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„Rechte und Pflichten für die Hosentasche”

12.05.2023

Jurastudentin Natali Gbele hat einen Verein gegründet, der Geflüchteten ihre Rechte aufzeigt.

Jurastudentin Natali Gbele

LMU-Studentin Natali Gbele bildet mit ihrem Verein inzwischen auch ehrenamtliche Beraterinnen und Berater fort. | © LC Productions

Darf die Polizei mich am Hauptbahnhof nach meinem Ausweis fragen? Welche Rechte habe ich, wenn sie es tut? Und welche haben die Polizistinnen und Polizisten? Natali Gbele beschäftigt sich eingehend mit solchen Fragen und damit, wie man die Antworten darauf leicht verständlich vermitteln kann. „Auch viele Deutsche wissen vermutlich nicht, wie man sich bei einer öffentlichen Personenkontrolle verhält“, sagt die 24-Jährige. „Für Geflüchtete kommt zur Aufregung aber noch die Sprachbarriere – dabei steht für sie viel auf dem Spiel.“

Gbele studiert im zehnten Semester Rechtswissenschaften an der LMU. Derzeit bereitet sie sich auf das nahende Staatsexamen vor. In ihrer Wohnung stapeln sich neben Jurabüchern auch Info-Flyer in zehn verschiedenen Sprachen. Denn im Jahr 2021 gründete Gbele zusammen mit Kommilitoninnen und Kommilitonen den Verein „Know Your Rights Initiative e.V.“, kurz KYRI e.V. „Unser Ziel ist es, Geflüchteten und Nicht-Staatsangehörigen ihre Rechte in Deutschland besser verständlich zu machen“, erklärt sie.

Gbele ist Palästinenserin und „musste zum Glück nie flüchten“. Aber als sie 2017 allein in die Bundesrepublik kam, konnte sie kein Wort Deutsch. „Daher weiß ich, wie schwer es ist, sich mit einer solchen Sprachbarriere in eine fremde Kultur und Gesellschaft zu integrieren.“ Als sie ein Jahr später, mit rasant erweiterten Deutschkenntnissen, zwecks Jurastudiums ihre Aufenthaltsgenehmigung beantragte, fühlte sie sich vom Juristendeutsch und überhaupt dem Umgang mit den Behörden „völlig überfordert“.

Komplizierte Rechtsbescheide verständlich machen

Um anderen Ausländerinnen und Ausländern dabei zu helfen, engagierte sie sich während des Studiums zunächst bei der „Refugee Law Clinic Munich“, einem studentischen Verein, der Geflüchtete zum Aufenthalts- und Asylrecht berät. „Dabei erlebte ich viel zu oft, dass Menschen einfach zu spät zur Beratung kamen – etwa, weil sie nicht wussten, was Wörter wie ‚Klagefrist‘ oder ‚Rechtsbehelfsbelehrung‘ in einem Bescheid bedeuteten. Sobald eine solche Klagefrist aber abgelaufen ist, kann man ihnen rechtlich kaum noch helfen.“ Aus dieser Erfahrung entstand das Konzept von KYRI e.V.: präventiv zu beraten, bevor die Situation eskaliert.

Die Erkenntnis, dass präventiver Rat verständlich, leicht zugänglich und schriftlich zur Verfügung gestellt werden sollte, kam Gbele dann bei einer Reise nach London. „Ich besuchte dort einen Freund und begleitete ihn auf eine Demo.“ Freiwillige verteilten gelbe Kärtchen unter den Demonstrierenden. „Auf der einen Seite standen Nummern, die man im Fall einer polizeilichen Festnahme anrufen konnte. Und auf der anderen fanden sich Hinweise, was man bei einer Vernehmung in Großbritannien darf und was nicht“, erinnert sich Gbele. „Das waren Rechte und Pflichten quasi für die Hosentasche: sehr kompakt, aber potenziell lebensverändernd.” Aus diesem Erlebnis speiste sich das Konzept schriftlicher, leicht verständlicher Infomaterialien. „Damit man unterwegs nicht erst googeln muss.“

Flyer in verschiedenen Sprachen

Jurastudentin Natali Gbele steht mit zwei Mitstreiterinnen im LMU-Hauptgebäude

Natali Gbele mit ihren Vorstandskolleginnen Jasmin Spengler und Lisa Klostermann. | © LC Productions

2021 wurde der Verein KYRI von sieben Studierenden gegründet, „der nötigen Mindestanzahl für einen eingetragenen Verein, auch das lernte ich dabei“. Sechs von ihnen studierten Jura, eine Kommunikationswissenschaften; mittlerweile zählt KYRI 23 Mitglieder. Das allererste Projekt des Vereins war die Vortragsreihe „Law Explained“ im Herbst im „Bellevue di Monaco“, einem Wohn- und Kulturzentrum für Geflüchtete im Glockenbachviertel in München.

„Denn die effektivste Methode, um unsere Informationen zu den entsprechenden Menschen zu bekommen, ist die Zusammenarbeit mit sozialen Einrichtungen“, so Gbele. In den Vorträgen im „Bellevue di Monaco“ ging es um Polizeikontrollen: öffentliche Durchsuchungen und Identitätsfeststellungen, Versammlungen und Wohnungsdurchsuchungen.

„Es gibt das Konzept der ‚Hauptbahnhofdurchsuchungen‘, wie sie umgangssprachlich genannt werden, Polizeikontrollen in der Öffentlichkeit also“, so Gbele. „Was ist, wenn der Geflüchtete seine Aufenthaltsgestattung nicht dabeihat? Was darf die Polizei dann – etwa beim Durchsuchen seiner oder ihrer Sachen? Darf man sich verweigern?“ Natürlich seien das Situationen, die auch Deutsche treffen könnten – nicht ohne Grund besuchten neben Geflüchteten und internationalen Studierenden auch Einheimische die KYRI-Vorträge. „Aber für Nicht-Staatsangehörige und Geflüchtete steht oft viel mehr auf dem Spiel.“ Denn die Konsequenzen könnten bei falschem Verhalten gravierend sein und etwa den „Aufenthaltstitel“, so der juristische Fachbegriff, kosten.

Handbuch für den Flüchtlingsrat

Zu jedem Vortrag erarbeitete das Team Handzettel mit knappen Informationen in Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Arabisch, Russisch, Ukrainisch, Kroatisch, Farsi und Dari. Ein Teil der Materialien ist noch in Arbeit. „Dabei unterstützen uns die ehrenamtlichen Übersetzer der gemeinnützigen Organisation TranslAid“, erklärt Gbele.

Viel Hilfe bekam man zudem aus den Reihen der LMU: Dozierende aus den Rechtswissenschaften lasen die Flyer gegen und hielten sogar selbst Vorträge. Und ein Dozent organisierte für die KYRI-Mitglieder einen Didaktik-Workshop über verständliche Sprache im Rechtswesen. „Ohne diese wirklich tolle Unterstützung der LMU“, resümiert Gbele, die nebenbei als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Völkerrecht und Öffentliches Recht arbeitet, „wären wir mit unserer Arbeit heute wohl nicht da, wo wir sind.“

Neben Kooperationen mit dem Bellevue di Monaco plant KYRI derzeit Projekte mit dem Münchner Flüchtlingsrat, dem Kreisjugendring oder dem Verein Condrobs, der unter anderem mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund arbeitet. Und seit Kurzem bildet der Verein ehrenamtliche Beraterinnen und Berater fort. „Denn die wenigsten sozialen Einrichtungen haben selbst Juristinnen oder Juristen“, so Gbele. „Das ist eine echte Marktlücke, wenn man so will.“ Für den Münchner Flüchtlingsrat beispielsweise hält man nun Fortbildungen zu Ausländerstrafrecht, Polizei- und Sicherheitsrecht – und erarbeitet ein Handbuch, in dem die Beraterinnen und Berater rechtliche Zusammenhänge zwischendurch nachschlagen können. „Denn die entscheidenden Paragrafen griffbereit zu haben, kann so viel bewirken.“

Links zum Thema

Kyri: Know Your Rights Initiative

Studentische Initiative: Refugee Law Clinic Munich

Wohn- und Kulturzentrum: Bellevue di Monaco

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