Interview: „Die Vermögensungleichheit wird größer“
16.08.2022
Ein Interview mit Ökonom Andreas Peichl über die Folgen des Kriegs in der Ukraine und der Coronapandemie, Hilfspakete und den Wert von Bildung.
16.08.2022
Ein Interview mit Ökonom Andreas Peichl über die Folgen des Kriegs in der Ukraine und der Coronapandemie, Hilfspakete und den Wert von Bildung.
Professor Andreas Peichl ist Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre insb. Makroökonomie und Finanzwissenschaft und Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen. Im Interview erläutert er, wie es um die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen in Deutschland steht.
Man kann Berichte lesen, wonach die Schlangen vor Lebensmittel-Tafeln immer länger werden. Bekommt Deutschland durch die Coronakrise und den Ukraine-Krieg ein Armutsproblem?
Andreas Peichl: Auch wir Wissenschaftler bekommen solche anekdotische Evidenz mit, wie wir es nennen. Aber von der Datenlage her ist es noch zu früh, dazu etwas Abschließendes zu sagen. Mit wirklich umfassenden, belastbaren Daten hängen wir in Deutschland leider weit zurück. Da sind wir jetzt bei 2018.
Durch die Pandemie und jetzt durch die Inflation mit dem Anstieg der Energiepreise gibt es natürlich Verwerfungen. Manche Menschen sind sehr stark davon betroffen. Andere wiederum sind aber auch Gewinner.Andreas Peichl
Kann man gar nichts dazu sagen, ob die Krisen die Einkommensungleichheit vergrößern?
Doch, es werden Befragungen durchgeführt wie das Sozioökonomische Panel des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Und durch die Pandemie und jetzt durch die Inflation mit dem Anstieg der Energiepreise gibt es natürlich Verwerfungen. Manche Menschen sind sehr stark davon betroffen. Andere wiederum sind aber auch Gewinner.
Das Geld ist ja nicht einfach weg. Es wird letztlich in irgendeiner Form umverteilt. Und das führt natürlich dazu, dass sich die Einkommensverteilung verändert.
Man konnte während der Coronakrise Studien lesen, wonach die Einkommensungleichheit gesunken sei. Das klingt erst einmal überraschend, ist das tatsächlich so?
Bei Corona war es so, dass die Krise viele Selbstständige stark getroffen hat, und die verdienen im Schnitt etwas mehr als Angestellte. Das hat die Einkommensungleichheit etwas verringert. Dazu kam, dass staatliche Maßnahmen, wie etwa der Kinderbonus, vor allem am unteren Ende der Einkommensverteilung gewirkt haben. In der Summe war es deshalb tatsächlich so, dass 2020 bei den Einkommen die Ungleichheit zurückgegangen ist. Das hat sich 2021 wahrscheinlich wieder etwas gedreht, weil es insbesondere im Gastronomiebereich viele Einschränkungen gab. Und die Menschen, die dort arbeiten, sind tendenziell eher Geringverdiener.
Beim Vermögen haben wir in Deutschland tatsächlich eine relativ hohe Ungleichheit, zumindest, wenn man Immobilienbesitz und Kapitalanlagen betrachtet.Andreas Peichl
Der Satz „Die Armen werden ärmer, die Reichen reicher“ findet schon seit Längerem bei vielen Menschen Zustimmung. Lässt er sich wissenschaftlich belegen?
Beim Vermögen haben wir in Deutschland tatsächlich eine relativ hohe Ungleichheit, zumindest, wenn man Immobilienbesitz und Kapitalanlagen betrachtet. Weniger als die Hälfte der Deutschen hat eine Immobilie. Wenn man aber eine hat, ist man alleine damit fast schon in der oberen Hälfte der Vermögensverteilung. Bei Wertpapieren ist es so, dass nur etwa ein Viertel der Deutschen überhaupt am Aktienmarkt ist. Gleichzeitig erzielen Immobilien und Aktien die größten Wertzuwächse. Das führt dazu, dass die Vermögensungleichheit vergleichsweise groß bleibt und eher zunimmt.
Das hat man jetzt auch bei Corona gesehen: Am Anfang sind die Aktien zwar runtergegangen, aber dann gab es wieder neue Rekordstände. Nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs sind die Börsen zwar auch eingeknickt. Aber mittelfristig werden die Kurse auch wieder aufholen, sodass die Vermögensungleichheit, tendenziell zumindest, nicht kleiner, sondern eher größer wird.
Und wie sieht das bei den Einkommen aus?
Da ist es ein bisschen anders. Da hat man gesehen, dass in den letzten zehn Jahren auch bei den Realeinkommen, also nach Abzug der Teuerung, die unteren Einkommen aufgeholt haben. Das hat auch mit der Einführung des Mindestlohns und jetzt der weiteren Erhöhung des Mindestlohns zu tun.
Die ärmsten zehn bis 20 Prozent der Bevölkerung haben keine Puffer. Sie müssen sich beim Konsum einschränken.Andreas Peichl
Aber trifft die derzeit vergleichsweise hohe Inflation Geringverdiener nicht besonders?
Es sind ja vor allem zwei Bereiche, die teurer werden: Lebensmittel und Energie. Und bei Niedrigverdienern machen Lebensmittel einen größeren Anteil an ihrem Gesamtkonsum aus als bei Gutverdienern, also trifft sie die Teuerung dort stärker. Bei den Energiekosten ist es so, dass höhere Einkommensschichten mehr verbrauchen. Um ein SUV zu fahren, muss man sich erst mal eines leisten können. Von den ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung hingegen besitzen viele gar kein Auto. Auch ein großes Haus verbraucht mehr Energie als eine Zwei-Zimmer-Wohnung. Also sind die Reicheren von den höheren Energiekosten etwas stärker betroffen, aber sie können sich die höheren Kosten auch leisten. Sie müssen nicht auf Konsum verzichten, wenn die Energiepreise jetzt steigen. Die ärmsten zehn bis 20 Prozent der Bevölkerung haben hingegen keine Puffer. Sie müssen sich beim Konsum einschränken.
Beim Energiegeld wäre es viel besser gewesen, wenn man das wirklich nur an die ärmsten 20, 30 oder 40 Prozent ausgezahlt hätte.Andreas Peichl
Es hat ja verschiedene Hilfspakete gegeben. Kann man da schon eine ökonomische Bilanz ziehen?
Für eine abschließende Bilanz ist es noch zu früh, denn viele der Maßnahmen kommen ja jetzt auch erst noch. Was man sagen kann: Es wurde Einiges gemacht, was nicht sehr sinnvoll ist. Dazu gehört der Tankrabatt. Eigentlich war ja das Ziel, dass der Verbrauch sinkt, um Energie zu sparen. Und auch mit Blick auf den Klimawandel wäre es gut, den Energieverbrauch zu verringern. Deswegen wäre es besser, wenn die Preise steigen, damit die Menschen ihren Verbrauch reduzieren. Und dass man dann gezielt jene unterstützt, die Probleme haben, sich das zu leisten. Deswegen ist so etwas wie das Energiegeld durchaus sinnvoll. Aber auch da gibt es problematische Aspekte, denn es wird ja über die Einkommenssteuer verrechnet. Das führt dazu, dass selbst jemand, der eine Million verdient, etwas bekommt. Der erhält zwar nur die Hälfte der vollen Summe, weil er den Spitzensteuersatz von knapp 50 Prozent zahlt. Aber ein Einkommensmillionär braucht dieses Geld gar nicht. Beim Energiegeld wäre es viel besser gewesen, wenn man das wirklich nur an die ärmsten 20, 30 oder 40 Prozent ausgezahlt hätte.
Direkt auszahlen ist aber nicht so einfach, oder?
Das ist ein grundsätzliches Problem. In Deutschland gibt es bisher keinen Mechanismus, um Geld direkt an jeden einzelnen Bürger auszuzahlen.
Bei der frühkindlichen Bildung sind andere Länder deutlich weiter.Andreas Peichl
Was müsste geschehen, um die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen zu verringern?
Was man langfristig sieht: Das Beste, was man tun kann gegen Ungleichheit jeder Form, ist Bildung. Und da haben wir in Deutschland nach wie vor große Probleme, vor allem im frühkindlichen Bereich. Oft geht es im besten Fall um Betreuung. Salopp formuliert, dass das Kind den Tag überlebt, ohne sich und anderen wehzutun. Bei der frühkindlichen Bildung sind andere Länder deutlich weiter. Sie müsste auch in Deutschland kostenlos in guter Qualität und für alle verfügbar angeboten werden.
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