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Interdisziplinäre Kommission für Pandemieforschung

23.06.2020

Auch Eva Grill, Professorin für Epidemiologie an der LMU, gehört dem 18-köpfigen Gremium der Deutschen Forschungsgemeinschaft an.

Pandemieforschung jenseits der Infektionskontrolle: Wie werden Verkehr und Städteplanung künftig aussehen?

Welche Ziele hat das neue Gremium?

Grill: Unsere Forschungskommission soll den Bedarf an Grundlagenforschung im Rahmen der Corona-Epidemie klären. Die DFG startete zwar dazu schon früh ein langfristiges Forschungsprogramm, aber darüber hinaus erfordert es die aktuelle Situation, schnell zu reagieren, Projekte anzustoßen und dafür auch neue Förderinstrumente zur Verfügung zu stellen. Ich finde es sehr wichtig, dass die DFG die Situation der Grundlagenforscher nicht aus den Augen verliert.

Die konstituierende Sitzung war am 15. Juni. Welche Stimmung herrscht gerade unter den Forscherinnen und Forschern?

Grill: Es ist eine spannende Situation. Die Pandemie hat zu einer unglaublichen Vernetzung verschiedener Disziplinen geführt. Ich hätte mir nie gedacht, einmal mit Forschenden zusammenzuarbeiten, die eine derartige Breite an Forschungsgebieten darstellen, und zumindest in einem virtuellen Raum vereint zu sein. Wir haben Dinge diskutiert, die über die Grenzen jeder einzelnen Disziplin hinausgehen. Ich bin das zwar aus meinem Bereich, Epidemiologie und Public Health, gewohnt, aber so konstruktiv und bereichernd habe ich das selten erlebt. Hier sind neben Medizin, Epidemiologie und Virologie viele Bereiche vertreten, von Rechtswissenschaften, Erziehungswissenschaften bis hin zur Regelungstechnik.

Gab es schon erste Ergebnisse?

Grill: Aus der Breite der vertretenen Fachrichtungen können Sie schon schließen, dass wir sehr interdisziplinär arbeiten wollen. Aktuell sammeln ja viele Forscher im Rahmen der Pandemie viele Daten mit engem Fokus. Aus diesen einzelnen Daten-Sammlungs-Silos müssen wir herauskommen und ganz generell die enge Sichtweise einzelner Disziplinen hinter uns lassen. Im Rahmen der Pandemie gibt es gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge, die über die unmittelbare Infektionskontrolle hinausgehen und die wir trotzdem erforschen müssen.

Etwa die Situation der Kinder.

Grill: Genau. Wir müssen genau wissen, was gerade mit unserem Bildungssystem passiert. Es gibt weitere wichtige Fragen: Wie verändert sich die Arbeitswelt? Wie akzeptieren die Menschen die neue Situation und richten sich darin ein? Wie werden Verkehr und Städteplanung künftig aussehen?

Wie soll die Kommission hier Impulse geben?

Grill: Wir werden je nach Thema Untergruppen bilden und auch weitere Experten von außen hinzuziehen. Die Kommission soll die strategische Richtung vorgeben, in die die Forschung laufen könnte, natürlich im Rahmen, den die DFG unterstützt. Es geht also um Grundlagenforschung. Wir konkurrieren nicht mit den Universitätskliniken, die die Patientenversorgung im Fokus haben.

Welche Forschungsschwerpunkte wären Ihnen wichtig?

Grill: Wir müssen all die Daten, die wir in der Krise gesammelt haben und noch sammeln werden, unter einen Hut bekommen, da gibt es einen immensen Bedarf an der Integration von Daten. Wir sollten auch im Sinn von Open Science, in der die LMU auch sehr stark ist, mit Prozessen, Methoden und Datentransparent nach außen umgehen. In der Öffentlichkeit gab es zuletzt viel Kritik, dass bestimmte Ergebnisse und Entscheidungen nicht transparent genug waren. Ergebnisse von Forschung müssen nachvollziehbar sein. Wir sollten uns auch stärker darum kümmern, welche Konsequenzen eine Covid-19-Erkrankung für einen Patienten und sein Umfeld hat, wie die Menschen mit den Folgen der Erkrankung klarkommen. Und dann geht es noch um die positive Transformation unserer Gesellschaft, um den durch die Situation ausgelösten gesellschaftlichen Umbau. Wie meistert unsere Gesellschaft die Krise? Wie können wir gestärkt aus ihr herauskommen?

Stichwort „Entscheidungen erklären“: Ist es für die Sichtbarkeit nach außen gut, in der Kommission einen mittlerweile bundesweit berühmten Virologen wie Christian Drosten dabei zu haben?

Grill: Vermutlich werden wir tatsächlich dadurch mehr gehört werden. Herr Drosten hat eine überaus schwierige Aufgabe auf sich genommen und meine allergrößte Hochachtung dafür. Er steht für die Haltung, Dinge, die wir Forscher sonst oft im Verborgenen machen, zu erklären und so transparent zu machen. Wir müssen Erkenntnisse verstehbar machen, das ist auch für unsere Kommission zentral.

Professor Dr. Eva Grill ist Professorin für Epidemiologie am Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie der LMU.

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