellte „Victimless Leather“ vor, eine Jacke, die er aus lebenden Zellkulturen kreiert hatte. Auch der Performancekünstler Stelarc, über den weltweit berichtet wurde, als er sich ein Ohr in seinen linken Arm transplantieren ließ, war zu Gast. „Ein Künstler wie Stelarc ist ein extremes Beispiel, aber er trägt mit seiner Arbeit dazu bei, eine Diskussion über Human Enhancement und das Verhältnis von Mensch und Technologie anzustoßen“, sagt Gorman.
Ihm liegt daran, dass ein Museum seine Besucher nicht nur intellektuell anregt, sondern auch „eine emotionale Verbindung“ herstellt. „Kunst kann dazu beitragen, wissenschaftliche Themen anschaulich und erlebbar zu machen. Manchmal bringt Kunst die Menschen auch in eine spielerische Situation, die sie dafür empfänglich macht, Neues zu lernen.” Auch im neuen Naturkundemuseum Bayern, das 2023 fertig gestellt werden wird, werden Kunst und Design eine Rolle spielen. Auch Labore, in denen Forschung „live“ erlebt werden kann, sind geplant.Der Name des Museums – Biotopia – ist durchaus als Programm zu verstehen. „Was ist Leben?“, ist ein Schlüsselelement der Dauerausstellung. „Biotopia wird eine völlig neue Art von Museum. Im 19. Jahrhundert waren die klassischen naturwissenschaftlichen Museen reine Sammlungen, man wollte am liebsten die ganze Natur unter einem Dach haben. Wir verfolgen einen völlig neuen Ansatz: Statt das Museum um die Taxonomie herum zu organisieren, wählen wir den Zugang über das Verhalten, das uns die Tür zu den gesamten Lebenswissenschaften eröffnet“. In der Dauerausstellung „Was ist Leben“ werden die Besucher in Themenbereichen, die an ihre Erfahrungswelt anknüpfen wie „Schlafen“, „Essen“ oder „Spielen“ Schritt für Schritt an aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und Fragestellungen herangeführt. Ein Thema wie „Fortpflanzen“ soll beispielsweise ermöglichen, den Besuchern auch etwas über Evolution und Genetik zu erzählen.
Gorman, der mit seinem Team noch provisorisch in jenem Gebäude sitzt, das abgerissen werden wird, um für den neuen Museumsbau Platz zu machen, betont, dass das Museum nicht statisch, sondern eher ein „dynamisches Forum“ sei: „Wir wollen die Besucher nicht über biologische Prinzipien unterrichten, sondern Biotopia wird ein Ort sein, um Fragen zu stellen und Debatten zu führen über die Zukunft der Life Sciences und unser Verhältnis zur Umwelt.“ Um das zu erreichen, will er das Museum an die Forschung an der LMU anbinden und mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammenarbeiten. „Der Lehrstuhl und meine Arbeit als Museumsdirektor sind eng miteinander verknüpft.“ Von der Resonanz der LMU-Forscher auf seine Ideen ist er begeistert.
Erfahrungen in der Museumsarbeit hat Michael John Gorman bereits seit den 1990er-Jahren, als er in Florenz am European University Institute über den Universalgelehrten Galileo Galilei promovierte, der nicht nur aufgrund seiner bahnbrechenden Entdeckungen berühmt wurde, sondern wegen seines experimentellen Vorgehens auch als Begründer der Naturwissenschaften gilt. „Galileo kommunizierte mit mehreren Forschern im In- und Ausland. Man kann durchaus im 17. Jahrhundert von der ersten globalen Wissensgesellschaft sprechen“, so Gorman, der während seiner Promotion an der Konzeption einer Ausstellung über Leonardo da Vinci beteiligt war. „Das eröffnete mir einen neuen Blick auf meine Forschung: nicht nur wissenschaftlich zu arbeiten, sondern auch mit der Öffentlichkeit durch Ausstellungen in Verbindung zu treten.“ Es folgten Jahre in Harvard, am MIT und in Stanord, wo Gorman die Themen Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft lehrte. Es war die Zeit, als die Dotcom-Industrie aufkam – „eine außergewöhnlich stimulierende Umgebung“, erinnert sich Gorman und erzählt, dass er auf seinen Wegen über den Campus regelmäßig an einem Gebäude vorbeikam, das „The Standford digital library project” hieß. “Ich fragte mich, was das sein sollte – es war der Anfang von Google.”
Ermöglicht hat diesen Lebenslauf ein Studium der Physik und Philosophie in Oxford – Fächer, die Gorman ursprünglich gar nicht anstrebte. Ihn interessierte zunächst die Musik. Nach der Schule war der Ire als Straßenmusiker durch Deutschland gereist, Gorman spielt Klarinette. Doch dann lernte der 17-Jährige auf seiner Reise einen Physiker kennen. Der erzählte von Quantenphysik und der Relativitätstheorie und überzeugte ihn schließlich, Physik zu studieren. „Ich habe selbst erfahren, dass ein Gespräch ein Leben ändern kann. Diese Erfahrung prägt meine Arbeit. Ich glaube und wünsche mir, dass das auch den Besuchern in Biotopia passieren kann.“
Dafür setzt Gorman auf die Studierenden der LMU. Sie sind für ihn die idealen Vermittler zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. „Wir haben in der Science Gallery gesehen, dass die Begeisterung der Nachwuchsforschenden leicht aufs Publikum überspringt. Und auch für die Studierenden ist es eine Bereicherung, im direkten Kontakt mit der Öffentlichkeit zu stehen. Es wird für Wissenschaftler immer wichtiger, über ihre Forschung kommunizieren zu können.“
Für Michael John Gorman hat sich mit seiner Berufung auf den Lehrstuhl für Life Sciences in Society und mit seiner Position als Gründungsdirektor des Naturkundemuseums ein Kreis geschlossen. Sein Philosophie-Studium habe ihm die Möglichkeit eröffnet, einen Schritt zurückzutreten und über die größeren Zusammenhänge nachzudenken. Diese Perspektive auch aus der Wissenschaft herauszutragen, ist Gorman zur Mission geworden. Er zitiert Craig Venter – jenen US-amerikanischen Genforscher, der als erster das menschliche Erbgut sequenzierte und sein eigenes inzwischen im Internet veröffentlichte – um die Dringlichkeit seines Anliegens zu betonen: Für Venter sei das 21. das „biologische Jahrhundert“. „Unsere Gesellschaft ist mit einer Fülle an Herausforderungen konfrontiert: angefangen bei der Umweltverschmutzung über den Klimawandel bis hin zum Verlust an Biodiversität“, sagt Gorman. „Es ist unabdingbar, dass wir alle uns mit unserer Beziehung zur Natur und den wissenschaftlichen Erkenntnissen darüber beschäftigen. Es ist an der Zeit, ein Forum zu schaffen, dass dies ermöglicht.“ (Nicola Holzapfel)