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Mesopotamien: Verborgenes Wissen digital bergen

03.03.2023

Weiteres Highlight der altorientalischen Forschung in München: Ein neues Akademienprojekt erfasst Keilschrift-Tafeln aus dem Irak Museum in Bagdad.

Professor Walther Sallaberger

Assyriologe Walther Sallaberger

trägt dazu bei, den Korpus der tausende Jahre alten Keilschrifttafeln aus Mesopotamien zugänglich zu machen. | © Jan Greune/LMU

Das Iraq Museum in Bagdad hütet das Wissen über die frühen Hochkulturen in Mesopotamien. Allein Zehntausende Texte liegen dort, die verraten, wie die Menschen in den einst blühenden Städten lebten, arbeiteten, Kriege führten, starben. Sie sind, wie damals üblich, in Keilschrift auf Ton geschrieben.

„Das Museum beherbergt sämtliche Tontafeln und -fragmente, die seit 1936 bei Grabungen im Irak zutage gefördert wurden. Sie bergen das Wissen über das alte Mesopotamien von Assur bis Babylon“, sagt Professor Walther Sallaberger, Inhaber des Lehrstuhls für Assyriologie am Institut für Assyriologie und Hethitologie der LMU. Die Artefakte umfassen die gesamte Epoche der Keilschriftkultur von ihrem Beginn Ende des vierten Jahrtausends vor Christus bis zur Zeitenwende.

Das Besondere: Während in anderen Museen oft Funde aus Raubgrabungen liegen, zu denen oftmals der Zusammenhang fehlt, gibt es bei den Artefakten im Iraq Museum auch Informationen zu den genauen Funddaten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erfahren also den Kontext des jeweiligen Texts, aus welcher ehemaligen Stadt er stammt, sogar aus welchem Haus. Das sind sehr wertvolle Informationen für die Forschung, da so das jeweilige Artefakt in seiner damaligen Umwelt eingeordnet werden kann. „Das ist bei Urkunden sehr wichtig. Aber auch für die Analyse von literarischen Texten bedeutend“, so Sallaberger.

Dokumente erzählen von Aufstieg und Untergang

Tontafel mit Keilschrift

Manuskript des „Babylonischen Fürstenspiegels“

Der Text, in Keilschrift auf Ton geschrieben, fordert künftige Könige und Magnaten auf, auf Gerechtigkeit zu achten. Das Manuskript kommt aus der Stadt Nippur, 8. Jh. v. Chr. | © Projekt „Cuneiform Artefacts of Iraq in Context“ (CAIC)/LMU

Urkunden wirken für sich genommen recht nüchtern, wenn sie etwa den Verkauf von Getreide oder einzelne Verwaltungsakte dokumentieren. In ihrer Gesamtschau ermöglichen sie jedoch einen detailreichen Blick auf das Leben von Menschen vergangener Kulturen. So zeigen sie etwa, was einst gegessen wurde, welche Arbeit wie viel wert war, wer Macht hatte und warum oder wer wen heiratete. Der Zugang zu Urkunden über Mesopotamien, wo einst die erste Stadt der Welt entstand, sich Hochkulturen und Weltreiche entwickelten und untergingen, eröffnet daher auch die Möglichkeit, vielfältigen Forschungsfragen nachzugehen.

Gemeinsam mit Professor Enrique Jiménez am Institut und Professorin Karen Radner, Inhaberin des Alexander von Humboldt-Lehrstuhls für die Alte Geschichte des Nahen und Mittleren Ostens an der LMU, leitet Walther Sallaberger das Projekt „Cuneiform Artefacts of Iraq in Context“ an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Alle drei Forschenden haben langjährige Erfahrungen mit Projekten vor Ort und Kontakte in Irak – „außergewöhnlich in dieser Dichte“, so Sallaberger. Zum Team gehören zudem fünf Assyriologinnen und Assyriologen sowie ein Kollege mit Schwerpunkt „Digital Humanities“.

Auch ein Scholarship-Programm wird es geben, in dessen Rahmen irakische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Forschungsaufenthalten nach München kommen und Erfahrungen im digitalen Edieren von Keilschrifttexten gewinnen können. „Das ist wichtig für ein Land, das infolge der politischen Umstände fast 30 Jahre auch von der wissenschaftlichen Entwicklung in der Welt ausgeschlossen war“, sagt Walther Sallaberger.

Mesopotamien, digital erfasst

Ziel des Projekts ist es, das kulturelle Erbe Mesopotamiens zu bewahren, das im Gebiet des heutigen Irak und Syrien lag. Die Artefakte werden fotografiert, digital erfasst, konserviert und, falls nötig, restauriert. Getrockneter Ton ist sehr hart und kann Jahrtausende überdauern, aber die Tontafeln können, wenn sie erst einmal ausgegraben sind, auch bröseln und abbrechen. Daher arbeitet das Team auch mit einer Restauratorin vor Ort zusammen. „Die Stärke des Projekts ist die digitale Komponente“, betont Walther Sallaberger. Basis ist die Datenbank Electronic Babylonian Library und damit „die am weitesten entwickelte Plattform in der Keilschrift-Forschung“. Sie ist von seinem Kollegen Enrique Jiménez am Institut ursprünglich für literarische Texte angelegt worden und wird nun weiterentwickelt, um auch Urkunden und die zu ihnen vorliegenden Daten zu Personen und Kontext erfassen zu können.

Dafür werden die Texte nicht nur erfasst, sondern auch übersetzt und lexikalisch zugeordnet, sodass Wortlisten entstehen und verschiedene Zugänge zu bestimmten Forschungsaspekten eröffnet werden.

Nach und nach soll die Datenbank so alles enthalten, was in den relevanten Fächern über Mesopotamien bekannt ist, und den aktuellsten Forschungsstand widerspiegeln: „Unser Ziel ist es, den Korpus der Keilschrift-Tafeln und das darin verborgene Wissen miteinander zu verbinden und zugänglich zu machen“, sagt Walther Sallaberger. Die Hoffnung des Altorientalisten: Forscherinnen und Forscher mit Interesse an einem bestimmten Aspekt können dann einfach in der Datenbank nachsehen und alle dazu bereits vorhandenen Veröffentlichungen und Informationen sowie deren weiterführende Verknüpfungen abrufen.

Termin

Das Projekt „Cuneiform Artefacts of Iraq in Context“ wird am 3. März 2023 an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften feierlich eröffnet.

Weitere Informationen zur altorientalischen Forschung an der LMU

Artikel über die Forschung von Prof. Walther Sallaberger im Magazin Einsichten (pdf, S. 30: Im Spiegel der Schrift):

Leibniz-Preis für LMU-Forscherin Karen Radner

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