News

Immunsystem aus dem Gleichgewicht

20.07.2020

LMU-Forschern haben erkannt, welch wichtige Rolle Mastzellen und ihr Calciumgleichgewicht für unser Immunsystem spielen.

Das Immunsystem schützt unseren Körper vor Viren und Bakterien und auch vor der Entstehung von Krebs. Dabei sind zunächst die Zellen des angeborenen Immunsystems für die Abwehr zuständig und aktivieren dann die Zellen des erworbenen Immunsystems. Bisweilen läuft das Immunsystem jedoch aus dem Ruder und richtet sich gegen den Körper selbst oder etwa gegen harmlose ‚fremde‘ Eiweiße. Dies kann verheerende Folgen haben wie Autoimmunerkrankungen oder Allergien. Ein Team um LMU-Immunpharmakologin Susanna Zierler und die LMU-Pharmakologin Ingrid Boekhoff vom Walther-Straub-Institut für Pharmakologie und Toxikologie konnte nun zeigen, dass bei Mastzellen die Aktivität bestimmter Kanalproteine wichtig ist, um allergische und anaphylaktische Reaktionen und eine überschießende Antwort der Zellen zu verhindern. Mastzellen kommen im Körper in praktisch allen Organen vor und regulieren entzündliche Reaktionen des Immunsystems, um etwa Krankheitserreger angemessen bekämpfen zu können.

Die Immunzellantwort ist ein sehr komplexer Prozess. Um ihre Aufgaben möglichst präzise erfüllen zu können, müssen Immunzellen spezifische äußere Signale wahrnehmen und in ein klares Aktivitätsmuster übersetzen, damit es dann am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu einer spezifischen und angemessenen Immunantwort kommt. Die Zellen kommunizieren dabei mit ihrer Umgebung einerseits über verschiedene Botenstoffe, andererseits aber auch über Ionen wie Calcium, Natrium und Kalium. Rasche Änderungen der intrazellulären Ionenkonzentration sind aber gerade für die Aktivierung von Immunzellen unerlässlich. Klar ist, dass die Zelle prinzipiell die freie intrazelluläre Konzentration dieser Ionen über Ionenkanäle, Transportproteine und Ionen-Pumpen reguliert. Wie aber die rasche Bewegung der Ionen in der Zelle selbst genau gesteuert wird, ist bei vielen Immunzellen noch nicht im Detail verstanden.

Die Arbeitsgruppen um Susanna Zierler und Ingrid Boekhoff untersuchten nun im Rahmen des DFG-Sonderforschungsbereichs SFB-TRR-152 die genaue Funktion von Ionenkanälen für die Steuerung der Calcium-Konzentration in Mastzellen. Viele Zellen regulieren den Calcium-Einstrom von außen, indem sie das sogenannte Endoplasmatische Retikulum (ER) entleeren, den größten zellulären Calcium-Speicher. In einer Zelle können aber auch andere Organellen, wie Mitochondrien, die „Zellkraftwerke“, oder Lysosomen, „der Magen“ der Zelle, Calcium speichern. All diese von Membranen umgebenen Strukturen besitzen Ionenkanäle.

In den sogenannten Endolysosomen kommt beispielsweise ein Kanalprotein namens ‚Two-Pore-Channel 1‘ (TPC1) vor. Zierler und Boekhoff konnten nun zusammen mit ihren Teams erstmals nachweisen, dass TPC1 das intrazelluläre Calciumgleichgewicht zwischen Endolysosomen und dem ER wesentlich reguliert. Als die Forscher nämlich diesen Ionenkanal genetisch oder pharmakologisch ausschalteten, veränderte sich das Gleichgewicht der zellulären Calciumspeicher zueinander. Dies führte zu einer heftigen allergischen Reaktion, sowohl auf zellulärer als auch auf systemischer Ebene. Die Zellen schütteten daraufhin vermehrt den Botenstoff Histamin aus. „Gerät die so fein regulierte Homöostase an intrazellulärem Calcium aus dem Gleichgewicht, kann dies zu überschießenden allergischen und anaphylaktischen Reaktionen führen“, sagt Susanna Zierler.

Die Erkenntnisse der LMU-Immunologen lassen sich möglicherweise für therapeutische Zwecke einsetzen. Denn erstmals konnten die Forscher das TPC1-Kanalprotein als wichtigen Regulator der Mastzell-Aktivität und Histamin-Ausschüttung identifizieren. „TPC1-Kanäle stellen folglich eine vielversprechende Zielstruktur für die Behandlung von allergischen und Mastzell-abhängigen Erkrankungen dar“, sagt Zierler. Generell habe die gezielte pharmakologische Kontrolle von Kanalproteinen auf Immunzellen ein enormes, therapeutisches Potenzial für die Behandlung von Infektionen, Allergien und sogar Leukämien.PNAS 2020

Wonach suchen Sie?