Vor Kurzem hat Maximilian Münchhoff Schlagzeilen gemacht – mit einer guten Nachricht, obwohl sein Forschungsthema dafür nicht gerade prädestiniert ist. Der Mediziner forscht über Aids, woran bislang 35 Millionen Menschen weltweit gestorben sind. Ausgelöst wird die Krankheit durch HIV, ein Virus, das das Immunsystem angreift. Doch das gilt nicht für alle Menschen, die sich mit HIV infizieren.
In den vergangenen vier Jahren hat Münchhoff in verschiedenen Kliniken in Durban an der Ostküste Südafrikas gearbeitet. Die Stadt liegt in der Region KwaZulu-Natal. „Sie gilt als Epizentrum der weltweiten Aids-Pandemie. Bis zu 30 Prozent der Bevölkerung sind dort mit HIV infiziert“, sagt Münchhoff, der inzwischen an die LMU gewechselt ist. Als Postdoc war er im Team des Immunologen Philip Goulder von der University of Oxford vor Ort, um eine besondere Gruppe Betroffener zu untersuchen: Kinder, die nicht an Aids erkranken, obwohl sie mit dem Virus infiziert sind. „Es war gar nicht einfach, diese Kinder zu finden“, erzählt Münchhoff. Zu Hilfe kam den Forschern der Zufall: Die HIV-Ansteckung kam meistens erst bei Routineuntersuchungen ans Licht, als bei ihren Müttern Aids ausbrach und sie deswegen behandelt wurden. Bei Eintritt in die Studie waren die Kinder im Schnitt acht Jahre – und gesund.
Ohne Therapie erkranken mehr 99 Prozent der Infizierten Es ist ein Ausnahmeschicksal. In der Regel erkranken mehr als 99 Prozent aller Menschen, die mit HIV infiziert sind, ohne Therapie an Aids. Bei Kindern verläuft die Erkrankung besonders heftig und schnell. Bei einer HIV-Infektion integriert sich das Virus in das Genom menschlicher Immunzellen und wird Teil ihres Erbguts. Dadurch persistiert das Virus im Körper. Das Immunsystem versucht sich gegen die Infektion zu wehren, indem CD4 T-Zellen aktiviert werden. Diese aktivierten Zellen werden jedoch leichter von HIV infiziert, so dass es zu einer weiteren Ausbreitung des Virus und einem Verlust dieser wichtigen Immunzellen kommt – ein Teufelskreis, durch den das Immunsystem so geschwächt wird, dass Betroffene schließlich an Erregern erkranken, die Gesunden nichts ausmachen: Sie leiden an „Aids“, dem „Aquired Immuno-Deficiency Syndrom“.
Bei den allermeisten Menschen vermehrt und verbirgt sich das Virus in langlebigen Immunzellen, den sogenannten viralen Reservoiren. „Bei den gesunden HIV-infizierten Kindern dagegen findet die Infektion vorwiegend in kurzlebigen Zellpopulationen statt, die aus den langlebigen entstehen“, erklärt Münchhoff. Dadurch behalten die Kinder einen Vorrat an gesunden langlebigen Zellen, aus dem sie immer Nachschub an funktionierenden kurzlebigen Immunzellen schöpfen können. So bleibt ihr Immunsystem trotz einer sehr hohen Viruslast voll funktionsfähig. Die Mechanismen ihrer Immunantwort ähneln jenen der Mangaben, einer Affenart, die der natürliche Wirt des Simian Immunodeficiency-Virus (SIV) ist, von dem HIV abstammt. Auch die Mangaben leben weitgehend unbeschadet mit dem Virus, ohne zu erkranken – trotz starker Virusreplikation. Die Ergebnisse der Studie, die Münchhoff diesen Herbst als Erstautor in der Fachzeitschrift Science Translational Medicine veröffentlichte, sorgten weltweit für großes Medieninteresse.
Seit April ist der Nachwuchsforscher Mitglied der Arbeitsgruppe von Oliver Keppler, dem Inhaber des Lehrstuhls für Virologie am Max von Pettenkofer-Institut der LMU. Keppler untersucht insbesondere die Interaktion zwischen Virus und Wirt bei HIV, etwa die sogenannten Restriktionsfaktoren. Diese Zellbestandteile zeigen eine Aktivität gegen HIV, sodass sich das Virus schlechter vermehren kann. „Es ist eine interessante Frage, ob die gesunden HIV-infizierten Kinder Besonderheiten bei diesen Faktoren haben“, sagt Münchhoff.
Medikamente verringern nur die Viruslast Momentan leben weltweit 36,7 Millionen Menschen mit HIV. „Inzwischen gibt es über 20 hochwirksame Medikamente gegen Aids“, sagt Münchhoff. Manche Betroffene können Jahrzehnte lang mit dem Virus leben, auch wenn die heutigen Medikamente nicht heilen, sondern die Viruslast nur verringern können und Nebenwirkungen haben. Doch nicht in allen Ländern ist die Therapie breit verfügbar, inzwischen haben etwa 16 Millionen Betroffene weltweit Zugang zu Medikamenten, schätzen die Vereinten Nationen.
Bereits während seines Medizinstudiums arbeitete Münchhoff in der Therapie von Aids-Patienten. Während seines Praktischen Jahrs war er vier Monate als Kinderarzt in Kapstadt „Damals ist mein Interesse an Infektionskrankheiten und dem Schicksal von Kindern mit HIV entstanden.“ Seine Forschung ist nun an der Schnittstelle zwischen Labor und Patient angesiedelt. Die HIV-infizierten gesunden Kinder jedenfalls, so entdeckte er, entwickeln hochpotente Antikörper. „Um herauszufinden, was dazu führt, müssen wir ihr Immunsystem mit Blick auf die die B-Zellen, die diese Antikörper bilden, weiter untersuchen. Das wäre auch spannend für die Impfstoffentwicklung“, sagt Münchhoff.
Breit neutralisierende Antikörper sind bei HIV nötig, da das Virus stark mutiert. Es ändert sich mit jeder Übertragung und auch im Körper des Infizierten, vor allem in Reaktion auf die Immunantworten. Bei einer Ansteckung wird das Virus in dieser veränderten Form weitergegeben. Im Jahr 2013 war Maximilian Münchhoff an einer Studie beteiligt, die nachwies, dass der Aids-Erreger dadurch über die Jahre sogar schwächer, also weniger ansteckend, wird – noch so eine gute Nachricht. Doch weiterhin gilt: HIV ist lebensgefährlich und Aids eine Krankheit, die lebenslange Therapie erfordert.
In der Pubertät ändert sich das Immunsystem In Ländern, in denen die Therapie nicht breit verfügbar ist, bedeutet das Virus den sicheren Tod. Maximilian Münchhoff hat auch Kinder wissenschaftlich begleitet, die an Aids erkrankt sind. Unter anderem hat er untersucht, wie Mangelernährung in Kombination mit HIV das Immunsystem beeinträchtigt. „Viele der Kinder sind trotz Therapie gestorben. Das war schlimm zu sehen.“ Auch bei den gesunden HIV-infizierten Kindern können die Forscher nicht ausschließen, dass sie später einmal Aids entwickeln. „Das Immunsystem ändert sich in der Pubertät. Dadurch könnte es zu einer verstärkten Immunaktivierung kommen.“ Seit feststeht, dass sie das Virus im Blut haben, werden die Kinder alle paar Monate untersucht. „Vor zehn Jahren gab es in Südafrika häufig noch keine Therapie. Deswegen sind diese Kinder überhaupt in ihrem Alter angekommen, ohne jemals entsprechende Medikamente erhalten zu haben. Mittlerweile werden alle Kinder in Südafrika unter fünf Jahren, bei denen HIV diagnostiziert wird, sofort therapiert. Die gesunden Kinder der Kohortenstudie würden heutzutage also alle behandelt werden“, sagt Münchhoff und nennt ihr besonderes Schicksal ein „Glück im Unglück“ – für die Kinder und die Forscher, auch das eine gute Nachricht. Nicola Holzapfel
Dr. Maximilian Münchhoff arbeitet am Lehrstuhl für Virologie des Max von Pettenkofer-Instituts der LMU.