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Lehrprojekt: „Schnitzeljagd“ oder „jeu de piste“

15.12.2021

Professorin Antoinette Maget Dominicé vom Institut für Kunstgeschichte hat zusammen mit ihrer Wissenschaftlichen Assistentin Elisa Ludwig eine Exkursion von Studierenden aus Lille und München zum Thema „Sammeln und Sammlungen“ organisiert.

Prof. Dr. Dr. Antoinette Maget Dominicé

Professorin Antoinette Maget Dominicé hat das Treffen zwischen Studierenden der Universität Lille und der LMU initiiert. | © Andres Chuquisengo

Es ist kalt, es ist grau, aber das Grüppchen aus Studierenden und Dozierenden, das sich vor der Alten Pinakothek eingefunden hat, lässt sich von einem typischen Münchner Novembertag nicht die Laune verderben. Schließlich hat man lange genug gezittert, ob das Lehrprojekt „Sammeln und Sammlungen“ im Coronaherbst überhaupt stattfinden würde. Aber jetzt sind die Studierenden aus Lille ganz analog angereist, schon am Vorabend spazierte man gemeinsam durch den Regen über den Königsplatz, betrachtete von außen Glyptothek und Antikensammlung, das Lenbachhaus und das NS-Dokumentationszentrum zur Geschichte des Nationalsozialismus. Und gerade hat der Kunsthistoriker Neven Denhauser ein paar Studierende durch die Münchner Residenz geführt. Darunter auch Pauline, die Kunstgeschichte in Lille studiert. „Ich habe so viele Dinge entdeckt“, erzählt sie, „noch nie war ich in einem solchen Museum!“ Die Pariserin Julia, die an der Universität in Lille ihren Master in einem Fernstudium macht und jetzt in Mütze und Mantel auf den nächsten Programmpunkt wartet, ist ebenfalls noch ganz erfüllt. „Es war wunderbar!“, erzählt sie. Die Größe der Residenz fand sie enorm, dass die Kunstwerke ganz unterschiedlichen Epochen angehören, hat sie begeistert. Besonders spannend für die angehende Kunsthistorikerin: Auf welch unterschiedliche Weise die Objekte der Sammlung restauriert wurden.

Unmittelbar bevor steht eine Schnitzeljagd durch die Alte Pinakothek. Ein „jeu de piste“, wie die beiden Dolmetscherinnen Sarah und Melinda aus der Abschlussklasse des Fremdspracheninstituts München gerade nachgeschlagen haben. Sie wurden eigens dazu angestellt, den Studierenden dabei zu helfen, Sprachbarrieren zu überbrücken. Dabei war ein gewisses Maß an Vorbereitung durchaus nötig. Denn die Museumsbesuche sind ja keine touristischen Highlights, sondern wissenschaftliche Exkursionen, die sich mit einer der großen kunsthistorischen Fragen der Gegenwart befassen.

Praxisorientiert, interdisziplinär und transnational

Wo Kulturgüter herkommen und wo und wie sie aufbewahrt werden: Das hat vor allem durch die Washingtoner Erklärung von 1998 an Bedeutung gewonnen, in der sich die 44 unterzeichnenden Staaten verpflichten, Kunstwerke, die während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmt wurden, ausfindig zu machen. Auch die Frage nach Kulturgütern aus kolonialen Kontexten ist in den vergangenen Jahren immer brisanter geworden. Und natürlich ist die Sammlungs- und Provenienzforschung auch ein spannendes interdisziplinäres Wissenschaftsfeld, dem sich an der LMU die aus Genf stammende Professorin Antoinette Maget Dominicé widmet. Sie hat das Lehrprojekt, an dem zwölf Studierende aus Lille, zwölf aus München und zehn Dozierende aus beiden kunsthistorischen Instituten teilnehmen, initiiert. Unterstützt vom Deutsch-Französischen Jugendwerk, ermöglicht die Veranstaltung den Studierenden nicht nur praxisorientiert und interdisziplinär, sondern auch transnational zu arbeiten, was nebenbei auch die Kontakte zwischen den Instituten vertieft. Neven Denhauser, der in der Münchner Gruppe dabei ist, schätzt an dem Projekt besonders, dass die Studierenden aus unterschiedlichen Kontexten stammen und im Projekt ihre „Bubble“ verlassen. „In Frankreich wundert man sich immer, dass auch kleinere Städte in Deutschland voller Kultur sind, während dort alles auf Paris zuläuft“, sagt er. Wichtig ist ihm auch, dass die Provenienzforschung eine neue Ebene der Betrachtung eröffnet. „Die Kunst wird nahbarer. Sie wird zum praktischen Objekt.“


Eine große Gruppe junger Leute steht vor einem großen Gebäude

Die Studierenden aus München und Lille haben sich vor der Alten Pinakothek versammelt.

© Andres Chuquisengo

Offenheit und Engagement

Zweieinhalb Stunden verbringen die Studierenden an diesem Nachmittag in Kleingruppen vor ausgewählten Gemälden in der Alten Pinakothek und diskutieren anhand von Kärtchen über Begriffe wie „Machtstrukturen“, „Identität“, „Nationalität“, ,,Globalisierung“, „Bildung“ und „Konflikte“ . Dabei betrachten die Studierenden aus Lille Meisterwerke, die sie nur aus digitalen Präsentationen und Büchern kannten, die Studierenden aus München wiederum haben Gelegenheit, „ihre“ Bestände mit neuen Augen zu sehen, erklärt Professorin Maget Dominicé, die nach der dreitägigen Veranstaltung voller Freude auf die von mehreren Expertinnen mit fachkundigen Vorträgen begleitete Exkursion zurückblickt: „Als Dozierende waren wir alle angetan von der Offenheit und dem Engagement der Studierenden.“

Eva, die Kunstgeschichte im fünften Semester studiert, fand die Führung durch das Universitätsarchiv am interessantesten, die am dritten Tag stattfand. Ihr Resümee: „Ich habe sehr viel über die verschiedenen Sammlungen erfahren, insbesondere im Archiv - und Bibliothekskontext. Das fand ich sehr faszinierend.“ Und natürlich bezieht die Veranstaltung auch aus ganz anderen Gründen einen besonderen Charme: „Nach so vielen Online-Semestern war es sehr schön, sich mal wieder direkt austauschen und unterhalten zu können.“ Höhepunkt wäre für die Münchner Studierenden sicherlich die Exkursion nach Lille, die Mitte Dezember stattfinden soll. Ob das trotz Corona gelingt, steht allerdings in den Sternen. „Wir hoffen alle auf ein baldiges ‚Hallo‘ und ‚Bonjour‘“, sagt Professorin Maget Dominicé. Und: „Eins ist sicher: Wenn wir reisen dürfen, freuen wir uns auf die Reise nach Lille.“

Monika Goetsch

Verschiedene Füße in teileweise bunten Schuhen auf Kopfsteinpflaster
© Andres Chuquisengo

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