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Grasfrosch oder Kohlmeise: Leider unbekannt

29.03.2021

Kinder kennen immer weniger Arten. Wie LMU-Forscher Thomas Gerl vom BISA-Projekt für Nachhilfe sorgt – ein Interview.

Das Eichhörnchen kennen fast alle, aber Grasfrosch oder Kohlmeise? Thomas Gerl vom Lehrstuhl für Didaktik der Biologie an der LMU leitet zusammen mit Professorin Birgit Neuhaus eine Studie zur Artenkenntnis bayerischer Gymnasiasten. Für den sogenannten BISA-Test haben rund 1000 Sechstklässler 25 Tierarten anhand von Fotos benannt. Im Interview spricht Gerl über die Ergebnisse.

Selbsttest: Kennen Sie diese Tiere?

  1. Elena / AdobeStock
  2. LMU-Schriftzug auf grünem Hintergrund

In der Studie von Thomas Gerl mussten Kinder 25 verschiedene Tiere benennen. Die Auflösung gibt es immer unter dem nächsten Bild.

© Sven Petersen / AdobeStock

Das Eichhörnchen. Leicht? Das fanden auch die Kinder, die an der Studie teilnahmen. 99% erkannten den roten Nager. Ähnlich bekannt ist auch dieses Tier:

© Elena / AdobeStock

Den Biber erkannten rund 94% der Studienteilnehmenden - obwohl wahrscheinlich kaum ein Kind ihn schon einmal in der freien Wildbahn gesehen haben dürfte. Kniffliger wird es schon hier:

© Christian / AdobeStock

Frosch? Das wäre nur halb richtig. Für den vollen Punkt mussten die Kinder erkennen, dass es sich um einen Grasfrosch handelt. Lediglich 45% wussten die genaue Bezeichnung.

© Rostislav / AdobeStock

Den Karpfen erkannten 43% und landet damit nur auf Platz 10. Während Säugetiere in der Studie eher gut erkannt wurden, konnten besonders Fische und Vögel seltener richtig benannt werden. So landete dieser Vogel auf dem letzten Platz:

© AGAMI / AdobeStock

Dem Buchfink erging es am schlechtesten. Nur 9% der Studienteilnehmenden erkannten den Singvogel.

© LMU

Was wissen bayerische Schülerinnen und Schüler über heimische Tiere?

Thomas Gerl: Die Artenkenntnis ist in den letzten zehn Jahren geringer geworden. Im Vergleich zu einer ähnlichen Untersuchung aus dem Jahr 2006 erzielten die Kinder im Test rund 15 Prozent weniger Punkte, das ist ein deutlicher Rückgang.

Im Durchschnitt erkannten sie ungefähr 14 der 25 Arten, wobei viele Kinder nur sehr charismatische Arten wie den Biber oder den Feuersalamander kennen. Säugetiere beispielsweise werden sehr gut, Vögel aber eher schlecht erkannt.

Interessanterweise ist die Reihenfolge der bekannten Arten über die Jahre hinweg ziemlich ähnlich geblieben, nur das Wissensniveau ist bei den meisten Arten gesunken. Die bekanntesten Tiere waren sowohl in unserer aktuellen Studie als auch 2006 das Eichhörnchen und der Maulwurf. Die unbekanntesten Tierarten waren 2006 Buchfink, Bussard, Star und Zauneidechse, und diese Arten belegen auch heute noch die letzten Plätze, gemeinsam mit dem Rebhuhn, das damals nicht dabei war. Es gibt nicht viele Auf- oder Absteiger.

Eine Art, die sehr viel an Bekanntheit verliert, ist z.B. der Karpfen, der acht Plätze nach unten gerutscht ist. Der Specht wiederum ist vier Plätze nach oben gewandert. Aber das sind eher Ausnahmen.

Wie erklären Sie den Rückgang?

Die genauen Ursachen lassen sich mit unserer Studie nicht eindeutig nachweisen. Aber natürlich hat sich seit 2006 einiges in der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler geändert. Zum Beispiel das Schulsystem. Wir haben Kinder aus dem ehemals neunjährigen Gymnasium mit dem auslaufenden G8 verglichen. Die befragten Schüler besuchten das G8, in dem Artenkenntnisse kein Bestandteil des Lehrplans waren. Das war in den Lehrplänen des G9, das die Vergleichsgruppe im Jahr 2006 besuchte, noch anders. Ob das allerdings die entscheidende Ursache für den Rückgang der Artenkenntnis ist, wissen wir nicht.


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3 | 26.03.2021

Wovon hängt es ab, ob eine bestimmte Art bekannt ist oder nicht?

Biber oder Dachse beispielsweise sind im Alltag kaum live zu sehen, trotzdem führen sie die Bekanntheitsliste mit an. Die Chance, so ein Tier in echt zu sehen, spielte für den Bekanntheitsgrad im Test keine große Rolle. Auch einen Maulwurf hat wahrscheinlich noch keines der Kinder in echt gesehen, sondern nur die Hügel. Trotzdem wird er recht gut erkannt. Unter den bekanntesten Tieren sind viele Säugetiere. Wir tippen darauf, dass viele davon auch in Kinderbüchern vorkommen und deshalb von klein auf mitgelernt werden.

Bei den Vogelarten dagegen sind ja einige dabei, die sehr häufig sind. Jeder hat wahrscheinlich in seinem Leben schon einmal Buchfinken gesehen, aber die werden wohl nicht so richtig wahrgenommen. Das sind für die Kinder einfach „kleine Vögel“, die sie gar nicht unterscheiden.

Wie kann die Artenkenntnis verbessert werden?

Das ist mir und meinen Kollegen wirklich ein großes Anliegen. Am Lehrstuhl für Didaktik der Biologie habe ich deswegen das BISA-Projekt ins Leben gerufen. BISA steht für Biodiversität im Schulalltag. Wir haben zahlreiche Unterrichtsmaterialien erstellt, die online verfügbar sind und Naturbeobachtungen mit digitalen Medien verbinden. Unsere Hauptzielgruppe sind Kinder, und es ist uns wichtig, dass das Lernen spielerisch abläuft.

Uns kommt es weniger darauf an, dass die Kinder die Staubblätter der Blüten zählen, sondern sie sollen eine kleine Geschichte damit verbinden – etwa dass der Löwenzahn auf Französisch Pissenlit heißt, also „Bettnässerpflanze“, weil man oft auf die Toilette muss, wenn man viel davon isst.Aber auch strukturell hat sich in Bayern viel Positives getan. Im bayerischen LehrplanPLUS für das neue G9 wurde Artenkenntnis massiv gestärkt. So ist es z.B. Pflicht in jedem Schuljahr im Fach Biologie ein heimisches Ökosystem zu besuchen und dessen Lebensgemeinschaft zu erkunden. Damit ist Bayern in Deutschland sicher ein Vorreiter in diesem Bereich


Warum ist es für Schüler wichtig, Arten zu kennen und beispielsweise einen Frosch von einer Kröte unterscheiden zu können?

Wir erleben gerade eine große Biodiversitätskrise. Jede Stunde verschwinden Arten für immer. Ohne Artenkenntnis werden wir gar nicht mehr bemerken, was verloren geht.

Deswegen müssen wir dringend bei den jetzigen Kindern einen Anker setzen. Es gibt den alten Spruch von Konrad Lorenz: „Nur was man kennt, kann man auch schützen.“ Dafür braucht es auch in Zukunft möglichst viele Menschen mit einem Bewusstsein für Vielfalt an Arten. Und nicht zuletzt: Natur beobachten und Lebewesen entdecken macht glücklich.


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