Reden wir über Forschung
10.10.2022
Wie junge Forschende ihre Themen kommunizieren und was sie dazu motiviert: nachgefragt bei Nachwuchsforschenden der LMU.
10.10.2022
Wie junge Forschende ihre Themen kommunizieren und was sie dazu motiviert: nachgefragt bei Nachwuchsforschenden der LMU.
Wer kennt Étienne Dolet? Der Bekanntheitsgrad des französischen Humanisten dürfte in nächster Zeit auch außerhalb des Fachpublikums steigen, wenn es nach LMU-Doktorand Bastian Jürgen Wagner geht. Der Philologe bereitet gerade einen Science-Slam über Dolet vor und zeigt damit, dass es offenbar kein wissenschaftliches Thema gibt, das sich nicht einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen ließe.
LMU-Geographin Dr. Magdalena Mittermeier hat dagegen einen ganz anderen Ausgangspunkt: Sie forscht zum Klimawandel und seinen Folgen. „Es wird so viel zum Klimawandel publiziert, das darf nicht allein in der Wissenschaftswelt bleiben: Wenn ich mich – tagein, tagaus – mit so einem wichtigen und gesellschaftlich relevanten Thema beschäftige, muss ich einfach auch darüber sprechen.“
Ich glaube, es macht uns junge Forschende aus, dass wir Wissenschaftskommunikation schon früh mitdenken.Magdalena Mittermeier
Geht es um ihre aktuelle Forschung, nutzt sie dazu auch aktiv die sozialen Medien wie etwa Twitter oder LinkedIn. Die Frage, wie neue Ergebnisse am besten kommuniziert werden können, steht aber nicht erst am Ende einer Studie im Raum: Bereits während ein Paper entsteht, hat sie im Hinterkopf, wie etwa die Abbildungen so gestaltet werden sollten, dass sie von Medien gut aufgegriffen werden können. Auf die Frage, welchen Stil junge Forschende prägen, sagt Mittermeier: „Ich glaube, es macht uns junge Forschende aus, dass wir Wissenschaftskommunikation schon früh mitdenken.“
Gerade anlässlich neuer Veröffentlichungen ist sie als Expertin gefragt – von Fachmedien ebenso wie von Zeitungen oder Online-Medien für ein breites Publikum. Am liebsten ist ihr aber das persönliche Gespräch, der direkte Austausch. „Während der Promotion wurde ich für Vorträge und Workshops rund um den Klimawandel angefragt, das war mein Weg in die Wissenschaftskommunikation.“ Als Gründungsmitglied der Klimaschutzgruppe „Klimadelegation“ hatte sie sich bereits ehrenamtlich dafür engagiert, Wissen zu vermitteln. Bis heute möchte sie mehr tun, als über ihre eigenen wissenschaftlichen Ergebnisse reden: „Ich finde es schön, wenn man auch einen Überblick des Fachgebiets geben kann und das mit der Kommunikation der eigenen Forschung verbinden, denn als Wissenschaftlerin arbeite ich ja immer nur an einem kleinen Puzzlestück des Themas.“
Magdalena Mittermeier erfährt bei ihren Vorträgen auch, dass der Klimawandel ein „emotional aufgeladenes Thema“ ist, und möchte umso mehr zur Versachlichung der Debatte beitragen. „Ich bin außerdem ein grundsätzlich optimistischer Mensch und auch mein Publikum soll – während man der Dimension des Klimawandels klar ins Auge blickt – mit einer positiven Grundstimmung nach Hause gehen können und nicht einfach nur frustriert sein.“ Daher versucht sie, in ihren Vorträgen oder Workshops immer Perspektiven zu geben. „Ich werde häufig danach gefragt, was man als Einzelner tun kann. Während die politische Verantwortung für Klimaschutz meiner Auffassung nach nicht auf Individuen abgewälzt werden darf, finde ich es trotzdem wichtig, Wege aufzuzeigen, wie man als Einzelner Selbstwirksamkeit in seinem Handeln und seinem Umfeld erfahren kann, zum Beispiel als Privatperson, aber vor allem auch beruflich und politisch als Bürger.“
Kommunikation bleibe ein stetiger Lernprozess. „Ich möchte nicht behaupten, schon den goldenen Weg gefunden zu haben.“ Bisher sei das Feedback jedoch überwiegend positiv. „Allerdings bin ich insgesamt nur relativ wenig in den sozialen Medien aktiv und setze mehr auf direkte Kommunikation – da ist vieles einfacher.“ Konfrontation mit unsachlichen oder falschen Aussagen gibt es dennoch hin und wieder. „Ich versuche dann, sachlich und vernünftig zu erklären. Vor allen Dingen ist mir in einer solchen Situation wichtig, dass Falschaussagen nicht unbeantwortet im Raum stehen bleiben.“ Nicht immer mit Erfolg, doch es seien immer nur Einzelpersonen, bei denen sie mit sachlichen Argumenten nicht mehr durchdringe.
Bastian Jürgen Wagner promoviert dagegen über ein Thema, das nicht in aller Munde ist. Der LMU-Philologe beschäftigt sich in seinem Dissertationsprojekt mit dem Dialogus, De Imitatione Ciceroniana des Humanisten Étienne Dolet. Warum das Werk von 1535 in mehrerlei Hinsicht auch heute noch spannend ist, muss er seinem Gegenüber stets erst einmal erklären und dazu mitunter etwas ausholen. „Es ist ein lateinischer Text, in Dialogform geschrieben von einem Franzosen, der gegen Latein als eine Art europäische Verkehrssprache argumentiert und kurz nach der Veröffentlichung anfing, nur noch auf Französisch zu schreiben“, sagt der Doktorand. „Der Text richtet sich stark gegen Erasmus von Rotterdam, der das Lateinische als gemeinsame Sprache favorisierte, und verabschiedet so praktisch das Lateinische.“ Deutlich werde darin die starke „europäische Idee“ des Erasmus abgelehnt zugunsten einer zunehmenden Abgrenzung der einzelnen Nationen voneinander.
Ich denke, beim Science-Slam steht zwar die Unterhaltung im Vordergrund, aber trotzdem nehmen die Leute auch etwas mit – und sei es nur, zu erfahren, dass es dieses Forschungsthema gibt.Bastian Jürgen Wagner
Französisch wurde kurz darauf Amtssprache, ein weiterer identitätsstiftender Faktor für die junge Nation. „Und dieser Gedanke der nationalen Abgrenzung wird in der Gegenwart in manchen Ländern ja gerade wieder sehr stark.“ Als neuen Weg, den Nationendiskurs in der frühneuzeitlichen Humanistik auf unterhaltsame Art zu erklären und so ein zumindest auf den ersten Blick historisches Thema unverstaubt auf die Bühne zu bringen, versucht Wagner sich gerade als Science-Slammer. „Ich bin zwar schon bei Poetry-Slams im Uniumfeld aufgetreten, habe dabei aber nie über meine Forschung gesprochen.“ Das soll sich jetzt mit seinem ersten Auftritt beim Doktorand*innen-Tag des Graduate Center der LMU ändern. „Ich denke, beim Science-Slam steht zwar die Unterhaltung im Vordergrund, aber trotzdem nehmen die Leute auch etwas mit – und sei es nur, zu erfahren, dass es dieses Forschungsthema gibt.“
Bastian Jürgen Wagner möchte mit dem Science-Slam mehr, als nur auf sein eigenes Dissertationsprojekt aufmerksam machen, sondern auch darauf, dass Latein als Sprache nicht mit antiken Autoren wie Cicero starb. „Latein lebte noch vor nur 500 Jahren als gesprochene Sprache und stand sogar in der Diskussion, zur gemeinsamen Sprache Europas zu werden.“ Mit frühneuzeitlichen Texten wie dem von Étienne Dolet im Lehrplan ließen sich wieder mehr Schülerinnen und Schüler dafür begeistern, glaubt er.
Vor allem, da er seinem Forschungsthema auch einen gewissen Unterhaltungsaspekt zuschreibt: „Ich glaube, dass man die beiden sich beschimpfenden Humanisten, mit denen ich mich da befasse, auch einfach lustig finden kann – trotzdem sind sie dabei auf eine literarisch qualitativ sehr hochwertige und zielgerichtete Art polemisch.“ Immerhin habe Étienne Dolet bei aller sprachlichen Aggressivität – er warf Erasmus Beleidigungen wie „Tattergreis“ oder „besoffener Mönch“ an den Kopf – stichhaltige Argumente gehabt. Etwa, dass damals viel zu wenige Menschen Latein beherrschten und es somit als gemeinsame Sprache Europas reichlich absurd sei.
Wagner freut sich auf seinen Auftritt beim Science-Slam: „Ich glaube, das Publikum geht nicht zu solchen Veranstaltungen, um sehr viele wissenschaftliche Details mitzunehmen.“ Und doch könne so ein unterhaltendes Format auch ein guter Zugang zu Wissenschaft sein.
Am 12. Oktober gibt es im Rahmen des Doktorand*innen-Tags einen Science Slam