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Programmatische Antworten auf die Zeit

13.02.2015

Universitätsreden sind ein wichtiges Zeugnis des Selbstverständnisses einer Universität in ihrer Geschichte. Die Reden der LMU von 1800 bis 1968 sind jetzt online verfügbar und werden wissenschaftlich aufgearbeitet.

Als „reinste Kinder der Wissenschaft“ bezeichnet der Rektor der LMU, der Romanist Karl Vossler, die Mitglieder der Weißen Rose. Bereits 1946 hielt er eine Rede zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und insbesondere der studentischen Widerstandsgruppe. Und er nahm in seiner Rede auch schonungslos die Leitung der LMU während des sogenannten Dritten Reichs in die Kritik: „Weder der Rektor noch der Senat noch der Studentenbund wagten es, eine Fürbitte, ein Gnadengesuch für diese reinsten Kinder der Wissenschaft laut werden zu lassen. Geholfen hätte damals eine solche Fürbitte ganz gewiß nicht. Aber vielleicht hätte sie dem Ansehen unserer Alma Mater geholfen.“ Vossler nahm vorweg, was unter dem Rektor Professor Andreas Heldrich erst ein halbes Jahrhundert später in Angriff genommen wurde: Die Aufarbeitung der LMU-Geschichte in ihrer dunkelsten Zeit. Vossler wusste, wovon er sprach, war er doch 1946 zum zweiten Mal Rektor der LMU – ein Amt, das er bereits zwanzig Jahre zuvor bekleidet hatte –; er kannte seine Alma Mater. Weil er jede Ideologie und den Antisemitismus entschieden ablehnte, wurde er wegen seiner Ansichten 1937 zwangsemeritiert, um 1946 im Alter von fast 78 Jahren noch einmal zum Rektor und damit zum glaubwürdigen, unbelasteten Redner zur Erinnerung an den Widerstand zu werden. Seine Rede ist im Korpus der Rektorats- und Universitätsreden zu finden, der seit Anfang Februar online verfügbar ist.

Der Fokus dieser Sammlung liegt dabei vor allem auf den Rektoratsreden, mit denen angehende oder scheidende Universitätschefs eine fachliche oder gesellschaftspolitische Standortbestimmung abgaben. „Die Rektoratsreden sind ein erstklassiges Abbild mit Blick nach innen des universitären Lebens und mit Blick nach außen des universitären Selbstverständnisses“, so Dr. Claudius Stein vom Universitätsarchiv der LMU, der das Projekt leitet. Nahezu alle Phänomene, die die Zeit zwischen der napoleonischen Ära und den Umbrüchen von 1968 prägten, fänden darin ihren Niederschlag als programmatische Antworten der Universität auf die Zeitläufte, so Stein.

Wissenschaftliche Aufarbeitung Mehr als 500 Digitalisate umfasst die Sammlung: In dieser Dimension ist sie deutschlandweit einzigartig und die LMU nach der Technischen Universität Darmstadt die einzige Universität hierzulande, die ihren Universitätsredenkorpus digitalisiert und online verfügbar macht. An dem Projekt sind auch die Universitätsbibliothek, das Herzogliche Georgianum sowie die Bayerische Staatsbibliothek beteiligt.

Warum der Korpus erst im Jahr 1800 beginnt, wenn schon Herzog Ludwig der Reiche von Bayern in der Stiftungsurkunde von 1472 verfügt hat, dass jeder Rektor eine Rede zu halten habe, ist eine Kapazitätsfrage. Claudius Stein: „Die Reden ab 1800 waren relativ gebündelt im Archiv vorhanden, sodass man sie nur digitalisieren brauchte. Bei den Reden vor dieser Zeit haben wir diesen Vorteil nicht, sie sind verteilt und nur mit einem erheblichen Zeitaufwand zusammenzutragen.“ Allein die Sichtung und Digitalisierung der Reden, die jetzt auf der Seite des Universitätsarchivs eingesehen werden können, hat drei Jahre gedauert.

Warum der Korpus aber im Jahr 1968 endet, hat einen ganz einfachen Grund: Die Tradition, die bis dahin bestanden hatte, wurde auf diese Weise nicht mehr weitergeführt. Das hatte laut Dieter Langewiesche nicht nur mit der Studentenbewegung zu tun, die die Universitäten zu den Verursachern der deutschen Katastrophen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählte und die Veranstaltungen entsprechend boykottierte. Langewiesche, Professor für Mittlere und Neueste Geschichte an der Universität Tübingen, sah in seiner Festrede bei der Studiotagung zur Präsentation der Reden Anfang Februar noch einen weiteren Grund: Universitäten wurden in dieser Zeit sehr groß und ihre Rektoren begannen wie bei Unternehmen, Geschäftsberichte vorzulegen, denn Leistungsbilanzen seien ab dieser Zeit gefragt gewesen, keine Bildungsreden.

Immerhin geben die Reden, die jetzt im Korpus enthalten sind, schon einen guten Einblick in immerhin fast ein Drittel der LMU-Geschichte. Genau deswegen genügt es den Verantwortlichen nicht, sie einfach nur online gestellt zu haben. Sie wollen sie auch wissenschaftlich erschließen und in den jeweiligen historischen Kontext einordnen. „Im Rahmen der Studiotagung haben ausgewiesene Experten, aber auch Doktorandinnen und Doktoranden die Reden auf Basis der Epochengrenzen im zeitgeschichtlichen Zusammenhang verortet“, erläutert Claudius Stein. Die Ergebnisse der Tagung werden in einen Sammelband münden – ein weiterer Baustein in der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Universitätsgeschichte. Schließlich soll diese in sieben Jahren zum 550. Jubiläum der LMU in weiten Teilen veröffentlicht sein.

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