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Medizin: Spurensuche im Blutgerinnsel

08.10.2021

Warum entstehen bei bestimmten Menschen im Körper Blutgerinnsel – und warum leiden sie oft mehrmals im Leben daran? Antworten sucht der LMU-Forscher Konstantin Stark. Seine Hypothese: Das Immunsystem spielt eine zentrale Rolle.

Zwei Ärzte im Labor beim Arbeiten

Dr. med. Konstantin Stark | © LMU

Es ist eine Hightechwelt, in der Konstantin Stark arbeitet. In seinen Labors prägen sogenannte Zwei-Photonen-Fluoreszenz-Mikroskope das Bild. Das sind spezielle Mikroskope, die besonders präzise und mit hoher Auflösung detaillierte Einblicke in lebende biologische Strukturen geben. „Wir untersuchen hier Gewebeschnitte von Menschen, aber auch von Mäusen, auf Blutgerinnsel“, sagt der Wissenschaftler am Klinikum der Universität München. „Wir wollen verstehen, warum manche Menschen überhaupt Thrombosen entwickeln, viele sogar mehrmals in ihrem Leben“, sagt Kardiologe Stark, der eine Forschungsgruppe an der Medizinischen Klinik und Poliklinik I am LMU Klinikum leitet. Neue Therapien, so fordern die Wissenschaftler, sollten früh im Krankheitsprozess ansetzen. Der Bedarf dafür ist groß: Pro Jahr erkranken in Deutschland verschiedenen Schätzungen zufolge etwa 100.000 Menschen an einer Venenthrombose und bis zu 40.000 sterben an einer Lungenembolie.

Eine neue Hypothese zur Entstehung von Thrombosen

Zwar kennt die Medizin schon lange wichtige Ursachen von Thrombosen, nämlich eine zu geringe Strömungsgeschwindigkeit des Blutes, Schäden an der inneren Wandschicht von Blutgefäßen oder Veränderungen der Blutzusammensetzung. Diese Befunde wurden bereits vom Berliner Pathologen Rudolf Virchow vor mehr als 100 Jahren beschrieben und haben bis heute Gültigkeit. Zur Erklärung reichen solche Modelle aber nicht aus, denn wichtige physiologische Hintergründe bleiben im Dunkeln: Patienten müssen oft ein Leben lang Medikamente zur Blutverdünnung einnehmen, um die Entstehung erneuter Thrombosen zu verhindern; die Neigung zur Entstehung von Blutgerinnseln lässt sich jedoch nicht heilen.

„Vor allem fragen wir uns, warum Thrombosen nicht nur einmal auftreten, sondern öfter wiederkehren. Hier scheinen Prozesse eine Rolle zu spielen, die durch die erstmalige Thrombose ausgelöst werden“, erzählt der Wissenschaftler. Ihre Hypothese lautet, dass der Körper im Rahmen der Thrombose eine Immunreaktion entwickelt und dadurch neue Blutgerinnsel entstehen.

Die Immunothrombose sei ein vielversprechender Ansatzpunkt in der Prävention und Therapie des Lungenversagens sowie anderer thrombotischer Komplikationen bei COVID-19, sagt Konstantin Stark.

© Christoph Olesinski/LMU

Experimente mit Patientenproben und mit Mausmodellen

„Noch können wir aber nicht sagen, ob es sich lediglich um eine akute Entzündungsreaktion handelt oder ob auch längerfristig immunologische Veränderungen im Körper auftreten“, so Stark. Vielleicht sorge ein bislang unbekannter thrombotischer Gedächtniseffekt dafür, dass immer wieder Thrombosen entstehen. Jetzt versucht Stark, seinen Verdacht experimentell zu bestätigen. Sein Team arbeitet mit Mausmodellen und Patientenproben. Komplexe Vorgänge wie die Blutgerinnung lassen sich nicht allein mit Zellkulturen abbilden.

Förderung durch den Europäischen Forschungsrat

Wie also spielen Blutgerinnungssystem und Immunsystem zusammen? Seine Arbeiten werden jetzt auch aus Mitteln der Europäischen Union gefördert. Er hat einen der prestigeträchtigen Starting Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC) eingeworben. Für sein Projekt T-MEMORE („Thrombotic Memory-Linking a break in tolerance to platelets to Rethrombosis”) bekommt der LMU-Mediziner 1,5 Millionen Euro.

Neue Impulse bei COVID-19

Starks Arbeiten haben seit Beginn der Coronapandemie weiter an Bedeutung gewonnen. Schon früh wiesen Pathologen bei Patienten, die aufgrund von COVID-19 gestorben waren, Blutgerinnsel im Körper nach. Zusammen mit Kollegen fand auch der LMU-Forscher zahlreiche Thrombosen in kleinsten Blutgefäßen von COVID-19-Patienten, bei denen die Krankheit einen schweren Verlauf genommen hatte. Betroffen waren die Lungen, das Herz und die Nieren. „Es handelt sich folglich nicht nur um eine reine Infektionskrankheit; auch das Gefäßsystem ist davon betroffen“, bilanziert Stark.

Das Team um Konstantin Stark

Badr Kilani, Postdoc an der LMU, arbeitet zu Fragen der Immunothrombose, um die Rolle des Immunsystems bei der Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen besser zu verstehen.

Luke Eivers erforscht das Zusammenspiel unterschiedlicher Zelltypen bei chronisch entzündlichen Gefäßkrankheiten.

Alejandro Martinez Navarros Ziel ist es herauszubekommen, welche Rolle vaskuläre glatte Muskelzellen in der Pathogenese der Atherosklerose spielen.

Zusammenspiel von Entzündung und Thrombose

Weitergehende Untersuchungen zeigten, dass Thromben überwiegend aus Blutplättchen und aktivierten Entzündungszellen, sogenannten neutrophilen Granulozyten, bestehen. Außerdem fanden Forschende im Blut beatmungspflichtiger COVID-19-Patienten mit Lungenversagen stark aktivierte neutrophile Granulozyten und Blutplättchen. Beide Zelltypen regen sich wechselseitig an, was dann zu Gefäßverschlüssen in den Lungen führen kann. „Entzündliche Prozesse lösen die Blutgerinnung aus, indem sie Blutplättchen und Entzündungszellen aktivieren“, fasst Stark zusammen. „Das haben wir schon lange im Rahmen der Thrombose untersucht – und konnten es jetzt bei Patienten mit COVID-19 sehen.“

Auf dem Weg zu neuen Therapien bei COVID-19

Daraus lassen sich Perspektiven für eine Behandlung ableiten. Leitlinien empfehlen bei bestimmten Patientengruppen mittlerweile, routinemäßig Medikamente zur Antikoagulation zu geben. „Unser Ziel sollte jedoch sein, in Entzündungsreaktionen einzugreifen, weit bevor die Blutgerinnung einsetzt – und ohne die körpereigene Infektabwehr zu beeinträchtigen“, gibt Stark zu bedenken. „Die Immunothrombose ist ein vielversprechender Ansatzpunkt in der Prävention und Therapie des Lungenversagens sowie anderer thrombotischer Komplikationen bei COVID-19.“

Vernetzt arbeiten

Um solch komplexe Fragestellungen zu bearbeiten, ist Expertise aus vielen Bereichen erforderlich. Stark engagiert sich im Sonderforschungsbereich (SFB) 914. „Die Arbeiten sind weniger klinisch ausgerichtet, uns geht es eher um das Verständnis, wie Leukozyten als Abwehrzellen auf Gewebeschädigung reagieren und zu Entzündungsherden wandern“, erzählt der Forscher. Zudem ist er am Sonderforschungsbereich 1123 beteiligt, der Mechanismen und therapeutische Angriffspunkte bei Atherosklerose untersucht. Seine Arbeit ist auch in das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung eingebettet. Mit an Bord dieser Sonderforschungsbereiche sind neben der LMU das Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried sowie die Technische Universität München. Stark: „In München habe ich eine ideale Forschungslandschaft.“

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