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Kreative Namen für neue Algen-Gattungen

16.05.2017

Bei der ‚Inventur der Arten‘ haben LMU-Biologen zwei neue Algen-Gattungen identifiziert und Berliner Musiker als deren Namenspatrone gewählt. Damit wollen die Wissenschaftler auch eine Diskussion um die gängige Benennungspraxis anstoßen.

Einzellige Algen, zu denen auch die sogenannten Dinophyten gehören, sind wichtige Primärproduzenten und damit eine wichtige Nahrungsquelle für andere Organismen. Sie spielen auch für die Vorhersage von Änderungen von Fischbeständen und die Ökosystem-Modellierung eine Rolle. Manche Dinophyten-Arten können Planktongemeinschaften zumindest zeitweise dominieren und durch ihre massenhafte Vermehrung zu „Algenblüten“ führen, bei denen es zu einer Anreicherung von Algentoxinen kommen kann. Artenzusammensetzung und Veränderungen dieser Algenbestände sind deshalb einflussreiche Faktoren in Ökosystemen, und präzise Artbestimmungen liefern eine wichtige Grundlage, um deren Nutzung oder Schutz abzuschätzen. Wissenschaftler um den LMU-Biologen Professor Marc Gottschling haben in Kooperation mit chinesischen Forschern nun zwei neue Dinophyten-Gattungen identifiziert, die sie nach den Berliner Experimentalmusikern Blixa Bargeld und N.U. Unruh von der Band Einstürzende Neubauten benannt haben. Über ihre Ergebnisse berichten die Forscher im Fachmagazin Phytotaxa.

Bei vielen Algenarten beruht die Artbestimmung bisher auf Abbildungen der entsprechenden Typusexemplare und ist für heutige Maßstäbe ungenau und mehrdeutig. Einer von Gottschlings Forschungsschwerpunkten ist es, solche zwiespältigen Namen und Zuordnungen zu klären und Dinophyten eindeutig zu bestimmen. Dafür verwendet der Biologe neu gesammelte Algen, die kultiviert und mit elektronenmikroskopischen und genetischen Methoden untersucht werden. Im Rahmen dieser ‚Inventur der Arten‘ konnten Gottschling und seine Mitarbeiter auch die neuen Gattungen Blixaea und Unruhdinium identifizieren. Beide gehören zu einer speziellen Gruppe der Dinophyten: Sie unterhalten tertiäre Endosymbionten, das heißt, sie haben eine Kieselalge – eine Diatomee – in ihr Zellinneres aufgenommen, die wie bei einer Matrjoschka-Puppe selbst bereits einen endosymbiontischen Einzeller beherbergt. Mit Hilfe dieser endosymbiontischen Kieselalge können diese Dinophyten Photosynthese betreiben. „Die Gruppe umfasst insgesamt nur etwa 15 bis 20 derzeit bekannte Arten und ist mutmaßlich nahe verwandt mit anderen Dinophyten, die selbst als Endosymbionten in koloniebildenden Strahlentierchen vorkommen, den sogenannten Zooxanthellen“, sagt Gottschling.

Mit der Benennung der neuen Algen nach Bandmitgliedern der Einstürzenden Neubauten wollen die Wissenschaftler auch eine Diskussion anstoßen, ob die vom Anfang des 20. Jahrhunderts stammenden Empfehlungen zur Benennung von Organismen noch zeitgemäß sind. Anders als bei Tieren ist es seitdem in der Botanik unüblich, Gattungen nach Persönlichkeiten zu benennen, die keine Verbindung zu Naturwissenschaften haben. „Im Hinblick darauf, dass es gerade bei Algen und Pilzen noch Myriaden namenloser Organismen gibt, sollten wir uns aber nicht so einschränken“, sagt Gottschling. „Das wäre auch in der Tradition Carl von Linnés, der beispielsweise viele griechische Helden ohne jeden botanischen Bezug in Gattungsnamen verewigt hat.“Phytotaxa 2017

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