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Paläogenomik: Jahrtausendealter Fernhandel formt sibirische Hunde

21.09.2021

Seit der Eisenzeit nutzten Bewohner Sibiriens immer wieder auch Tiere, die sie aus Eurasien importierten, wie genetische Analysen zeigen.

Rentierhütehund auf der Jamal-Halbinsel in Nordwestsibirien.

Bild: Robert J. Losey, University of Alberta

Archäologische Funde deuten darauf hin, dass die Menschen im arktischen Nordwestsibirien bereits vor 2000 Jahren weitreichende Handelsbeziehungen unterhielten. Das Aufkommen des Handels war Teil einer Reihe prägender gesellschaftlicher Veränderungen, die zu dieser Zeit einsetzten – und hinterließ im Lauf der Zeit auch im Genom der sibirischen Hunde Spuren, wie ein internationales Team um den LMU-Paläogenomiker Laurent Frantz nun anhand umfangreicher genetischer Analysen zeigen konnte. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass Hunde importiert wurden, was schließlich auch zur Entstehung sibirischer Hundelinien wie den Samojeden geführt hat.

Insgesamt analysierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Genome von 49 zwischen 60 und 11.000 Jahre alten Hunden aus Sibirien und Eurasien. Vier dieser Hunde stammten aus der etwa 2.000 Jahre alten Stätte von Ust-Polui, wo russische und kanadische Archäologen Überreste von mehr als 100 Hunden entdeckten. Zahlreiche Funde deuten darauf hin, dass der Ort auf der abgelegenen Jamal-Halbinsel in Nordwestsibirien über einen Zeitraum von etwa 400 Jahren immer wieder genutzt wurde, vermutlich zu zeremoniellen Zwecken. „Manche Hunde dort scheinen bewusst begraben worden zu sein“, sagt Dr. Robert Losey (Universität Alberta, Kanada), der leitende Archäologe der Studie. „Aber es gibt auch Hinweise, dass einige Tiere gegessen wurden. Hunde wurden für verschiedene Zwecke genutzt, nicht nur zum Transport, sondern möglicherweise auch als Partner bei der Jagd oder als Nahrungsquelle.“

Unter den in Ust-Polui gefundenen Artefakten sind Metallgegenstände und Glasperlen, die nicht im damaligen Sibirien entstanden sein können und wahrscheinlich aus der Steppe, der Schwarz-Meer-Region oder dem Nahen Osten stammen. Die Bevölkerung von Jamal war also bereits an weitreichende Handelsnetze angebunden. Zudem setzten während dieser Zeit große gesellschaftliche Veränderungen ein, etwa der vor 2000 Jahren beginnende Import von Eisen oder der Einsatz von Rentieren zum Ziehen von Schlitten. Rentierhaltung in großem Maßstab, wie sie heute von den indigenen Völkern in dieser Region in großem Umfang betrieben wird, entstand erst in den letzten Jahrhunderten.

Hunde als Handelsware

Im Zuge ihrer Handelsbeziehungen führten die Bewohner im arktischen Sibirien auch Hunde aus entfernten Gebieten ein, wie die Forscher anhand ihrer genetischen Untersuchungen belegen konnten: „Während sich arktische Hunde bis mindestens vor 7000 Jahren nahezu isoliert von anderen Hundepopulationen entwickelten, zeigen die Genome der jüngeren Hunde ab der Eisenzeit bis ins Mittelalter hinein immer wieder eine signifikante Einmischung von Hunden aus der eurasischen Steppe und aus Europa", so Dr. Tatiana Feuerborn, die Hauptautorin der Studie an der Universität Kopenhagen. Auf der Jamal-Halbinsel beispielsweise nahm der Anteil der „nicht-sibirischen“ Abstammung der Hunde von der Eisenzeit vor 2.000 Jahren bis zum Mittelalter deutlich zu. „Hunde waren potenziell ein wertvoller Besitz, der auch gehandelt wurde“, sagt Frantz. Das Genom der Menschen im arktischen Sibirien dagegen blieb recht stabil, es gab also wenig Vermischung mit nicht-arktischen Gemeinschaften.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Import der Hunde mit den gesellschaftlichen Veränderungen in Sibirien zusammenhängt: „Die ursprünglichen arktischen Hunde waren vor allem Schlittenhunde“, erläutert Frantz. „Als die Menschen begannen, mehr Rentierherden zu halten, benötigten sie vermutlich Hunde mit anderem Verhalten, die besser für das Hüten von Herden geeignet waren. Die Vermischung von arktischen Hunden mit anderen Populationen führte dann möglicherweise zur Entstehung von Linien, die sowohl zum Hüten geeignet als auch an die rauen klimatischen Bedingungen angepasst waren.“

Vom Arbeitshund zum Samojeden

Die Vermischung und Verbesserung der in der Region angestammten Hunde führte schließlich zur Entstehung moderner sibirischer Hundelinien wie den heutigen Samojeden. „Ein großer Teil des Genoms der Samojeden kann auf alte arktische Linien zurückgeführt werden“, erklärt Frantz, „aber es weist viel mehr westliche Einflüsse auf als beispielsweise der Husky.“ Seit dem Mittelalter allerdings haben sich Samojeden ziemlich unverändert erhalten, da es danach kaum Vermischung mit anderen Hunden gab – anders als bei den meisten modernen Hunderassen, die hauptsächlich Zuchtprodukte des 19. und 20. Jahrhunderts sind. „Samojeden“ heißen die Tiere aber erst, seit Polarforscher wie der Brite Ernest Shackleton sie aus der Arktis importierten und eine gezielte Zucht begann. „Zuvor war es einfach eine Population von Arbeitshunden“, sagt Frantz.

Feuerborn et al.: Modern Siberian dog ancestry was shaped by several thousand years of Eurasian-wide trade and human dispersal PNAS 2021

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