News

Neue Kriege, alte Rollenbilder

07.02.2023

Ein Interview mit der Soziologin Barbara Kuchler über die Bedeutung von Geschlecht in militärischen Konflikten.

Ein Soldat steht bewaffnet in Cherson, Ukraine

Ein Soldat steht bewaffnet in Cherson, Ukraine | © IMAGO / NurPhoto / Nina Liashonok

Welche Rolle spielt das Geschlecht im Krieg? Mit diesem Thema befasst sich eine Tagung am Lehrstuhl für Geschlechterforschung des Instituts für Soziologie der LMU. Eine der Vortragenden, Dr. Barbara Kuchler, erklärt im Interview, wie sich das Verhältnis der Geschlechter im Krieg verändert und wie sexuelle Gewalt als Kriegsmittel dient.

Frau Dr. Kuchler, in der Ukraine wurde nach Kriegsbeginn Männern die Ausreise verboten. Wie passt das zu modernen Rollenbildern?

Wenn ein großer Krieg ausbricht, tritt sehr schnell die Situation ein, dass klassische Geschlechterrollen mehr als in anderen gesellschaftlichen Bereichen wieder akzeptiert werden. Zu Beginn des Kriegs in der Ukraine meldete sich in der Öffentlichkeit kaum jemand zu Wort nach dem Motto: Das ist aber ungerecht, dass keine Frauen eingezogen werden! Es fällt schon auf, dass diese sehr traditionelle Rollenverteilung von allen Seiten – auch Feministinnen – relativ einmütig hingenommen wurde.

Wie lässt sich das aus soziologischer Sicht erklären?

Ein Grund ist vielleicht die starke Betonung von Körperlichkeit im Krieg. Es wird nicht mehr mit Gesprächen, Dokumenten und Unterschriften verhandelt, sondern mit Gewehren gekämpft. Vom Politischen her gedacht ist das der Rückgriff auf den Körpermechanismus der Gewalt. Die Körperdimension ist dabei so stark, dass die in der Regel größeren und schwereren Männer dafür besser geeignet erscheinen. Andererseits spielt die reine Körperkraft in der modernen, hoch technologisierten Kriegsführung oft eine geringere Rolle als früher, sodass diese Erklärung nicht wirklich gut trägt. Ein anderer Erklärungsfaktor, der oft genannt wird, ist eine althergebrachte Männlichkeitskultur im Militär.

Steht die Gleichstellung in Krisenzeiten grundsätzlich hintan?

Tatsächlich sind in Zeiten existenzieller Krisen den Menschen erst mal andere Dinge wichtig – und zwar so wichtig, dass das Anliegen der Gleichstellung auf der Prioritätenliste der Gesellschaft zunächst weit nach hinten rutscht.

In der COVID-19-Pandemie haben wir das ja etwa in Bezug auf die Arbeitsteilung bei Hausarbeit und Kinderbetreuung gesehen. In einem Krisenmodus fällt die Gesellschaft womöglich auf traditionelle und damit sicher erscheinende Rollenbilder zurück.

In vielen Ländern – wie Israel, den USA oder auch der BRD – gehören Frauen aber sehr wohl zum Militär. Was ist der Unterschied zum Krieg in der Ukraine?

Dort sind Frauen zwar in Kampfeinheiten. Je mehr es darin um Fronteinsätze geht, desto mehr schrumpft der Frauenanteil wieder zusammen und nähert sich damit dem alten Schema an, dass Krieg Männersache sei.

Der Frauenanteil bei den Soldaten insgesamt liegt für die Bundeswehr und das US-Militär bei um die 20 Prozent. Doch davon sind überproportional viele in Einheiten hinter den Linien – wie Sanitätstruppen –, was wieder ein klassischer Frauenbereich ist, jedenfalls soweit es um Krankenpflege geht.

Das heißt, innerhalb des Militärs wird die Struktur „Männer gehören an die Front, Frauen nicht" reproduziert. So ist es in vielen Bereichen, nicht nur im Militär – zum Beispiel sind Frauen, wenn sie Richterinnen werden, in überproportional vielen Fällen Familienrichterinnen. Und wenn sie Soziologinnen und Soziologieprofessorinnen werden, bearbeiten sie überproportional oft Frauen- und Familienthemen. Die Struktur differenzieller Zuständigkeiten wird hologrammartig reproduziert innerhalb des Bereichs, der sich für Frauen öffnet. Das ist also so gesehen keine Besonderheit des Militärs, sondern ein allgemein strukturelles Phänomen.

Welche Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis hatten etwa die Weltkriege längerfristig?

Interessanterweise haben die Weltkriege trotz der Rollentrennung während des Kriegs der Emanzipation von Frauen einen Schub versetzt – weil diese an der sogenannten Heimatfront gebraucht wurden. In den Fabriken und Handwerksbetrieben fehlten plötzlich die Männer, und Frauen mussten etwa als Fabrikarbeiterinnen und Schweißerinnen antreten.

Das Argument „Frauen können das nicht” war damit erst mal vom Tisch. Neben anderen Faktoren trug das wohl auch dazu bei, dass im Deutschen Reich und einigen anderen Ländern um 1918, nach Ende des Ersten Weltkriegs, das Frauenwahlrecht eingeführt wurde.

Kämpfende Frauen in Guerilla- oder Bürgerkriegen

In Ihrem Vortrag „Schlaglichter aus Kriegsgeschichte und Kriegssoziologie“ bei der bevorstehenden Tagung beleuchten Sie auch Bürgerkriege. Wie sieht es dabei mit der Rollenverteilung aus?

Diese irregulären Kriege, wie Guerilla- oder Bürgerkriege, in denen auf mindestens einer Seite nicht-staatliche Gruppen kämpfen, ist laut Kriegsforschung seit dem Zweiten Weltkrieg dominierend. Krieg wird dabei nicht von Staaten, sondern von Mitgliedern der Zivilgesellschaft – und gegen diese – geführt. Die Kämpferinnen und Kämpfer sind meist nicht uniformiert, schlagen aus Verstecken heraus kurz zu und mischen sich unter die Zivilbevölkerung.

In Kriegen dieses Typs gibt es manchmal eine offen und stolz betriebene Beteiligung von Frauen auch in Kampfgruppen, unter dem Stern von Gleichberechtigung und Emanzipation und einer progressiven Gesellschaftsordnung. Das galt etwa für die antifaschistischen Truppen im Spanischen Bürgerkrieg, für manche lateinamerikanischen Guerilla-Bewegungen mit sozialistischer Ideologie, und es gilt auch für manche kurdischen Organisationen, die etwa in Syrien gekämpft haben und die teils Fraueneinheiten haben.

Rein soziologisch gesehen entsprachen solche Rebellenbewegungen in gewisser Weise sozialen Bewegungen in Friedenszeiten. Es sind nicht-staatliche „Graswurzel”-Akteure, die sich hier im Bereich Krieg zur Geltung bringen. Diese Bewegungen haben oft auch etwas Emanzipatorisches und sind dann auch bereit, Frauen an die Front zu schicken.

Was die Perspektive der Kriegsopfer angeht, haben Sie erforscht, wie systematische sexuelle Gewalt in Kriegen mit der Architektur der modernen Gesellschaft zusammenhängt. Können Sie das erläutern?

In etlichen Kriegen der jüngeren Zeit, etwa den Jugoslawien- oder verschiedenen afrikanischen Kriegen, gibt es das Phänomen der Vergewaltigungen als Strategie. Ziel der systematisch betriebenen Übergriffe ist es, der Gesamtbevölkerung der Gegenseite zu schaden – auch langfristig, weil die Reproduktionsfähigkeit beschädigt wird, etwa wenn in bestimmten Kulturen die Frau als Heiratspartnerin nach einer Vergewaltigung nicht mehr infrage kommt. Es wird also nicht nur der einzelnen Frau mit diesem Kriegsverbrechen geschadet, sondern der ganzen Gruppe.

Dass der Friedensnobelpreis 2018 an einen Arzt und eine Menschenrechtsaktivistin ging, die gegen den Einsatz sexueller Gewalt als Kriegsmittel angehen, belegt das Ausmaß dieses Phänomens.

Terminhinweis

Die zweitägige Veranstaltung „Krieg und Geschlecht“ findet am 10. und 11. Februar 2023 im Rahmen der interdisziplinären Vortragsreihe „Gendergraphien“ als Zoom-Veranstaltung statt.

Wonach suchen Sie?