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Hilfe zur Selbsthilfe

11.02.2019

Hoffnung für die Onkologie: Die Immuntherapie setzt das Abwehrsystem des Körpers auf den Krebs an.

Als William Coley im Jahr 1890 Streptokokken als Heilmittel gegen weit fortgeschrittene Krebsgeschwüre einsetzte, sprach noch niemand von Immuntherapie. Der US-amerikanische Chirurg hatte eher zufällig festgestellt, dass sich der Zustand von Patienten mit Weichteilkrebs plötzlich besserte, wenn sie in Betten lagen, in denen zuvor Menschen mit schweren bakteriellen Infektionen der Haut behandelt worden waren. Coley war damals nicht klar, wie die Methode wirkte, dass nämlich tatsächlich Bakterienextrakte die Körperabwehr anregten. Doch genau genommen war damit die Idee in der Welt, das Immunsystem gegen Tumoren in Stellung zu bringen. Die Ergebnisse ließen sich allerdings von anderen Ärzten nicht reproduzieren, wohl auch deshalb nicht, weil die Bakterienstämme nur ungenau standardisiert waren. Und so geriet die Idee wieder in Vergessenheit.

Immunsystem spielt eine Schlüsselrolle bei der Ausbreitung von Krebs Erst mehr als hundert Jahre später lenkte ein Zufall den Fokus der Krebsforscher im Zusammenhang mit AIDS wieder auf das Immunsystem. Das tückische HI-Virus hatte die Körperabwehr extrem geschwächt, die Betroffenen starben nicht am Virus selbst, sondern beispielsweise an aggressiven Tumoren. Das Kaposi-Sarkom etwa kam mehr als 200-mal so häufig vor wie beim Rest der Bevölkerung. HIV steigerte offensichtlich das Krebsrisiko. Forscher erkannten, dass das Immunsystem eine Schlüsselrolle bei der Ausbreitung von Krebs spielt und Immun- und Tumorzellen wohl miteinander interagieren. „Das war ein Durchbruch in Richtung klinischer Anwendung von Immuntherapien“, sagt Sebastian Kobold, Leiter der Arbeitsgruppe Immunpharmakologie am Klinikum der LMU. So kam in den 1990er Jahren die Idee wieder auf, beispielsweise weiße Blutkörperchen oder T-Zellen zu stärken und gegen bestimmte Tumoren zu richten. Kobold selbst forscht heute an der LMU an neuen Konzepten, wie sich die T-Zellen des Immunsystems mithilfe gentechnischer Veränderungen gegen Tumorzellen ausrichten lassen. Dafür hat der Mediziner erst jüngst einen hochdotierten Starting Grant des Europäischen Forschungsrates (ERC) bekommen.

Eine Immuntherapie zielt im Gegensatz zu Chemo- oder Strahlentherapie nicht unmittelbar auf den Tumor; sie soll das körpereigene Immunsystem der Erkrankten so aktivieren, dass es den Tumor bekämpfen kann. „Man muss Krebszellen nicht mehr direkt ansteuern, um sie abzutöten“, sagt Sebastian Kobold, Leiter der Arbeitsgruppe Immunpharmakologie am Klinikum der LMU. „Das ist ein ungeheurer Vorteil – und ein Paradigmenwechsel.“ In den USA ist im vergangenen Jahr erstmals in der Medizingeschichte eine Therapie zugelassen worden, die körpereigene T-Zellen als Medikament gegen die akute lymphatische Leukämie und eine Spezialform des Non-Hodgkins-Lymphoms nutzt.

Point of no return Die Fortschritte hängen auch damit zusammen, dass Forscher mittlerweile den Verlauf einer Krebserkrankung besser verstehen und so Ansatzpunkte für gezielte Angriffe erkennen. Krebs beginnt in der Regel mit einer einfachen Mutation in einer einzigen Zelle, Auslöser können eine hohe UV-Strahlung, Zellgifte oder Gendefekte sein. Prinzipiell ist der Organismus in der Lage, dabei entstehende Schäden zu reparieren oder im Notfall die Zelle in den programmierten Zelltod zu treiben und so zu eliminieren. Allerdings können Zellen Mutationen auch ansammeln und entarten. Meist bricht der Krebs danach aber noch nicht sofort aus. Im Körper stellt sich zunächst für einige Zeit eine Art Gleichgewicht ein. Während das Immunsystem die Krebszellen eliminieren möchte, versuchen diese, sich schnell zu teilen. Wer hier gewinnt, hängt schlicht davon ab, wer auf Dauer schneller ist. „Der Krebs wird erst dann manifest, wenn er dem Immunsystem entkommt und gelernt hat, es gezielt zu blockieren oder umzuformen“, sagt Kobold. „Das ist der echte point of no return.“

Kobold, der einige Jahre selbst als Krebsarzt gearbeitet hat, erforscht im Rahmen seines ERC-Projektes „Armor-T“ vor allem die Immunologie von Bauchspeicheldrüsenkrebs, einem besonders aggressiven Tumor. Bisher entwickelte Immuntherapien, die gegen andere Krebsarten wirken, sind beim Pankreas-Krebs wenig erfolgreich. Warum Bauchspeicheldrüsenkrebs sehr selten heilbar ist, ist bislang nicht vollständig geklärt. Kobold will nun T-Zellen therapeutisch einsetzen, es seien schon an sich effiziente Waffen gegen den Krebs, die allerdings „irgendwann versagen“. Der Krebs legt sie lahm, wenn er sich ausbreitet. „Indem wir die Zellen gentechnisch verändern, Rezeptoren oder eigens entwickelte Proteine einbauen, die Krebszellen wieder erkennen können, machen wir sie wieder scharf“, erklärt Kobold. So wollen die Forscher das Immunsystem des Patienten wieder in die Lage versetzen, die Tumorzellen auszuschalten. Es ist ein Kampf, bei dem das Immunsystem schneller als die Krebszellen sein und diese immer wieder austricksen muss. Denn der Krebs hat eine Art Festung um sich herum aufgebaut, sagt Kobold, die es zu überwinden gilt.

Lernen von den schweren Fällen Getestet werden diese innovativen Therapien zunächst in Modellen, dann in klinischen Studien an Patienten, bei denen die Krankheit weit fortgeschritten ist. „Die Medizin verdankt diesen Menschen viel“, sagt Kobold. „Die Forschung lernt gerade von den schweren Fällen.“ Seine Forschergruppe hat inzwischen reichlich Erfahrung darin, T-Zellen effizient zu verändern und etwa RNA- oder DNA-Bruchstücke einzubauen, die Botenstoffe oder Krebszellen direkt erkennen können. Da die Immuntherapie nicht organspezifisch ist, lassen sich die Ergebnisse auch auf andere Tumorerkrankungen übertragen.

So ist der Arzt verhalten optimistisch, was die Behandlung auch tückischer Krebsarten angeht. Die Zukunft gehöre eindeutig den Kombinationstherapien, sagt Kobold. Klassische Strahlen- oder Chemotherapien werden durch Immuntherapien mit T-Zellen oder sogenannten Checkpoint-Inhibitoren ergänzt. Auch diese Strategie gegen den Krebs muss darauf ausgerichtet sein, das Abwehrbollwerk des Tumors zu überlisten. Tumorzellen wirken nämlich auf das Immunsystem ein, so dass es nicht mehr in der Lage ist, sie zu erkennen. Checkpoint-Inhibitoren wiederum blockieren die Moleküle der Tumorzellen, die die „Blindheit“ auslösen; das Immunsystem kann wieder aktiv werden. „Viele Tumoren haben nicht nur einen Wirkmechanismus“, sagt Kobold. „Es ist eine Sisyphos-Arbeit, oft frustrierend, aber wir können wenigstens immer wieder einzelnen Patienten helfen.“

Oft bremsen auch Studien allzu große Erwartungen. Der Antikörper Ipilimumab beispielsweise wirkt nur bei etwa einem Fünftel der Patienten. Das gegen den Schwarzen Hautkrebs aktivierte Immunsystem schafft an anderer Stelle große Probleme. Forscher berichten von chronischen Entzündungen im Darm oder Leberversagen. Kobold betont dennoch die Fortschritte der Immuntherapie. „Jahrzehntelang konnte man für viele Patienten wenig oder nichts tun, jetzt haben wir immer mehr neue Möglichkeiten.“

Wie sehr die Medizin nach zahllosen Rückschlägen auf die Immuntherapie setzt, zeigen auch die Zahlen. Mehr als 30 Zielstrukturen entweder auf der Krebszelle selbst oder eben auf den T-Zellen stehen im Fokus; an sie können Antikörper binden und entweder die Krebszellen in Schach halten oder aber das Immunsystem gezielt zur Abwehr anregen. Derzeit werden mehr als 900 verschiedene Wirkstoffe in über 3000 klinischen Studien untersucht, an den Tests nehmen weltweit eine halbe Million Krebspatienten teil. Auch diese beeindruckenden Zahlen sind für Krebsforscher Kobold ein Zeichen der Hoffnung.

PD Dr. med. Sebastian Kobold ist Leiter der Arbeitsgruppe Immunpharmakologie und Oberarzt am Klinikum der LMU. Kobold, Jahrgang 1983, studierte Medizin in Homburg/Saar, Zürich und Bordeaux. Seine klinische Weiterbildung in Hämatologie und Onkologie sowie Klinischer Pharmakologie absolvierte er am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und am Klinikum der LMU. In München baute er zudem eine Arbeitsgruppe in der Abteilung für Klinische Pharmakologie auf. Kobold war Visiting Scientist am Dana Faber Cancer Institute in Boston, USA, und habilitierte sich 2014 an der LMU. 2016 zeichnete ihn der Europäische Forschungsrat (ERC) mit einem seiner hochdotierten Starting Grants aus.

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