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LMU-Forscher Dmitri Efetov: Exotische Physik in der zweiten Dimension

18.01.2022

Neuberufen an der LMU: Professor Dmitri Efetov ist Inhaber des Lehrstuhls für Experimentelle Festkörperphysik an der Fakultät für Physik.

Ein Material, das nur in der zweiten Dimension existiert: Was nach Science-Fiction klingt, ist für Professor Dmitri Efetov Forschungsalltag: „Graphen ist ein Material, das nur eine Atomlage dick ist”, erklärt der Festkörperphysiker. „Es ist so dünn wie nur überhaupt möglich: in der Ebene vorhanden, in der Höhe praktisch nicht – ein extrem flaches Nanomaterial.” Graphen, eine Modifikation des chemischen Elements Kohlenstoff, verfügt über weitere futuristisch anmutende Eigenschaften: In einer Schicht Graphen werden die Elektronen masselos – und wenn man zwei Schichten Graphen in einem „magischen” Winkel zueinander verdreht, entsteht eine Vielzahl exotischer „Quantenphasen", unter anderem wird Graphen supraleitend, magnetisch und topologisch. „Graphen besitzt wirklich alle Qualitäten, die in der modernen Festkörperphysik gerade interessant sind”, sagt Efetov.

Seit August 2021 hat der deutsch-russische Wissenschaftler den Lehrstuhl für Experimentelle Festkörperphysik an der LMU inne. Die Erforschung des Graphens zieht sich wie ein roter Faden durch seinen beruflichen Lebenslauf: In Moskau geboren und in Stuttgart und Bochum aufgewachsen, studierte Efetov unter anderem an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich Physik und begann schon im Zuge seiner Promotion an der Columbia University, New York, an Graphen zu forschen. Jenes bemerkenswerte, verblüffend einfach herzustellende Material war zu dieser Zeit gerade erst näher erforscht worden und hatte Wissenschaftlern in England den Physik-Nobelpreis beschert.


Professor Dmitri Efetov ist seit August 2021 Inhaber des Lehrstuhls für Experimentelle Festkörperphysik an der LMU.

© ICFO

Ziel: Supraleitung

„Eine von vielen Besonderheiten des Graphens”, so Efetov, „sind seine ‚relativistischen’ Elektronen. Diese verhalten sich nicht wie normale Elektronen, sondern eher wie Lichtpartikel, da sie masselos sind.” Im Rahmen seiner Promotion, die von einer Faculty Ph.D. Fellowship der Columbia University unterstützt wurde, versuchte er auch, Graphen supraleitend zu machen, ein Zustand, der damals als fast unmöglich erschien. „Supraleitung ist ein Materialzustand, in dem elektrischer Strom ohne Energieverlust fließen kann. Weil herkömmliche Leiter bei Stromfluss Wärme – also Energie – abgeben, geht in herkömmlichen Stromleitungen sehr viel Energie verloren, deren Großteil durch den Einsatz von Supraleitern eingespart werden könnte.“ Auch sind Supraleiter die zentralen Bauelemente moderner Quantentechnologien, so Efetov, wie etwa für Quantencomputer, die aus einem komplexen supraleitenden Netzwerk bestehen. „Eines der großen Ziele in der Forschung mit Graphen ist es, neuartige supraleitende Zustände zu entwickeln, die gänzlich neue Eigenschaften vorweisen.” In seiner Promotion gelang Efetov das allerdings erst, als er Graphen in Kontakt mit einem schon bekannten Supraleiter brachte – und dessen Eigenschaften sich auf das neuartige Material übertrugen.

Als Postdoc am Massachusetts Institute of Technology (MIT) befasste er sich dann ab 2014 zwar mit der Entwicklung von Quantendetektoren, die einzelne Lichtteilchen detektieren, aber auch dabei wurde am Rande mit Graphen geforscht. Einem Ruf an das Institut de Ciències Fotòniques (ICFO) in Barcelona folgend, forschte Efetov ab 2017 als Gruppenleiter weiter an solchen Detektoren. Gerade zu dieser Zeit gelang es andernorts, das Graphen selbst tatsächlich supraleitend zu machen – und Efetovs Team konnte dies als dritte Gruppe weltweit reproduzieren. „Die Methode, mit der intrinsisches Graphen schlussendlich supraleitend gemacht wurde, ist absolut bahnbrechend wie einzigartig. Nimmt man zwei Schichten von Graphen und verdreht sie im Winkel von 1,1 Grad zueinander, gelingt es”, so Efetov. „Man nennt das auch den magischen Winkel – denn schon bei 1,0 oder 1,2 Grad ist Graphen nicht mehr supraleitend.”

In Gänze verstanden sei dieser Zustand laut Efetov noch nicht. „Man geht aber davon aus, dass er eher Ähnlichkeit mit Hochtemperatur-Supraleitung hat.” Auf dem Weg zu einer bei Raumtemperatur anwendbaren Supraleitung gebe es noch viele ungelöste praktische Aspekte. „Aber diese Entdeckung ist gewissermaßen ein Meilenstein – und die Physik, die mit ihr möglich wird, ganz neu, ganz exotisch.” Efetovs Team machte weitere Entdeckungen rund um das Graphen – und zählt seither zu „einer der Schlüsselgruppen in diesem Feld“, wie er erklärt.

Lohnende Lehre

Der Umzug seiner Arbeitsgruppe an die LMU soll im Sommer 2022 abgeschlossen sein; derzeit wird der Reinraum des Lehrstuhls für Experimentelle Festkörperphysik für die Forschung an Graphen weiterentwickelt. Efetovs Gebiet passe dabei „hervorragend” zu den Zielen der Quantenforschungsgruppen vor Ort, die an korrelierten Zuständen und Supraleitern arbeiten. „Insbesondere in der Quanteninformation-Forschung ist der Standort München mit all seinen Forschungseinrichtungen extrem stark”, sagt Efetov. „Die LMU war dabei immer schon auf meinem Radar.” Einrichtungen wie das Munich Quantum Valley und das Munich Center for Quantum Science and Technology seien sehr interdisziplinär aufgestellt. „Festkörperphysiker wie ich interagieren dort mit Quanteninformations-, Laserphysik- und Quantenoptik-Forschenden.” In der breit aufgestellten Ausrichtung „Quantum Technologies” wirke er selbst eher in der Grundlagenforschung, so Efetov. „Ich baue selbst keine Quantencomputer, auch wenn ich aufgrund meiner Forschung Bausteine dazu beisteuern könnte – ein bisschen wie ein Zulieferer für einen Autohersteller.” Ein anderer Punkt, den Efetov an München schätzt: „Die Studierenden sind wirklich sehr gut. Das ist für einen Professor ein großes Kapital, da man auch gute Leute rekrutieren kann.” Überhaupt findet Efetov, der selbst frischgebackener Vater ist: „Die Lehre bringt einem sehr viel. Man ist gezwungen, das eigene Forschungsmaterial neu aufzubereiten und den Studierenden zu erklären. Dabei lernt man selbst dazu.”

In der Forschung konzentriert er sich weiter auf die potenziellen Eigenschaften des Graphens als Supraleiter. „Obendrein ist es ‚topologisch’ – die Ströme fließen also an seinen Rändern statt in der Mitte –, zudem magnetisch und nicht zuletzt ein sogenannter ‚korrelierter Isolator’. Letzteres bedeutet einen sehr exotischen Vielteilchen-Zustand, der derzeit ebenfalls stark erforscht wird”, erklärt Dmitri Efetov. „Zusammengefasst ist das Graphen reich an komplizierten ,Quantenphasen’." Auch am Lehrstuhl für Festkörperphysik der LMU wird ihn das zweidimensionale, verdrehte, magische Material also noch lange beschäftigen.

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