News

Olympia-Attentat 1972: Offene Fragen endlich klären

16.05.2023

Auch über 50 Jahre nach dem Terrorangriff auf die israelische Olympia-Mannschaft in München liegt vieles zum Attentat im Dunkeln. Eine Historikerkommission soll Licht in dieses Dunkel bringen. Zwei Mitglieder der Kommission kommen von der LMU.

Zwei israelische Sportler sterben, als am 5. September 1972 eine palästinensische Terrorgruppe ins Olympische Dorf in München eindringt. Nach einer Geiselnahme und einem desaströsen Befreiungsversuch sind 15 weitere Menschen tot: Alle neun israelischen Geiseln, ein deutscher Polizist und fünf Terroristen. Es ist viel über das Attentat berichtet und geschrieben worden. „Aber nicht selten wurde voneinander abgeschrieben“, resümiert Professorin Margit Szöllösi-Janze, ehemalige Lehrstuhlinhaberin für Zeitgeschichte an der LMU. Gemeinsam mit Professor Michael Brenner, Inhaber des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur an der LMU, ist sie in eine Forscherkommission berufen worden, die im Auftrag des Bundesinnenministeriums Antworten auf offene Fragen rund um den Terrorakt suchen soll. Und offene Fragen gebe es viele, sagt Szöllösi-Janze.


Der 2017 errichtete Erinnerungsort zum Olympiaattentat 1972

Seit 2017 gibt es den Erinnerungsort zum Attentat von 1972 im Olympiapark in München.

© Picture Alliance/SZ-Photo Stephan Rumpf

Die Terrorwelle in München begann schon früher

Vor allem Entwicklungen vor und nach dem September 1972 seien noch wenig beleuchtet, stellt sie fest. Etwa Details zum Versuch palästinensischer Terroristen, am 10. Februar 1970 am Münchner Flughafen Riem eine Maschine der israelischen Fluggesellschaft El Al zu entführen. Der 32-jährige Passagier Arie Katzenstein wurde dabei getötet. Drei Tage später starben bei einem Brandanschlag auf ein Altenheim der Israelitischen Kultusgemeinde München sieben Bewohnerinnen und Bewohner. Auch Michael Brenner ist sicher: „Die Terrorwelle in München begann spätestens 1970.“ Und er fügt hinzu: „Das müsste man untersuchen.“

Die zuständigen Behörden haben die Ermittlungen nach dem tödlichen Anschlag auf das jüdische Altenheim eingestellt, ohne dass Täter ermittelt wurden. Aber Szöllösi-Janze und Brenner sind sicher, dass es für das Verständnis des Olympia-Attentats von 1972 unerlässlich wäre, die gesamte Vorgeschichte zu erforschen. Auch die Aufarbeitung des Terrorangriffs im September 1972 selbst und der Geschehnisse danach sei lückenhaft, sind sie sich einig. Viele Unterlagen etwa bei Geheimdiensten seien bis heute unter Verschluss. Szöllösi-Janze ist mit der Informationspolitik öffentlicher Stellen vor allem in Deutschland unzufrieden: „Die haben schlicht und ergreifend gemauert.“ Ein Grund dafür liegt ihrer Ansicht nach darin, dass es lange Zeit wenig Bereitschaft gegeben habe, Fehler einzugestehen, die deutsche Sicherheitsbehörden Anfang der 1970er-Jahre gemacht haben.

Michael Brenner ist aber zuversichtlich, dass jetzt Material zugänglich wird, das mehr als ein halbes Jahrhundert unter Verschluss war: „Ich gehe davon aus, dass das Bundesinnenministerium alles tun wird, damit wir zumindest die wichtigsten Quellen einsehen können, zum Beispiel beim Bundesnachrichtendienst.“ Innenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte bei der Berufung der Historikerkommission, es sei „beschämend, dass quälende Fragen viel zu lange offengeblieben sind“.

Ein wunder Punkt in der Geschichte Israels

Die Aufarbeitung der Terrorakte vor rund 50 Jahren mit Methoden der Geschichtswissenschaft sei nicht nur aus deutscher Perspektive wichtig, findet Brenner: „In Israel sind die Erwartungen hoch.“ Olympia 1972 sei „ein wunder Punkt in der Geschichte, der sehr stark im Bewusstsein der Menschen dort ist.“ Deshalb hofft er, dass auch israelische Behörden der Historikerkommission Zugang zu bislang unter Verschluss gehaltenen Informationen geben, etwa beim Geheimdienst Mossad.

Drei Jahre lang soll die achtköpfige Kommission neue Erkenntnisse zusammentragen, sie arbeitet dabei mit dem Institut für Zeitgeschichte München-Berlin zusammen. Das Bundesinnenministerium stellt 2,85 Millionen Euro bereit, um Personal- oder Reisekosten zu decken. Neben einer schriftlichen Dokumentation der Forschungsergebnisse soll es auch mehrere Tagungen geben. Margit Szöllösi-Janze und Michael Brenner sind sich dabei in einer Hoffnung einig: Dass sich auch deutlich über Expertenkreise hinaus ein neuer Blick auf die Terrorzeit der 1970er-Jahre öffnet, dass sich „Streueffekte“ ergeben, wie Szöllösi-Janze es nennt.

Wonach suchen Sie?