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„Im Grunde wäre ich lieber Gedicht“

03.12.2019

Rund 1.200 Veranstaltungen seit 1989, 2.000 Nutzer pro Jahr und eine Präsenzbibliothek mit 63.000 Medien – das Lyrik Kabinett beherbergt die europaweit größte auf internationale Lyrik spezialisierte öffentliche Sammlung. In diesem Jahr feiert es sein ...

Einmal im Monat verwandelt sich das Lyrik Kabinett in eine leuchtende Clublandschaft, ein DJ wechselt sich mit Spoken-Word-Poetinnen und -Poeten ab: „Bewegung“ ist bei der Reihe „Poetry in Motion“ Programm. Beim Novemberauftritt breitet die singapurische Dichterin Deborah Emmanuel ihre Hände aus, faltet sie zum lyrischen Gebet, singt Zeilen aus Mobys Lied „Natural Blues“, das einen afroamerikanischen Folksong nachempfindet. „We are all reaching for largeness“, rezitiert sie weiter – und auch das ist programmatisch für das Poesiezentrum, das eine große Strahlkraft auf die Lyrikszene ausübt.

Geschichte eines besonderen Ortes

Angefangen hat das Lyrik Kabinett im Jahr 1989 allerdings ganz klein, als Spezialbuchhandlung für Lyrik in einem Keller in der Münchener Maximilianstraße. 1994 folgte die Gründung eines gemeinnützigen Vereins, 2003 die Gründung der Stiftung Lyrik Kabinett durch Ursula Haeusgen mit dem Zweck der Förderung der „Kenntnis und des Verständnisses von Lyrik in der Gesellschaft“. 

Im Lyrik Kabinett bilden Dichtkunst in Buchform und bildende Kunst überraschende Ensembles. Foto: Dieter Lukas, panobilder.de

Poesievermittlung ist im Haus in der Amalienstraße 83 a, in dem das Lyrik Kabinett seit 2005 beheimatet ist, oberstes Gebot. Die Weichenstellung von der Buchhandlung zur Bibliothek beziehungsweise vom Unternehmen zum Verein und zur Stiftung waren entscheidende Schritte. „Das hat Frau Haeusgen sehr geschickt gemacht. Davon profitieren wir alle“, unterstreicht der Geschäftsführer der Stiftung Dr. Holger Pils. „Alle“ – damit sind der Stiftungsvorstand und die inzwischen sieben Mitarbeiter des Lyrik Kabinetts gemeint, aber auch Dichter und Performer, Schüler und Studenten, Wissenschaftler und Hobbyforscher, Literaturvermittler und Lyrikliebhaber aus allen Bereichen der Gesellschaft.

Lust auf Lyrik „Unser Anspruch ist, uns nicht nur an die eingefleischten Lyrikleser zu wenden, sondern auch an Menschen, die sich vielleicht noch nicht so stark mit Lyrik befasst haben“, erklärt Holger Pils weiter. In einer Kooperation mit der Bayerischen Akademie der Wissenschaften trafen im Rahmen der Reihe „Wissenschaft und Poesie“ verschiedene Sichtweisen auf die Welt aufeinander. „Lust auf Lyrik“ heißt wiederum das Modellprojekt, in dem seit 2005 Lyrikvermittler an Münchener Schulen und Schulklassen ins Lyrik Kabinett gebracht werden. Rund 500 Schüler erfreuen sich inzwischen jedes Jahr am breiten Workshop-Angebot. „Die Nachfrage ist so groß, dass wir sie gar nicht stillen können“, erzählt die Mitarbeiterin Dr. Pia-Elisabeth Leuschner begeistert.

Deborah Emmanuel zu Gast bei „Poetry in Motion” am 11. November 2019.

Drei Jahrzehnte Poesie: Jubiläumsanthologie und Online-Archiv Neben der Bibliotheks- und Veranstaltertätigkeit wirkt das Lyrik Kabinett auch als Herausgeber von Lyrikreihen und Spezialbänden. Die Anthologie zum 30-jährigen Jubiläum „Im Grunde wäre ich lieber Gedicht“ (Carl Hanser Verlag, 2019) enthält eine Auswahl von ca. 250 Gedichten aus 1.200 Lesungen, die im Lyrik Kabinett stattfanden – Gedichte von älteren und neueren, bekannteren und weniger bekannten, deutschen und internationalen Autoren. Die Hälfte der darin enthaltenen Gedichte sind zweisprachig, 60 Gedichte sind Erstveröffentlichungen. Der Jubiläumsband erwähnt sämtliche Lesungen des Lyrik Kabinetts seit 1989.

Einige Lesungen werden zudem künftig auf dem Internetportal dichterlesen.net online gestellt. Pünktlich zum Jubiläum sind hier die ersten Audioaufnahmen aus dem Archiv zu hören.

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