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Rachenmandeln als Test-Labor

28.02.2020

LMU-Wissenschaftler haben Immunzellen aus Gewebe von menschlichen Tonsillen gewonnen und damit ein Verfahren entwickelt, mit dem sich wichtige Schritte der Körperabwehr analysieren und neue entzündungshemmende Medikamente testen lassen.

Was normalerweise als Klinikabfall gilt, ist für Dirk Baumjohann und sein Team wertvolles Forschungsmaterial: Gewebe, das bei einer gewöhnlichen Mandel-OP anfällt. Für den Immunologen hat es einige Vorteile: Es ist frisches menschliches Gewebe, in dem sich die Zellen des Immunsystems und ihr Zusammenspiel besonders gut an intaktem Material untersuchen lassen. Die Tonsillen gehören zum lymphatischen System und sind eine der ersten Abfangstationen von infektiösen Keimen im Körper. Im Gegensatz zu Blut enthalten sie daher große Mengen hochaktiver Immunzellen.

Die Wissenschaftler um Dirk Baumjohann, Leiter einer Emmy-Noether-Gruppe am Biomedizinischen Zentrum der LMU und seit Kurzem Professor an der Universität Bonn, untersuchen vor allem die Interaktion von sogenannten follikulären T-Helferzellen (Tfh) und B-Zellen. Ihr Zusammenspiel ist essenziell; es spielt bei der Bildung von passgenauen Antikörpern eine wichtige Rolle, mit denen die Immunabwehr auf eine Infektion oder Impfung antwortet. Andererseits kann eine überschießende oder fehlgerichtete Immunantwort auch zu Allergien und Autoimmunerkrankungen beitragen. Die Antikörper-Produktion findet in sogenannten Keimzentren statt, die sich in lymphatischen Geweben bilden, in Lymphknoten etwa, in der Milz – und eben in den Rachenmandeln.

Im Rahmen einer strategischen Partnerschaft von LMU, Klinikum und dem Unternehmen Sanofi, durch die das Projekt gefördert wurde, haben die Forscher ein Kultivierungs-System aus Immunzellen etabliert, mit dem sie nicht nur die genauen Mechanismen der Immunantwort besser untersuchen, sondern auch neue Medikamente und ihre Wirkung auf die körpereigene Abwehr testen können. Davon berichten sie nun in EBioMedicine, einem Open-Access-Ableger des angesehenen Fachblattes The Lancet. Unterstützt wurde Dirk Baumjohanns Gruppe durch Experten von Sanofi-Aventis Deutschland sowie von LMU-Kollegen am Max-von-Pettenkofer-Institut und am Walter-Brendel-Zentrum für Experimentelle Medizin.

Physiologisch relevante Versuchsbedingungen

Dass die Methode funktioniert, konnten die Forscher an einer Reihe von Substanzen nachweisen, die in der Klinik für verschiedene entzündliche Autoimmunerkrankungen zugelassen sind, etwa sogenannte Biologika zur Behandlung von rheumatoider Arthritis oder Substanzen gegen Psoriasis, Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Insgesamt fahren diese die Aktivität von Immunzellen wie Tfh- und B-Zellen herunter und wirken so entzündungshemmend. Blockierten die Forscher beispielsweise Signalwege von Immunbotenstoffen, sogenannten Zytokinen, hatte dies deutliche Auswirkungen auf die Immunzellen. Ein für ihre Funktion wichtiger Transkriptionsfaktor etwa wurde durch verschiedene Behandlungen deutlich inhibiert, und gibt dem Forschungsfeld daher neue Hinweise über die Regulation menschlicher Tfh-Zellen.

Für ihre Versuche nutzten die Immunologen sowohl kleine Blöcke des Tonsillen-Gewebes als auch hochkonzentrierte Suspensionen des aus den Rachenmandeln gewonnenen Zellmaterials. „Suspensionen sind leichter zu handhaben“, sagt Angelika Schmidt, Postdoktorandin und für das Projekt zuständige Wissenschaftlerin in Baumjohanns Gruppe. Und auch mit zwischenzeitlich tiefgefrorenem Zellmaterial lassen sich die Ergebnisse reproduzieren.“ Die neuen Verfahren, so schreiben die Wissenschaftler, schaffen physiologisch relevante Versuchsbedingungen und stärken darüber hinaus die Forschung an menschlichen Immunzellen, die bisher oft auf Zellen aus dem Blut beschränkt ist. „Der Zugang zu diesem wertvollen Material menschlichen Ursprungs gibt uns die Möglichkeit, Mechanismen der Immunabwehr direkt in humanen Zellen zu analysieren und entzündungshemmende Substanzen, die als Medikamente in Frage kommen, in einem relevanten System zu testen“, sagt Schmidt. Obwohl in der Immunologie Tiermodelle nach wie vor unerlässlich sind, könnten diese zukünftig durch die neuen Testverfahren auf ideale Weise ergänzt werden.EBioMedicine 2020

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