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Nachrichten aus dem Elfenbeinturm

22.05.2020

Ist die Wissenschaft heute noch in einem Elfenbeinturm gefangen? Ganz und gar nicht! Denn für Forscherinnen und Forscher ist Wissenschaft auch immer Leidenschaft.

Als Julia Budka die Bühne betritt, das Headset zurechtrückt und im Kopf noch einmal alles durchgeht, was sie sagen möchte, ist sie kurz aufgeregt. Sie nimmt an einem Science Slam teil, wird gleich über ihre archäologischen Funde in der Wüste des Sudans sprechen. „Das war noch einmal eine ganz neue Herausforderung, weil da jetzt ein Publikum vor mir saß, das vielleicht gar keinen Bezug zu meiner Forschung hat. Ich musste also die Inhalte meiner täglichen wissenschaftlichen Arbeit ganz bewusst wiedergeben und aufbereiten.“

Budka ist es gewohnt, ihre Forschungsthemen auch abseits wissenschaftlicher Paper zu teilen. Sie ist Professorin für Ägyptische Archäologie und Kunstgeschichte an der LMU und legt für jedes ihrer Forschungsprojekte einen eigenen Blog sowie Twitteraccount an. „Wir sind an vielen Ausgrabungen in Ägypten oder im Sudan beteiligt und möchten natürlich auch die Menschen erreichen, die in diesen Ländern leben. Die Vernetzung über Twitter ist hier total wichtig und schön, gerade da der Zugang zu Büchern oder Vorträgen doch manchmal eingeschränkt ist.“

Damit Wissenschaft nicht nur in stillen Kämmerchen passiert, ist es wichtig, sie aktiv nach außen zu tragen. Denn nur so funktioniert das Zusammenspiel von Forschung und Gesellschaft, sie stützen sich gegenseitig. Wie genau das funktioniert, bleibt jedem selbst überlassen und so werden ganz unterschiedliche Kanäle angesprochen.

Social – nein – Science Media

Yasemin Yoluc, PhD-Doktorandin in Chemie, betreibt den Instagram-Kanal snazzyscienceblogger. Grund dafür: Niemand weiß eigentlich, was in einem Labor so abgeht. „Mein Forschungsgebiet ist vielen Menschen sehr fremd. Meine Familie oder meine Freunde konnten sich zum Beispiel nie so genau vorstellen, was ich eigentlich arbeite und womit ich meine Tage im Labor verbringe.“ Das kann die Wissenschaftlerin gut nachvollziehen: „Obwohl ich mich schon als junges Mädchen sehr für die Naturwissenschaften und die MINT-Fächer interessiert habe, waren sie sehr mystisch“, erinnert sie sich zurück. „Deshalb ist es mir jetzt umso wichtiger zu zeigen, dass Forschung etwas ist, was jeder Mensch erreichen kann, und sie so ein bisschen von ihrer Mystik zu befreien.“ Auf Forschungsreise: Am liebsten teilt Viktor Baranov Einblicke in sein Forschungsgebiet

Ähnlich geht es Viktor Baranov, er ist Postdoktorand in der Zoomorphologie und gründete den Blog swarmofthought, um über sein Forschungsprojekt, die Entwicklung von Zweiflüglern, zu berichten. Erst einmal erklärt er, was Zweiflügler überhaupt sind: „Das klingt für viele oft nach Flugzeugen, dabei ist damit eine Ordnung von Insekten gemeint, die Diptera“, lacht er. Der selbsternannte „Doctor of dead flies“ ist sich bewusst, dass sein Fachgebiet oft mit Unverständnis betrachtet wird. „Das klingt einfach nicht besonders anziehend, wenn ich über tote Larven rede.“ Er grinst. „Der Blog hilft mir dabei, meine Forschung anschaulicher und interessanter zu gestalten. Twitter nutze ich vor allem dazu, mich mit anderen Menschen zu verknüpfen. Hier erzähle ich dann von meinem Fach und von meinen aktuellen Gedanken zu bestimmten Forschungsthemen. Oft komme ich so auch auf neue Ideen, die vielen Nachfragen und Kommentare von anderen Usern helfen mir sehr dabei.“

Wissenschaftliche Arbeit und Online-Präsenz miteinander zu vereinen ist dann aber manchmal doch ganz schön zeitaufwendig. Yasemin Yoluc erzählt, dass sie snazzyscienceblogger und ihre wissenschaftliche Arbeit stark voneinander abgrenzt. „Tagsüber arbeite ich ganz normal im Labor oder am Laptop, abends überlege ich mir dann die Texte und Beiträge für meinen Instagram-Kanal. Das ist für mich ganz klar Freizeit, die ich damit verbringe, und diese Differenzierung ist mir auch wichtig.“ Sie lacht. „Meine Kolleginnen und Kollegen waren am Anfang schon ein bisschen verwundert, helfen mir aber gerne, wenn ich einmal Fotomaterial oder so etwas brauche.“ Für Julia Budka gehört der öffentliche Auftritt hingegen zu ihrer Arbeit dazu: „Ich komme aus Österreich und da ist mittlerweile die Einbindung der Gesellschaft ein ganz entscheidender Aspekt in der Wissenschaft. Als ich nach München kam, wollte ich das unbedingt beibehalten und schreibe deshalb zum Beispiel Artikel oder tweete neue Erkenntnisse. Der Auftritt beim Science Slam zählt da aber auch dazu.“ Professor Andreas Peichl

Auch das Ifo Institut arbeitet ähnlich, denn hier stehen Politik und Forschung dicht an dicht. „Wir arbeiten beratend mit der Politik zusammen und erstellen zum Beispiel Forschungsberichte zu bestimmten Themen. Durch diese enge Verknüpfung ist es für uns ganz natürlich, unsere Erkenntnisse öffentlich zu teilen. Wir hatten dafür auch schon Schulungen, für Twitter zum Beispiel oder für Facebook, um das Potenzial der Plattformen bestmöglich ausschöpfen zu können“, erzählt Professor Andreas Peichl, Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen. Denn nicht alle Inhalte sind für die Öffentlichkeit interessant: „Zu Beginn steht immer unsere Grundlagenforschung, die manche Themen sehr theoretisch umfasst. Da ist es dann schwer, dazu einen 280 Zeichen langen Tweet zu verfassen.“ Er schmunzelt: „Aber auch das ist eine spannende Herausforderung.“

Wissenschaft zum Mitmachen

Professor Hubertus Kohle ist Lehrstuhlinhaber für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte an der LMU, twittert, bloggt, schreibt Kolumnen und Artikel und entwickelte zusammen mit dem LMU-Informatiker François Bry das Forschungsspiel Artigo. Hier wird auf die Schwarmintelligenz der Öffentlichkeit zurückgegriffen: Online können historische Kunstwerke mit Schlagworten beschrieben und somit kategorisiert werden. „Das war ein sehr erfolgreiches Projekt, weil wir so Kapazitäten abgeben und gleichzeitig auch Menschen mit Kunstwerken in Kontakt bringen konnten“, erklärt Kohle. „Die Geisteswissenschaften werden von der Gesellschaft mitgetragen. Im Gegenzug stehen wir mit der Gesellschaft in Kontakt und unterstützen sie so. Es ist mir sehr wichtig, nicht in einer Blase zu arbeiten, die frei umherschwebt, sondern meine Erkenntnisse auch immer zu legitimieren, zu teilen.“ Er lacht. „Außerdem macht es auch einfach sehr viel Freude, in den Diskurs zu treten.“

Für Professorin Julia Budka ist die Kommunikation zwar eine Selbstverständlichkeit, dennoch ist es auch nicht immer ein Zuckerschlecken: „Es ist nicht immer leicht, mit der Forschung in der Öffentlichkeit zu stehen. Es kommen unter Kolumnen durchaus auch kritische Nachfragen, die ich dann natürlich auch beantworten möchte.“ Das kennt auch Professor Andreas Peichl: „Ich kenne das vor allem aus Diskussionen, die sich plötzlich verselbstständigen, wenn man nicht moderiert. Gerade wenn man ganze Threads zusammenstellt und dann Aussagen aus dem Kontext gerissen werden, ist das schwierig.“

Die Leserschaft: Von Schülern bis zu Senioren

„Ich kann das auf Instagram ja ganz gut nachverfolgen, wer mir schreibt oder meine Beiträge liest“, erzählt Doktorandin Yasemin Yoluc. „Das sind bei mir oft Menschen zwischen zwanzig und dreißig, sie kommen aber aus ganz verschiedenen Richtungen. Manchmal fragen Chemie-Studierende ganz gezielt nach, oft sind das aber auch fachfremde Follower, die sich einfach für mein Thema interessieren.“Professor Kohle hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Gerade wissenschaftliche Artikel werden oft ganz gezielt von Menschen gelesen, die sich mit dem Thema auch beschäftigen möchten. Inzwischen habe ich aber auch bemerkt, dass diese Grenzen verschwimmen. Bei Online-Magazinen werden Artikel ja oft bunt zusammengewürfelt und dem User vorgeschlagen. Dann reagiert plötzlich jemand auf einen Artikel, von dem ich das gar nicht erwartet hätte. Das ist richtig schön.“

Unendliche Möglichkeiten

„Ich habe mir vorgenommen, die Medien künftig noch interaktiver zu nutzen“, erzählt Professor Andreas Peichl. „Zum Beispiel könnte man direkt Grafiken oder kurze Videos veröffentlichen oder sogar mit Umfragen Daten erheben. Es ist für uns eine neue Herausforderung, Erkenntnisse so zu verarbeiten, dass sie online verdaut werden können. Ich würde mich gerne mehr vernetzen und auch Menschen miteinbeziehen, die mir als Wissenschaftler diese Arbeit erleichtern können.“Auch für Julia Budka war der Science Slam definitiv noch nicht genug. „Es gibt so viel Potenzial für so kreative Möglichkeiten, das ist der Wahnsinn“, lacht sie. „Ich möchte gerne einfach mehr draußen sein, könnte mir zum Beispiel auch Podcasts mit anderen Wissenschaftlerinnen und Forschern vorstellen, um auch wirklich einen Einblick in unsere Fragestellungen oder fachübergreifende Themen schaffen zu können. Das heißt dann natürlich noch einmal Aufregung, Spannung, Nervosität. Aber das Herzklopfen gehört zur Wissenschaft dazu.“

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